Alternative zu MallorcaSo wunderschön ist die Hippie-Insel Ibiza
Juanito Mari liebt es, die Geschichte von Las Dalias zu erzählen, dem berühmtesten Hippiemarkt in Europa. Es ist gleichzeitig die Geschichte seiner Familie und seiner Kindheit. Hier wuchs er auf. «Las Dalias ist ein Lebensgefühl, das die Baleareninsel Ibiza weltweit berühmt machte», erzählt er. Urlauber können diesem Flair auch heute noch nachspüren.
Es ist 22.00 Uhr, ein laues Lüftchen weht. Eine Ethno-Band spielt inmitten der rund 200 Stände des Nachtmarkts, die Stimmung ist locker. Am Mojito-Stand hat sich eine Schlange gebildet. Alt-Hippies und Neo-Hippies bieten Fransentücher aus Wildleder, ausgefeiltes Kunsthandwerk, Schmuck, Taschen, Bastkörbe, Häkelbikinis oder auch die typische ibizenkische blütenweiβe «Adlib-Mode» an.
Berühmtester Hippiemarkt in Europa begann mit einer Straßenbar für Bauern
Mari, 56, nippt zufrieden an seinem Bier. Hier ist er zu Hause. Die Kneipe, die zum Hippiemarkt gehört, hatte sein Vater Joan 1954 als Straßenbar für die Bauern aus dem Umland und die Bewohner des nahegelegenen Orts Sant Carles gegründet. Es sollte der Beginn einer Legende werden, doch das ahnte damals noch niemand.
Tourismus gab es in jener Zeit noch nicht, nur ein paar vereinzelte Berühmtheiten wie Aristoteles Onassis oder Fürst Rainier von Monaco verirrten sich auf die wildromantische Insel mit ihren Pinienwäldern, zerklüfteten Küsten und türkisblauen Buchten.
Die Hippies kamen vor dem Jetset
Das änderte sich in den Sechzigern, lange bevor die internationale Jetset-Szene die 572 Quadratkilometer große Mittelmeerinsel zu ihrem Lieblingsziel auserkor - und sie zur teuersten Insel Spaniens machte.
Damals strandeten auf Ibiza erst einmal die Peluts, die Haarigen, wie die Einheimischen sie nannten. Gemeint waren vor allem junge Leute aus den USA, die dem Vietnamkrieg entfliehen wollten und alternative Lebensformen suchten. Doch auch Aussteiger aus Europa kamen.
Jimi Hendrix, Janis Joplin und Bob Marley kamen auf die Insel
Die meisten von ihnen siedelten sich in der Gegend von Sant Carles an. Für wenig Geld kauften sie den Einheimischen die weißen, würfelförmigen Häuser ab. Viele Ibizenker glaubten damals, dem Ruf der Moderne folgen zu müssen und siedelten in die Hauptstadt Eivissa über. Auf ihren neuen Fincas, die mittlerweile Millionen wert sind, wurde es den Haarigen zu langweilig. Und so trafen sie sich abends in Las Dalias, dem Hotspot der Insel in jenen Zeiten.
Es war die Blütezeit von Flower Power. «Wir erlebten hier herrliche Jahre», erinnert sich Mari. Als Kind bekam er mit, wie in der Bar Jimi Hendrix, Jim Morrison oder Janis Joplin auftraten. In den Siebzigern kam Bob Marley, in den Achtzigern Nina Hagen, als sie einen ibizenkischen Punker ehelichte. Auch Mick Jagger und Bob Geldof waren hier zu Gast. Erst 1985 entstand der Hippiemarkt auf dem Gartengelände unterhalb der Kneipe, anfangs nur paar Verkaufsstände. Heute ist Las Dalias eine Institution.
„Wir fühlen uns hier wie eine große Familie“
Das Gleiche gilt für die nicht weit von Maris Kneipe entfernte urige Bar «Ca n'Anneta» gegenüber der weißgetünchten Kirche von Sant Carles. Sie ist nicht nur wegen der leckeren Tapas und der ibizenkischen Hausmannkost gut besucht, sondern auch wegen ihrer langen Geschichte als Hippie-Oase.
«Der Ruhm der früheren Tage bringt uns viele neue Gäste», erzählt Kellner Pepe Guasch und reicht die typische Vorspeise: Brot mit Oliven und Aioli. Benannt ist die Kneipe nach der inzwischen hochbetagten Gründerin Anita Mari Torres, die für die Peluts eine Art Mutterfigur war. «Ca n'Anneta» dient bis heute auch als Postamt von Sant Carles, 200 Briefkästen sind hier untergebracht. Guasch arbeitet hier seit 35 Jahren und kennt fast alle Kunden, viele davon echte Relikte aus den Hippietagen. «Wir fühlen uns hier wie eine große Familie», sagt er.
Norden ist Zentrum der Hippiekultur
Bis heute sind der Norden und Nordwesten von Ibiza rund um die hübsche Stadt Santa Eulària des Riu das Epizentrum der Hippiekultur. In diesem Teil leben auch die meisten der vielen deutschen Residenten auf Ibiza.
Im verschlafenen Örtchen Sant Joan verkaufen Pia Robinson, gebürtige Holländerin, und der Italiener Luciano Dominici knallbunte Holzkreuze auf dem Sonntagsmarkt. Er schnitzt sie und Pia bemalt sie, am liebsten mit Frida-Kahlo-Porträts. Das Paar, das sich einst in Rimini kennenlernte, hat an vielen Orten der Welt gelebt und will nirgendwo anders mehr hin. «Nur auf Ibiza finden wir die geheimnisvolle Magie, die unserer Kreativität förderlich ist», behauptet Dominici und lacht.
Sant Antoni ist Ibizas Partyhochburg
Weniger beschaulich geht es in Sant Antoni zu, am gegenüberliegenden Ende der Insel. Das einst verschlafene Fischerdorf mit seiner großen Bucht ist inzwischen eine der größten Städte der Insel, mit vielen Edeldiskotheken wie dem «Amnesia» und der höchsten Beach-Club-Dichte Ibizas. In den vergangenen Jahren entstanden hier viele Hotelburgen, es ist das ibizenkische Gegenstück zur Platja de Palma auf Mallorca.
Im «Café del Mar», der berühmtesten Sunset-Bar der Insel, warten wie jeden Abend mehrere hundert Menschen darauf, dass die Sonne im Meer versinkt. DJs legen Chill-Out-Musik auf.
Kultbar „Café del Mar“ wurde durch Anbau erweitert
Längst wurde das ursprünglich kleine und blau-gelb gekachelte «Café del Mar» durch einen Anbau erweitert. Daneben hat sich Konkurrenz wie das «Mambo» breit gemacht, wo House-Beats wummern. «Die Entwicklung ist einfach verrückt», sagt Alfredo Munoz, 32. Er stammt von hier und sehnt sich nach der Stille von früher zurück.
Das Erste, was man beim Anflug auf Ibiza sieht, ist denn auch die Partymeile entlang der Platja d'en Bossa, einem der längsten Sandstrände der Insel. Das tiefe Blau des Meeres konkurriert mit dem der Pools des «Hard Rock Hotels» und des «Ushuaia», das Abel Matutes, dem reichsten Unternehmer der Insel gehört.
„Ibiza ist für viele eine schwimmende Disco“
Bei den beliebten Poolpartys, die vor allem junges Publikum anziehen, geht es schon am frühen Nachmittag hoch her. «Ibiza ist für viele eine schwimmende Disco», sagt der Musiker und Gästeführer José Antonio Canseco, der die Geschichten der Insel-Schickeria kennt.
Wer es mondäner will, geht in die Edelclubs direkt am Jachthafen von Ibiza, wo im Sommer die riesigen Schiffe der Superreichen vor der Kulisse der grandiosen Altstadt vor Anker liegen. Entsprechend ist das Publikum in legendären Etablissements wie dem ältesten Club «Pacha» oder dem «Lío», wo man viele Promis treffen kann. Nicht umsonst ist Ibiza das Lieblingsziel von Stars und Sternchen.
25.000 Euro für ein Abendessen im Lío
«Für ein Abendessen kann man im Lío schon mal locker 25 000 Euro auf den Tisch legen», weiß Canseco. Im August wird der Andrang auf Ibiza gewöhnlich so groβ, dass viele Jachten abgewiesen werden. An Land steigen die Übernachtungspreise in astronomische Höhen.
Also doch zurück in den ruhigeren Norden. Einer der Geheimtipps Cansecos ist die verschlafene Siedlung Balàfia im Landesinneren. Hier stehen fünf Bauernhäuser, die an die alten Zeiten erinnern, als noch schwarz gekleidete Bäuerinnen das Bild der Insel prägten. Über einigen der Casas Payesas, deren weißgetünchte Fassaden mit zwei Kreuzen zur Abwehr gegen böse Geister versehen sind, erheben sich trutzige Schutztürme.
Schöne Wanderwege starten im Norden der Insel
Der Feldweg dorthin verläuft entlang der typischen Natursteinmauern im Schatten von Pinien und Johannisbrotbäumen. «Hier inspiriere ich mich», sagt Canseco, der Gruppen im Frühjahr und Herbst mit zum Wandern nimmt. Der Sommer ist meist zu heiß für große Touren.
Mehrere der schönsten Wanderwege der Insel starten ebenfalls im Norden, im verschlafenen Dorf Santa Agnès, bekannt für seine urige Bar «Can Cosmi» und die spektakuläre Mandelblüte im Februar. Von hier aus gelangt man schnell zur Puerta del Cielo, dem Tor des Himmels, einem riesigen Fels, der einen spektakulären Ausblick bietet. Die Inselgruppe Ses Margalides liegt verträumt gegenüber. Wer weiter heruntersteigt, entdeckt stille Buchten mit türkisblauem Wasser.
„Die Insel hat eine gespaltene Seele“
«Die Insel hat eine gespaltene Seele», sagt Canseco. Er hat sich zu seinem Lieblingsstrand Benirràs im Norden aufgemacht, wo Hippies jeden Abend die Sonne mit lautem Trommelwirbel verabschieden.
Noch gibt es zwischen Flower Power und Partyszene eine gewisse Balance, jeder hat seine Refugien. Die Frage ist, wie lange das noch gelingen kann. Denn auf die Insel mit ihren 140 000 Bewohnern kommen jedes Jahr mehr als drei Millionen Touristen, Tendenz steigend. Canseco zumindest ist optimistisch: «Um den Rummel kann man einen Bogen machen, man muss es nur wollen.» (dpa/tmn)