Troisdorfer MaskenverweigererProzess startet verzögert – Ein Angeklagter zeigt Reue
Troisdorf/Bonn – Anfang Mai 2020 erhielt Alexander S. eine Whatsapp-Nachricht seiner Schwester Anna: Ihr Lebensgefährte Nikolay habe da eine Aktion vor, ob er mitmachen wolle. S. (39), in Sibirien geboren, Fallschirmjäger bei der Bundeswehr, dann Dachdecker, Türenbauer und Gelegenheitsjobber, ging es nicht gut, er hatte Schulden – und sagte zu. „Der Niko“ wollte gegen die Maskenpflicht protestieren. Das passte S. in den Kram, sein Bistro in Troisdorf war wegen der Pandemie „gerade den Bach runter gegangen“. Zu dritt zogen sie am 9. Mai 2020 los.
Seit Donnerstag versucht die 1. Große Strafkammer des Bonner Landgerichts den Fall, der als Maskenverweigerung in die Schlagzeilen geraten war, aufzuklären. Das ist für die Prozessbeteiligten, vor allem den Kammervorsitzenden Dr. Jens Rausch, eine Geduldsprobe.
Als der Richter den Prozess gegen 9 Uhr eröffnete, fehlten zwei Angeklagte, Anna S. (31) und Nikolay C. (36). Rausch: „Wir sitzen hier vor gelichteten Reihen.“ Die Pflichtverteidiger Martin Kretschmer und Martin Mörsdorf gaben zu Protokoll, keinen Kontakt zu ihren Mandaten zu haben. Kretschmer wusste, dass Anna S. am 16. Juni ein Kind geboren hatte. Die Annahme der Vorladung hatte das Paar verweigert, daraufhin hatten die Beamten sie in den Briefkasten gesteckt. Anna S. hatte Widerspruch gegen die Verfahrenseröffnung eingelegt, der aber keine aufschiebende Wirkung hat.
Troisdorf: Geplante Aktion im Supermarkt gegen Maskenpflicht
Die Staatsanwaltschaft wirft den Geschwistern S. sowie Nikolay C. gefährliche Körperverletzung, Angriff auf Polizeibeamte und weitere Straftaten wie Beleidigung und unerlaubten Waffenbesitz vor.
Am 9. Mai 2020 sollen sie um 14.45 Uhr den Supermarkt in Troisdorf ohne Maske betreten haben. Als Mitarbeiter sie aufforderten, Mund und Nase zu bedecken, soll sich eine Auseinandersetzung entwickelt haben, so dass die Polizei gerufen wurde. Zwei Beamte wurden massiv angegriffen, einer erlitt erhebliche Gesichtsverletzungen, der andere Prellungen. Ein Video der Aktion, gefilmt mit Handys und Bodycam, tauchte im Netz auf. Doch bis die Anklage verlesen werden konnte, sollte es Stunden dauern.
Nachdem der Richter die beiden Angeklagten gegen 9.18 Uhr erneut vergeblich aufgerufen hatte, ordnete er die zwangsweise Vorführung an. Das war offenbar vorbereitet worden, in Troisdorf standen Spezialkräfte der Polizei bereit, um die Anordnung umzusetzen. Gegen 10.45 Uhr fuhren sie an der Gotenstraße vor.
Einige Beamte verschwanden im Haus, weitere, darunter ein Hundeführer, bezogen Stellung im Vorgarten, um zu verhindern, dass die beiden vom Balkon aus flüchteten. Wenig später führten zwei Beamte den 36-Jährigen in Handschellen zum Streifenwagen. Unter den Augen der Nachbarn wurde er durchsucht. Begleitet von uniformierten Beamtinnen und einer Vertreterin des Jugendamts, trat wenig später die Partnerin des Angeklagten auf die Straße, am Arm die Trageschale mit dem Kind. Auch sie musste in ein Auto der Polizei steigen, kurz darauf fuhr die Kolonne in Richtung Bonn davon.
Im Gerichtssaal brachten Justizwachtmeister C. gefesselt zur Anklagebank, wo er auf Russisch in die Mikrofone von Medienvertretern rief: Die Mutter seines Kindes sei „am Hals gepackt“ worden. „Ich wollte meine Familie beschützen.“
Troisdorfer Maskenverweigerer: Ein Angeklagter wird vom Staatsschutz der Reichsbürgerszene zugeordnet
Der Staatsschutz ordnet den 36-Jährigen der Reichsbürgerszene zu. In deren Jargon sprach er auch vor Gericht: „Wenn es ein gerechter Staat wäre, wäre ich nicht hier.“ Oder: „Ich bin ein souveräner und freier Mensch. Ich möchte, dass ich entlassen werde.“
Er wolle sich selbst verteidigen, seinen Pflichtverteidiger erkenne er nicht an. Als der Richter ihn aufforderte, sich zu setzen, weigerte sich der Angeklagte. „Ich stehe!“ Rausch: „Dann sorge ich dafür, dass Sie sich setzen.“ Fünf Justizwachtmeister näherten sich dem Mann, zwei Polizeibeamte im Zuschauerraum standen bereit, doch dann bequemte sich der Mann, Platz zu nehmen und zuzuhören.
So erfuhr er, dass der Kammervorsitzende aus Fürsorge um die Gesundheit der jungen Mutter deren Verfahren von dem der Männer abtrennte und sie nach Hause schickte. Gegen sie wird gesondert verhandelt.
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Der Streit in dem Supermarkt, sagte später NRW-Innenminister Herbert Reul im Landtag, sei „ganz bewusst provoziert“ worden. So sieht es auch der Bonner Rechtsanwalt Christoph Arnold, der die Nebenklage eines 54-jährigen Polizeioberkommissars vertritt. „Da tut sich was Neues auf“, sagte Arnold auf Anfrage. „Das geht in Richtung Terrorismus.“
Alexander S. scheint die Sache zu bereuen. „Es tut mir ausdrücklich leid“, erklärte er . Das mit dem Film sei die Idee vom Niko gewesen, er habe nur dolmetschen sollen. „Eine Eskalation war nicht geplant.“
Der Prozess wird fortgesetzt.