Sie erlebten, wie Menschen vor ihren Augen ertranken und spürten die Machtlosigkeit, nichts tun zu können. Die Strömungsretter erzählen, was sie antreibt.
„Begibst dich schnell in Gefahr“Siegburger Strömungsretter sprechen über dramatische Einsätze
Für Stefan Henseler und Michael Höntsch war es irgendwann an der Zeit, etwas zu tun. Sie hatten erlebt, wie ein Asylbewerber in der Sieg ertrank, hatten in einer Wathose nur mit einem Rettungsknoten und einer Leine gesichert im Mühlengraben gestanden und mit einer Kettensäge Bäume beseitigt. Immer deutlicher erkannten sie: „Es gab Situationen, da konnten wir mit unseren Mitteln nichts machen.“
Durch einen Kontakt des heutigen Wachleiters und Feuerwehrchefs, Torsten Becker, kamen sie zu einem Lehrgang zur Ausbildung zum Strömungsretter der Berufsfeuerwehr Hagen. Aus Spenden beschafften sie das erste Material, Neoprenanzüge etwa oder spezielle Schuhe. Schnell meldeten sich weiter Angehörige der Feuerwehr, die sich ausbilden ließen.
Inzwischen ist eine eigene Strömungsretter-Einheit entstanden, zu der 26 hauptamtliche und freiwillige Wehrleute gehören. Brandoberinspektor Christoph Jonas ist der Leiter, Hauptbrandmeister Florian Mies sein Stellvertreter. Den ersten großen Einsatz hatten sie in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 bei der Flut in Rheinbach. Die damaligen Erlebnisse hallen noch nach.
Wir sind durch die Bahnhofshalle geschwommen, erinnert sich Jonas. Mehrere Menschen haben sie retten können. Unterschiedliche Lagen haben sie bewältigt, Hunde aus Bäumen geholt. Mehrere Tage waren sie unterwegs und haben wichtige Erkenntnisse gesammelt, die sich auch auf das Material durchgeschlagen haben.
So mussten sie Trockentauchanzüge neu beschaffen, weil sie durch Öl und Benzin massiv verschmutzt waren. Das Fahrzeugkonzept wurde verändert. Inzwischen gehören zwei Trexstar mit zwei respektive drei Achsen zum Fuhrpark. Damit können die Strömungsretter im unwegsamen Gelände, wie den Siegauen, fahren und Uferbereiche absuchen. Außerdem können sie Gerettete zum Rettungsdienst bringen.
Noch weitere Anschaffungen organisierten Henseler, später Jonas und Mies. Jeder Strömungsretter hat seine persönliche Schutzausrüstung, zu der Neoprenanzug, Schuhe und Handschuhe gehören. Im Pool gibt es Auftriebswesten mit Helmen und Wurfleinen, die auftreiben, Trockenanzüge mit Kälteschutz und ein Umkleidezelt mit Heizung und Generator für längere Einsätze wie in Rheinbach.
Zwei watfähige Geländewagen und ein Rettungsboot sind ebenfalls im Bestand. Aktuell steht die Beschaffung eines Gerätewagens Wasserrettung an sowie ein Aufbau für die Geländewagen, ein sogenanntes Modul Strömungsretter. Und schon in diesem Jahr gehen Jonas und Mies zur Ausbildung zum Ausbilder auf die entsprechenden Lehrgänge. Dann können sie künftig die Strömungsretter selber ausbilden.
Die beiden sowie ihre Vorgänger Höntsch und Henseler erinnern sich an den Beginn: Die erste Idee war gar nicht, selber was zu machen, sondern die Einsatzgrenzen zu erfahren, so Henseler, was geht noch, um unsere eigenen Leute zu schützen. Denn die Gefahren in fließenden Gewässern sind groß und oftmals gar nicht sofort einzuschätzen.
Die Siegburger Feuerwehr hat zahlreiche Gewässer im Einsatzgebiet
Es sind einige Gewässer zu beachten im Bereich der Siegburger Feuerwehr. Neben der Wahnbachtalsperre und diversen Seen sind es der Mühlengraben und Abschnitte von Sieg und Agger. Die 26 Kräfte sind alle Rettungsschwimmer, inzwischen ist es Teil der Siegburger Ausbildung für Feuerwehrleute. Beim ersten Lehrgang wurde festgelegt, was in Hagen unter anderem im Strömungskanal gelernt werden soll. Das ist immer noch Grundlage, wird aber im dynamischen Prozess weiterentwickelt.
Ganz wichtig ist der Einheitsleitung, dass es keine Konkurrenz zu bestehenden Hilfsorganisationen sein soll. „Wir sind nur so stark wie die anderen Kräfte, die nachkommen“, sagt Jonas. Grundgedanke ist es, möglichst schnell Hilfe ans Wasser zu bekommen. Deshalb sollen alle Schichten der hauptamtlichen Wache mit mindestens zwei Strömungsretter besetzt sein. Die Zusammenarbeit mit der Wasserrettung Rhein-Sieg funktioniere gut, es gab beim Aufbau Unterstützung.
„Du begibst dich schnell in Gefahr und merkst es erst nachher“, erzählt Christian Brucker. Er erinnert sich an eine Bergung an der Sieg, als er am Ufer stand und nichts machen konnte, weil ihm Ausrüstung und Fachkenntnisse fehlten. Das war für ihn die Initialzündung mitzumachen. Jetzt fährt er mit, ausgerüstet und eingekleidet geht es in den Einsatz.
Bei Erkundungen lernen sie die kritischen Stellen in ihren Gewässern kennen, derzeit laufen Absprachen mit anderen Feuerwehren für ein überörtliches Wasserrettungskonzept, wie Wehrleiter Becker berichtet. Die Beweggründe für die Helfer sind unterschiedlich. Mies etwa gibt schmunzelnd das „Feuerwehr-Helfersyndrom“ zu. Ihm ist aber auch wichtig, beim Helfen auch Spaß haben zu können.
Die Beweggründe der Einsatzkräfte sind vielfältig
Einheitsleiter Jonas interessieren zudem die Herausforderungen, die Naturgefahren mit sich bringen.„ Wie komme ich an Opfer heran, wie kann ich Hilfe bringen?“ Der freiwillige Feuerwehrmann Andreas Burgemeister hat eigentlich wegen der Fitness begonnen und sieht es als tolle Bereicherung, auch noch helfen zu können. Bei Volker Lichtenthäler und Chrian Brucker war es die schon einmal erlebte Ohnmacht nichts tun zu können und bei Henseler die Sicherheit der Kollegen: „Was können wir machen, damit wir alle wieder gesund nach Hause kommen?“