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Von Bayer geförderter FilmScience Fiction wird Realität

Lesezeit 5 Minuten

In dem Science-Fiction-Film „Live“ geht es um das, was die Welt gerade erlebt: Lockdowns und Kontaktsperren.

  1. Lisa Charlotte Friederich ist Schauspielerin und Regisseurin. Rike Huy ist Trompeterin, Komponistin, Produzentin.
  2. Zusammen drehten sie den nun preisgekrönten Film „Live“, der unbeabsichtigt Parallelen zur Corona-Krise aufweist.
  3. Sie sind die ersten Filmemacherinnen, die von der Bayer-Kultur im Rahmen des „stART“-Programms gefördert werden, das bislang vor allem jungen Musikern galt.

Leverkusen Frau Huy, Frau Friederich, Ihr Film „Live“ ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Er wurde von der Bayer-Kultur gefördert. Er wurde jüngst ausgezeichnet. Und vor allem passt er in die Zeit der Corona-Pandemie, da er sich, wenn auch vor einem anderen Hintergrund, um Kontaktsperren und die Beschränkung des öffentlichen Lebens dreht. Wie war es für Sie, zu sehen, dass das Thema Ihres Filmes plötzlich real wird?

Lisa Charlotte Friederich: Ich weiß das noch genau: Es war ein Donnerstag, an dem wir hörten, dass ab sofort alle Theater und Konzertsäle schließen würden. Ziemlich schnell begannen die ersten Kulturhäuser damit, Konzerte live im Internet zu streamen. Und spätestens da dachten wir dann: Das gibt’s doch nicht! Genau das ist die Eröffnungssequenz in unserem Film!

Rike Huy: Ich bin ja selber Musikerin – und sehr viele Konzerte, die ich eigentlich geben sollte, wurden wegen der Pandemie abgesagt. Und für mich war das sofort ein Gefühl von: Du bist jetzt tatsächlich in deinem eigenen Film. Wir beide haben zahllose Anrufe und Nachrichten von Freunden und Bekannten erhalten, die allesamt klangen nach: „Ihr seid ja echt Hellseher, unglaublich!“ Das war völlig absurd! Bei der Filmpremiere in Saarbrücken gehörte unser Film noch zum Genre der Science Fiction – jetzt wurden wir schon eingeladen zu einem Festival, bei dem es um Heimatfilme geht.

Produzentin Rike Huy ist Solotrompeterin.

Ebenfalls bemerkenswert: Mit ihnen fördert die Bayer-Kultur erstmals nicht Musiker, sondern Filmemacherinnen.

Friederich: Wir haben allerdings auch einen anderen Hintergrund als Filmemacher: Wir haben kein klassisches Filmstudium absolviert. Das fehlt uns als Referenz. Und somit waren wir von vornherein gezwungen, uns alternativ zu finanzieren. Rieke ist nun nicht nur Musikerin, sondern auch Produzentin. Sie hat recherchiert, wo große Firmen im Lande Kulturprogramme haben – und ist in Leverkusen fündig geworden. Sie rief mich irgendwann an und sagte: „Wir haben einen Termin bei Bayer!“ Und das konnte ich kaum fassen. Kulturleiter Thomas Helfrich sagte uns gleich beim ersten Treffen: „Auch wenn es bei euch um einen Film geht: Ihr seid einfach interessant als Künstlerinnen. Für euch machen wir eine Ausnahme.“

Regisseurin Lisa Charlotte Friederich.

Haben Sie beide vorher schon ähnliche Projekte umgesetzt?

Friederich: Nur ein paar kleinere Sachen. Eher Fingerübungen und Dinge, bei denen wir alle Fehler machten, die man so machen kann. (lacht)

Ihr Film trägt Züge einer Dystopie. Er zeigt eine Gesellschaft der Zukunft, die in Angst lebt. Aus welchen anderen Filmen oder aus welcher anderen Art von Kunst haben Sie Ihre Inspiration gezogen?

Friederich: Wenn ich jetzt „Blade Runner“ sage, fallen alle in Ohnmacht...

Weil das jeder sagen würde.

Friederich: Genau. Also mache ich es so: Wir haben im Vorfeld wahnsinnig viele Filme und Serien geguckt und analysiert.

Huy: Zum Beispiel „A Handmaid’s Tale“ von 2018. Oder „The Joker“ – auch wegen des Soundtracks, der ja einen Oscar bekam. Und wenn wir schon von der Musik reden: Neben der klassischen Musik hat auch Elektronik, die ja auch im Film vorkommt, eine Rolle gespielt. Die von Kraftwerk zum Beispiel.

Der Film und seine Macherinnen

Lisa Charlotte Friederich ist die Regisseurin des Filme „Live“. Sie studierte Schauspiel in Stuttgart und Angewandte Theaterwissenschaften in Gießen. Als Schauspielerin stand sie beim Theater Lübeck auf der Bühne sowie für verschiedene Film- und TV-Produktionen vor der Kamera. Unter anderem spielte sie die der Hauptrolle in dem preisgekrönten Film „Fritz Lang“. Friedrich inszenierte das Musiktheaterstück „Castor und Pollux“ (2019). „Live“ ist ihr erster Langfilm.

Rike Huy ist die Produzentin von „Live“ und komponierte (gemeinsam mit Joosten Ellée) den Soundtrack zum Film. Sie studierte Trompete in Hannover, Berlin, Paris und Frankfurt, zudem angewandte Theaterwissenschaften in Gießen. Sie gewann als Musikerin mehrere Preise und ist seit 2017 Solotrompeterin in der Basel Sinfonietta.

„Live“ wurde beim 13. Lichter-Filmfest in Frankfurt am Main als bester regionaler Langfilm ausgezeichnet und war für den Max-Ophüls-Preis als bester Film nominiert. Das Regie- und Produzentenduo verhandelt derzeit mit verschiedenen Filmverleihen darüber, wann und wie „Live“ gezeigt wird. Informationen und ein Trailer sind auf der Internetseite der Produktion zu finden. (frw)

www.likefilme.com

Es gibt Künstler, die sehen die Förderung durch einen Konzern wie Bayer, der beispielsweise wegen der Monsanto-Übernahme in der Kritik steht, negativ. Inwiefern haben derlei Gedanken auch Sie beschäftigt?

Friederich: Der erste, der das angesprochen hat, war Thomas Helfrich selbst. Er sagte uns gleich zu Beginn: „Wir unterstützen Euch gerne! Aber es kann passieren, dass ihr dafür auch Kritik einstecken müsst.“ Ich glaube, bei Bayer wissen sie selber, dass der Konzern keine weiße Weste hat. Jedoch denke ich, dass es auch gute Dinge gibt, die Bayer tut. Und sei es das Herstellen von „Aspirin“, was wir alle nehmen, wenn wir Kopfschmerzen loswerden wollen. (lacht) Der ganze Diskurs darüber, wo Fördergeld für die Kultur herkommt, ist ohnehin unglaublich komplex. Man weiß erstens nicht, wer alles in so einem Gremium sitzt, das öffentliches Geld für Filmförderungen verteilt. Es ist zudem Geld, was unsere Regierung zur Verfügung stellt – und unsere Regierung verdient ihr Geld unter anderem mit Waffenexporten. Ist das besser?

Natürlich ist es schön, staatliche Hilfe zu bekommen. Aber wir diskutieren ja nicht umsonst immer über Fragen wie: Warum ist der deutsche Film so ist, wie er ist? Ist diese staatliche Förderung nicht vielleicht auch ein Hindernis? Können durch Förderungen seitens der Industrie und anderer Sponsoren nicht auch spannendere, gewagte Projekte realisiert werden? Bei aller Bescheidenheit: Ich halte unseren Film für solch ein Projekt. Wir hätten für einen Science-Fiction-Film niemals eine staatliche Förderung bekommen.

Huy: Außerdem hat uns bei Bayer niemand reingeredet. Wir hatten absolute künstlerische Freiheit. Ich glaube, dass so etwas bei einer staatlichen Förderung nicht so leicht möglich ist.

Wie war eigentlich Ihr erster Eindruck von Leverkusen?

Friederich: Wir fühlten uns sofort wohl – und haben ja auch die Einstiegssequenz im Erholungshaus gedreht. Das war ideal.

Huy: Ehrlich: Viel gesehen haben wir von der Stadt nicht. Aber wir sind durchs Bayerwerk gefahren. Und ich habe den Eindruck, dass diese Stadt tatsächlich 50 Prozent Bayer ist. Das finde ich beeindruckend.