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Bio, Sex, TatortEngländer erklärt, was typisch deutsch ist

Lesezeit 6 Minuten

„How to be German“: Engländer Adam Fletcher erklärt, was die Deutschen eigentlich ausmacht.

Adam Fletcher (30) ist Engländer und lebt in Berlin. Als Ausländer in Deutschland muss er wissen, was „die Deutschen“ eigentlich ausmacht. Seine Erkenntnisse stellt er in dem Buch „Wie man Deutscher wird in 50 einfachen Schritten“ vor. 15 Schritte haben wir als Auszug hier zusammengestellt. Für alle Zugezogenen, die endlich einmal verstehen wollen, was „richtig“ deutsch ist. Und für alle Einheimischen, die bislang nie verstanden haben, warum Menschen aus anderen Ländern uns wegen unserer Outdoor-Kleidung so schräg angucken.

1. Lange frühstücken

Ein deutsches Frühstück ist nicht einfach eine Mahlzeit, sondern ein kunstvolles Festmahl. Beim Wochenendfrühstück ist jeder Quadratzentimeter Tisch von einer riesigen Auswahl an Käse, Aufschnitt, Obst, Marmeladen, Honig, Anstrichen und anderen Zutaten bedeckt. Es sieht aus, als hätte jemand eingebrochen und auf der Jagd nach Wertsachen den Inhalt sämtlicher Vorratsschränke auf den Tisch geschüttet.

2. Planen, Vorbereiten, Durchführen

Wenn du Deutscher werden willst, musst du wie ein Deutscher denken, was kein Kinderspiel ist. […] Für den Anfang musst du aber erst einmal die drei Grundpfeiler deutschen Denkens und Handelns akzeptieren: Planen, Vorbereiten, Durchführen. […] Fertige Tabellen, Diagramme und Listen an. Überleg dir, was du täglich machst, und denk nach, wie du es effizienter erledigen kannst. […] Man nennt es vielleicht Spontaneität, aber deshalb kann man es trotzdem organisieren. Spaß hat seinen Ort und seine Zeit, und die muss im Voraus festgelegt und im Kalender vermerkt werden. Alles andere ist Leichtsinn und Chaos.

3. Versichern

Jeder weiß, was für ein Dschungel das da draußen ist. Also, mein unerschrockener foreigner: Ehe du dich hinauswagst und anfängst, an den Lianen des Lebens umherzuschwingen, solltest du dich vernünftig versichern. […] Sei nicht überrascht, wenn alle Deutschen, die du kennenlernst, einen persönlichen Versicherungsberater haben.

4. Vernünftig anziehen

ACHTUNG; FOREIGNER! ACHTUNG! Da draußen wartet, was man Natur nennt. Und die ist wankelmütig – trau ihr auf keinen Fall! Sie spielt ihr eigenes unlogisches und wechselhaftes Spiel. Am besten wappnest du dich für alle Unwägbarkeiten. Du brauchst – teure Outdoor-Kleidung! Schließlich gehst du vor die Tür, und es heißt Outdoor-Kleidung, also muss sie wohl nötig sein.

5. Flaschen ohne Flaschenöffner aufmachen

Flaschenöffner existieren in verschiedenen Formen seit circa 1738. Es gibt nur einen logischen Grund, wieso Deutsche eine Flasche so ungefähr mit allem außer einem Flaschenöffner aufmachen können: nämlich dass Flaschenöffner hier erst seit 2011 bekannt sind. […] Ich habe hier schon gesehen, wie Leute Flaschen mit den Zähnen aufmachten, einer sogar mit der Augenhöhle. Also, foreigner, du musst mindestens zehn Methoden lernen. Feuerzeug und Löffel müssen dabei sein. Schildkrötenpanzer ist nicht zwingend, aber zulässig.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Deutsche über Sex reden und warum Sie Fenster hierzulande besser auf Kipp lassen sollten.

6. Offen über Sex sprechen

Es ist ein großes Vergnügen, in einer Gesellschaft zu leben, die so offenherzig und ohne viel Getue über Sex spricht. Als wäre Sex, ach, ich weiß auch nicht, ein ganz normaler Teil des Lebens. Vielleicht ist ihr Umgang mit Sex bisweilen ein wenig medizinisch, aber jedenfalls wird keine große Sache daraus gemacht. Es ist eher so wie mit dem Hund Gassi zu gehen oder den Müll rauszubringen.

7. Tatort gucken

Wenn man sich traut, einen Deutschen zu fragen, ob der Tatort eigentlich gut sei, sind die Reaktionen meistens sehr lustig. […] Sie setzen ein schockiertes Gesicht auf, als hätten sie diese Frage noch nie gehört und auch noch nie wirklich darüber nachgedacht. Es ist, als hätte man sie gefragt: „Glaubst du an die Schwerkraft?“ Dann kommen sie gewöhnlich zu dem Schluss, dass es vollkommen irrelevant ist, ob der Tatort gut oder schlecht ist. Jede Kultur hat ihre ererbten Traditionen. Bei den Deutschen ist es der Tatort.

8. Bio kaufen

Die Deutschen stehen unter reflexartigem Kaufzwang, sobald sie ein Produkt mit dem Etikett Bio oder dem Namensbestandteil Bio sehen. Man könnte ihnen einen knusprigen Schokoriegel aus Kinderzähnen verkaufen, wenn man ihn duBIOs nennen würde.

9. Müll recyclen

Die Deutschen sind leidenschaftliche Recycler, und also musst auch du einer werden. Das liegt wohl daran, dass sich drei ihrer liebsten Dinge darin zu einer positiven Tätigkeit vereinen: Umweltschutz, Organisation und Zwanghaftigkeit. Versuche mal, etwas Papierenes in den Plastikmülleimer eines deutschen Freundes zu werfen. Sofort schrillen die Alarmglocken; man hält dir Vorträge über richtiges Recycling; womöglich wird eure Freundschaft schwer belastet.

10. Fenster kippen

Weil alle Welt die deutschen Ingenieure und Bauhandwerker über den grünen Klee lobt, glauben viele Deutsche inzwischen, dass sie keine Häuser und Wohnungen bauen, sondern luftdichte Festungen. Darum halten Deutsche oft den Erstickungstod im eigenen Heim für eine ernsthafte Bedrohung, sofern nicht regelmäßig frische Luft in ihren Zwei-Zimmer-Wohnungen zirkulieren kann. Bleibt das Fenster nicht gekippt, so ist regelmäßige „Stoßlüftung“ dringend erforderlich.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Sie als Deutscher eine „richtige“ Arbeit brauchen und worauf Sie beim Reisen achten sollten.

11. Berlin skeptisch betrachten

Der Durchschnittsdeutsche hat ein kompliziertes Verhältnis zu seiner Hauptstadt. Berlin ist das schwarze Schaf der deutschen Familie. Kreativ, unpünktlich, neigt zu spontanen Techno-Ausbrüchen, kann seine Schulden nicht zahlen, lässt sich gern auf Vertraulichkeiten mit Ausländern ein. Für viele Deutsche ist Berlin nicht wirklich ihre Hauptstadt, sondern eher ein gigantisches Kunstprojekt oder Sozialexperiment, das sich nur blicken lässt, wenn es einen Kater hat und mal wieder einen Zuschuss braucht.

12. „Richtige“ Arbeit suchen

Es gibt eine unausgesprochene Rangfolge der Berufe, die alle Deutschen kennen, allerdings nicht unbedingt anerkennen: richtige Berufe und nicht so richtige Berufe. Damit ein Beruf in Deutschland etwas zählt, sollte er seit mindestens hundert Jahren existieren, irgendeinen naturwissenschaftlichen Hintergrund haben oder zumindest so schwierig sein, dass man sein halbes Leben dafür lernen muss und 67 verschiedene akademische Qualifikationen erwerben kann.

13. Schwarzfahren

Obwohl sie sonst so regelkonforme Menschen sind, fahren viele Deutsche schwarz. Ohne sich zu schämen. Wenn dann Kontrolleure in den Wagen steigen, ziehen sämtliche Schwarzfahrer mit einem frechen Grinsen […] ihre Ausweispapiere aus der Tasche und akzeptieren ihr „erhöhtes Beförderungsentgelt“. Nicht so, als hätten sie gerade das Gesetz gebrochen, sondern ganz selbstverständlich und nonchalant.

14. Ernsthaft reisen

Deutsche sind im Ausland teils Urlauber, teils TÜV-Kontrolleure, die mit aufmerksamen Blicken Gesundheitsrisiken und Verletzungen der Sicherheitsbestimmungen registrieren und die Lage von Notausgängen und Toiletten kontrollieren. […] Vor allem wollen sie im unmittelbaren Vergleich daran erinnert werden, wie viel besser alles in Deutschland ist.

15. Es krachen lassen an Silvester

Silvester in Deutschland ist der Abend, an dem all die netten, normalen, praktischen, risikoscheuen Menschen sich in Schwarzpulver schwingende, todessüchtige Pyromanen verwandeln. Sie rennen durch die Gegend und entzünden mit fahrlässigem Überschwang Feuerwerkskörper. Teile von Deutschland erinnern dann eher an die Innenstadt von Bagdad in schlimmsten Zeiten. […] Der einzige Trost, der einen an diesen Abenden vielleicht beruhigen kann. Wenn tatsächlich mal etwas schief geht, sind alle ausreichend versichert.

Informationen zum Buch

Adam Fletcher: Wie man Deutscher wird in 50 einfachen Schritten/ How to be German in 50 easy steps: Zweisprachiges Wendebuch Deutsch/Englisch, erschienen im C. H. Beck Verlag, 146 Seiten, 8,95 Euro