Rettungsleitstelle EuskirchenHerr über sieben Monitore
Euskirchen – Welche Straßen sind wegen Bauarbeiten gesperrt? Welcher Rettungswagen hat einen platten Reifen? Wer hat Probleme mit dem Funk gehabt? Im Grunde sind es triviale Probleme, die aber im Ernstfall lebenswichtige Sekunden und Minuten kosten können.
Man macht sich selten Gedanken darüber, woran in der Rettungsleitstelle alles gedacht werden muss, aber bei meinem Besuch im Kreishaus bekomme ich einen Eindruck davon.
Fachjargon und Abkürzungen
Es ist 7.30 Uhr, und wir sitzen an einem Tisch im Großraumbüro zur Wachablösung zusammen. Außer mir sind alle hellwach, selbst die beiden Männer, die gerade eine zwölfstündige Nachtschicht hinter sich haben. Die drei Mitarbeiter, die die Tagesschicht bis 19.30 Uhr übernehmen, erfahren, was in der Nacht alles passiert ist und was am Tag noch wichtig sein könnte.
Die fünf Leitstellen-Mitarbeiter sprechen fast nur in Fachjargon und Abkürzungen: RTW, KTW, IKTW. Martin Fehrmann, stellvertretender Leiter der Leitstelle, erklärt mir, die Abkürzungen. RTW und KTW sind Rettungswagen und Krankentransportwagen. Ein IKTW ist ein Infektionskrankentransportwagen. Darin werden Patienten gefahren, bei denen ansteckende Krankheiten vermutet werden. Die Mannschaft trägt dann Schutzanzüge. Nach jeder Fahrt muss der IKTW in einer Halle in Mechernich gereinigt werden. Bei der Wachübergabe wird auch gesagt, welches Fahrzeug gerade nicht einsatzbereit ist.
Fehrmann nimmt mich mit auf einen Rundgang durch die Leitstelle. Es gibt zwei Technikräume, von denen aus Funk und Computersysteme betrieben werden. Jeder hat ein eigenes Notstromaggregat. Fällt einer der Räume aus, geht der Betrieb trotzdem weiter.
Im Großraumbüro gibt es große Touchscreen-Monitore und Magnettafeln. Darauf werden im Ernstfall große Einsätze geplant und die Feuerwehr- und Rettungskräfte verwaltet. Schließlich muss, selbst wenn beispielsweise in Weilerswist ein Großeinsatz stattfindet, sichergestellt sein, dass noch genügend Kräfte von Feuerwehr und Rettungsdienst bereitstehen, falls ein zweiter Großeinsatz ansteht. Auch das organisiert die Leitstelle. Auf den Monitoren lassen sich zudem aktuelle Daten von Wetterdiensten abrufen. Oder man kann nachsehen, in welchem Haus ein Gasanschluss liegt. Das ist wichtig für die Einsatzplanung bei einem Brand.
Schließlich darf ich einem erfahrenen Mitarbeiter bei der Arbeit über die Schulter schauen. Ferdinand Meyer verrichtet seit 27 Jahren seinen Dienst auf der Leitstelle. „Früher haben wir die Unfälle noch von Hand aufgenommen“, erzählt er mir. Schwer vorzustellen, wenn man sich den Haupt-Telefonplatz heute anschaut. Sieben Monitore stehen da, einer davon gehört zu einer Telefonanlage mit Touchscreen. Auf einem Bildschirm werden die laufenden Einsätze angezeigt.
Es ist ruhig an diesem Morgen. Hauptsächlich Krankentransporte stehen auf der Liste. Die Leitstelle verwaltet die Anfragen von Krankenhäusern und verteilt die Fahrten auf freie KTW. Jedes Mal, wenn ein Mitarbeiter zum Telefon greift, leuchtet eine rote Lampe über seinem Arbeitsplatz – so weiß jeder immer, wer gerade Anrufe annehmen kann.
Bei jedem ankommenden Gespräch wird die Telefonnummer angezeigt – auch unterdrückte Rufnummern. Das ist besonders bei Notrufen wichtig. Die Mitarbeiter sehen nicht nur die Nummer, sondern auch den Telefonbucheintrag des Anrufers – sofern es einen gibt. Außerdem wird nachgefragt, ob die Adresse aktuell ist. Das geht schneller, als wenn die Anschrift erst diktiert werden müsste. Kommt ein Notruf rein und die Daten liegen vor, zeigt ein Monitor eine Karte mit dem Zielort. Aus dem, was die Menschen am anderen Ende der Leitung erzählen, muss Ferdinand Meyer dann filtern, was passiert ist.
Oft sind die Anrufer aufgeregt und machen ungenaue Angaben. Dann muss Meyer abwägen, wie er vorgeht. Er kann nicht zur Sicherheit jedes Mal die Feuerwehr ausrücken lassen. Die meisten Feuerwehrleute sind Ehrenamtler. Wenn sich jeder zweite Einsatz als überflüssig herausstellen würde, gäbe es wohl Ärger mit den Arbeitgebern.
High-Tech
Erst bei Bränden, bei denen Menschen in Gefahr sind, geht man bei der Alarmierung auf Nummer sicher. „Dafür haben die Chefs immer Verständnis“, so Meyer. Bei einem Unglück mit vielen Verletzten – im Fachjargon Massenanfall von Verletzten (Manv) genannt, wird nach genau definierten Regeln alarmiert.
Meyer gibt die Manv-Stufe an, die sich nach der Zahl der Verletzten richtet, und sofort wird im Computer zusammengestellt, wer alles ausrücken muss.
Ist der Einsatzort ein Krankenhaus oder Altenheim, werden Meyer sofort zusätzliche Daten angeboten. Das können Luftbilder, Karten und Belegungspläne des betroffenen Gebäudes sein. Alles Hilfsmittel, um den Rettungskräften frühzeitig Informationen zu bieten.
Bei Gebäuden dieser Art ist sogar schon festgelegt, wo der Rettungsdienst seine Fahrzeuge abstellt, um die Feuerwehr nicht zu behindern.
Routine erleichtert Entscheidungen
Die Routine erleichtere ihm die Entscheidungen, sagt Meyer. In diesem Jahr musste die Leitstelle schon mehr als 22 000 Einsätze organisieren. „Als ich angefangen habe, waren es noch 600 im Jahr“, so Meyer. Die Zahlen steigen kontinuierlich. Warum das so ist? Es gibt mehr ältere Menschen und das soziale Gefüge wird schwächer.
Die Folge: Mehr Menschen werden krank, haben aber weniger Freunde und Familie um sich, die sich um sie kümmern könnten. „Wir übernehmen oft Dinge, die früher die Familie aufgefangen hat“, so Fehrmann: Fahrten zu Krankenhäusern oder Ärzten, die alte Menschen nicht mehr allein bewältigen können, die aber ein Angehöriger übernehmen könnte – wenn er im näheren Umkreis leben würde. Fehrmann rechnet damit, dass die Anzahl der Einsätze weiter steigen wird.
Ich bewundere die Ruhe, mit der die Männer von der Leitstelle ihren Dienst tun. Alles im Büro ist auf den Ernstfall ausgerichtet, selbst die Kalender zeigen Großeinsätze.
Dennoch ist wenig Anspannung zu spüren, wenn das Telefon klingelt. Ich habe das Gefühl, dass hier selbst bei einer Katastrophe alles nach Plan verlaufen würde. Und das finde ich beruhigend.