Die Selbsthilfegruppe „Mut im Leben bei Angst und Depression“ besucht auch Angebote wie das Kuh-Kuscheln in Neunkirchen-Seelscheid.
„Alleine wird es schlimmer“Robin Poliwoda leitet Troisdorfer Selbsthilfegruppe „Mut im Leben“

Robin Poliwoda erlitt mit 16 Jahren ein Schädel-Hirn-Trauma bei einem schweren Fahrradunfall. Trotz neurologischer Beeinträchtigung leitet er eine Selbsthilfegruppe in Troisdorf.
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Im Alter von 16 Jahren hatte Robin Poliwoda einen lebensgefährlichen Fahrradunfall, er erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma. Anfang 20 sah er keine Perspektive mehr, versuchte, sich das Leben zu nehmen. Mit 37 Jahren ist er Leiter und Sprecher der Troisdorfer Selbsthilfegruppe „Mut im Leben bei Angst und Depression“.
Der Unfall als Jugendlicher war ein einschneidendes Erlebnis für Robin Poliwoda. Zwei Monate lag er im künstlichen Koma. Sein Vater habe aus einem Buch vorgelesen, weiß er noch. Dann folgte die Reha. „An die Zeit kann ich mich auch nur bruchstückhaft erinnern“, erläutert Poliwoda: „Ich habe langsam gelernt, Buchstaben zu lesen, zu rechnen, zu laufen.“
Robin Poliwoda arbeitet sich nach lebensgefährlichem Unfall zurück ins Leben
Für ihn war es ein großer Erfolg, nach der Reha wieder nach Hause zu seinen zwei älteren Brüdern, seiner Mutter und seinem Vater zu kommen. Doch seine neurologische Beeinträchtigung nach dem Unfall stellte ihn im Alltag vor Herausforderungen. Es fiel ihm schwer, sich gewisse Dinge zu merken. „Ich habe mein Handy für Notizen genutzt und mich damit zurückgearbeitet“, berichtet Poliwoda.
Doch seine Fortschritte kamen ihm zu langsam vor. Der Neueinstieg im Gymnasium „hat überhaupt nicht funktioniert“. Depressive Gedanken nahmen ihn ein. „Ich war nicht mehr in der Gesellschaft, fühlte mich an den Rand gedrängt“, beschreibt er seine damalige Situation. Diese Gefühlswelt gipfelte in seinem Suizidversuch.
„Erstmal braucht es Mut, sich zu öffnen. Ich rechne das anderen Teilnehmern hoch an.“
Wie lernte Poliwoda, mit seinen Depressionen und Ängsten zu leben? „Meine Familie hat mich unglaublich unterstützt“, betont er: „Daher bin ich heute halbwegs wiederhergestellt.“ Aber auch viele andere Menschen hätten ihm in der einen oder anderen Art beigestanden. So auch Susanne Marx: „Sie hat mir unmittelbar nach meinem Unfall geholfen“, sagt Poliwoda. Über die Doktorin sei er mit der Klopf-Methode Emotional Freedom Techniques (EFT) in Kontakt gekommen.
„Ich habe vieles aus dem alternativen Heilbereich kennengelernt, das mir geholfen hat“, berichtet er, „unter anderem die EFT.“ Dabei handelt es sich Poliwoda zufolge um eine Selbsthilfemethode, die darauf abziele, emotionale und körperliche Beschwerden zu lindern. Sie kombiniere Elemente der Akupressur und der Gesprächstherapie.
Auch ein Coaching habe er sich geben lassen und parallel eine Selbsthilfegruppe zum Thema soziale Phobie besucht. „Es ist eine große Hürde“, erinnert er sich an seinen ersten Besuch: „Es gibt dieses Bild der Antriebslosigkeit. ‚Du willst einfach nicht genug‘, wird dir vorgeworfen“, problematisiert er: „Erstmal braucht es Mut, sich zu öffnen. Ich rechne das anderen Teilnehmern hoch an.“ Aber auch wenn es schwerfalle und ein Zurückziehen verführerisch erscheine: „Alleine wird es schlimmer“, sagt Poliwoda mit Nachdruck. Zusammen gebe es die Chance, einen neuen Blickwinkel einzunehmen.
Robin Poliwoda fühlt sich Troisdorf verbunden
Gewisse Grundtendenzen an psychischen Schwierigkeiten seien bei ihm geblieben. „Die habe ich auch heute noch. Ich kann mich mit vielen Problemen aus meiner Gruppe identifizieren“, sagt Poliwoda über die Troisdorfer Selbsthilfegruppe „Mut im Leben bei Angst und Depression“, die er leitet.
„Es ist ein Dienst, den ich gerne mache“, sagt Poliwoda zu seinem Engagement bei „Mut im Leben“. Er habe selbst viel Hilfe bekommen und wolle etwas zurückgeben. Mittlerweile lebt er in Köln-Porz. Einer seiner Brüder wohnt weiterhin in Troisdorf. „Deshalb habe ich auch eine starke Verbindung zur Selbsthilfe in Troisdorf“, ordnet er ein.
Selbsthilfegruppe „Mut im Leben“ geht auch gemeinsam zu externen Angeboten
„Mut im Leben“ treffe sich seit 2020. Die Sitzungen der Gruppe folgten keinem starren Plan, einen groben Ablauf gebe es aber. „Wir tauschen uns in der ersten Stunde meist über ein Thema aus, das uns beschäftigt, wie ‚was kann man machen, wenn es einem schlecht geht‘“, erzählt Poliwoda: „In der zweiten Stunde versuche ich, praktische Übungen einzubringen. Manchmal leite ich zum Beispiel eine Meditation an.“
Um die Hürde bei „Mut im Leben“ zu senken, gibt es mittlerweile die Möglichkeit, sich drei Treffen anzuschauen. Danach können sich die Teilnehmenden entscheiden, ob sie mitmachen möchten. Die Selbsthilfegruppe trifft sich an jedem ersten und dritten Freitag des Monats von 18 bis 20 Uhr. Neben den fest eingeplanten Treffen besuchen die Teilnehmenden auch andere Angebote: „Kuh-Kuscheln in Neunkirchen-Seelscheid, Lach-Yoga und einen Trommelkurs“, zählt Poliwoda als Beispiele auf.
Sprecherrat der Selbsthilfegruppen im Rhein-Sieg-Kreis will Betroffenen eine Stimme geben
Zusätzlich zur Gruppenleitung ist Poliwoda seit anderthalb Jahren im Sprecherrat der Selbsthilfegruppen im Rhein-Sieg-Kreis. Der setzt sich aus den Gruppenleitern zusammen und will aus Sicht der Betroffenen auf Probleme aufmerksam machen. Damit soll ihnen eine Stimme gegeben werden. Am Selbsthilfetag, dem 24. Mai, präsentiert sich der Sprecherrat mit mehreren Selbsthilfegruppen auf dem Siegburger Markt.
„Oft benötigt man einen anderen Blickwinkel“, sagt Poliwoda, auch aus eigener Erfahrung: „Es braucht aber etwas Zeit, um die eigene Perspektive zu verändern. Ich habe gelernt, dass es bei vielen Menschen schwierig ist.“ Dieser Perspektivenwechsel sei zentral. Poliwoda: „Wer hat's schon einfach?!“
Mit dem Bedarf an Hilfe steht man keineswegs allein dar: Etwa 200 Selbsthilfegruppen mit unterschiedlichen Schwerpunkten sind bei der Selbsthilfekontaktstelle des Paritätischen im Rhein-Sieg-Kreis verzeichnet. Die Kontaktstelle ist erreichbar unter 022 41 94 99 99.
Beratung und Seelsorge in schwierigen Situationen
Kontakte | Hier wird Ihnen geholfen Wir gestalten unsere Berichterstattung über Suizide und entsprechende Absichten bewusst zurückhaltend und verzichten, wo es möglich ist, auf Details. Falls Sie sich dennoch betroffen fühlen, lesen Sie bitte weiter: Ihre Gedanken hören nicht auf zu kreisen? Sie befinden sich in einer scheinbar ausweglosen Situation und spielen mit dem Gedanken, sich das Leben zu nehmen? Wenn Sie sich nicht im Familien- oder Freundeskreis Hilfe suchen können oder möchten – hier finden Sie anonyme Beratungs- und Seelsorgeangebote.
Telefonseelsorge – Unter 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222 erreichen Sie rund um die Uhr Mitarbeiter, mit denen Sie Ihre Sorgen und Ängste teilen können. Auch ein Gespräch via Chat ist möglich. telefonseelsorge.de
Kinder- und Jugendtelefon – Das Angebot des Vereins „Nummer gegen Kummer“ richtet sich vor allem an Kinder und Jugendliche, die in einer schwierigen Situation stecken. Erreichbar montags bis samstags von 14 bis 20 Uhr unter 11 6 111 oder 0800 – 111 0 333. Am Samstag nehmen die jungen Berater des Teams „Jugendliche beraten Jugendliche“ die Gespräche an. nummergegenkummer.de.
Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention – Eine Übersicht aller telefonischer, regionaler, Online- und Mail-Beratungsangebote in Deutschland gibt es unter suizidprophylaxe.de
Beratung und Hilfe für Frauen – Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist ein bundesweites Beratungsangebot für Frauen, die Gewalt erlebt haben oder noch erleben. Unter der Nummer 08000 116 016 und via Online-Beratung unterstützen werden Betroffene aller Nationalitäten rund um die Uhr anonym und kostenfrei unterstützt.
Psychische Gesundheit – Die Neurologen und Psychiater im Netz empfehlen ebenfalls, in akuten Situationen von Selbst- oder Fremdgefährdung sofort den Rettungsdienst unter 112 anzurufen. Darüber können sich von psychischen Krisen Betroffene unter der bundesweiten Nummer 116117 an den ärztlichen/psychiatrischen Bereitschaftsdienst wenden oder mit ihrem Hausarzt Kontakt aufnehmen. Außerdem gibt es in sehr vielen deutschen Kommunen psychologische Beratungsstellen.