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WandelHistorische Bilder aus Siegburg – die Geschichte der Bahn

Lesezeit 10 Minuten

Unter Volldampf schnauft der Personenzug über die Unterführung an der Bonner Straße.

Siegburg – Der Seufzer war selbst im Preußischen Abgeordnetenhaus in Berlin nicht zu überhören.

„Früher“, schrieb Siegburgs Bürgermeister Carl Plum, „konnte das bessere Publikum, ohne erheblichem Gedränge ausgesetzt zu sein, den Bahnsteig erreichen.“

Doch mittlerweile sahen sich die feinen Leute vom Heer der Fabrikarbeiter umzingelt, die zu ihren Arbeitsplätzen in der Königlich Preußischen Geschossfabrik und dem Königlich Preußischen Feuerwerkslaboratorium strömten.

Die Rüstungsindustrie schleuderte die kleine Stadt gleichsam ins 20. Jahrhundert. Innerhalb weniger Jahre schnellte die Einwohnerzahl von 4000 auf 7500 in die Höhe. Hinzu kam der „große Arbeiterverkehr“ von 4000 Beschäftigten der Rüstungsindustrie.

„Gewaltiger Verkehr im Bahnhof“

„Sie sehen, welch ein gewaltiger Verkehr“ im Bahnhof herrsche, machte am 15. April 1902 auch der Siegburger Abgeordnete Dr. Karl Georg Becker in einer Rede vor dem Abgeordnetenhaus auf den „Zustand der Bahnhofsanlagen“ aufmerksam. Die seien „unhaltbar“ und „Abhilfe dringend erforderlich“.

Zwar erreichte er im Tauziehen mit der Preußischen Regierung keinen Neubau, aber immerhin eine Erweiterung mit separaten Zugängen für die bessere Gesellschaft und jene, die sich nur Billetts der dritten und vierten Klasse, damals spöttisch „Holzklasse“ genannt, leisten konnten.

Neues Zeitalter

Bereits 1859, mit dem Anschluss an das Netz der Cöln-Mindener Eisenbahngesellschaft und der Jungfernfahrt am 1. Januar bis Hennef, hatte auch für Siegburg das neue Zeitalter begonnen, erinnert Stadtarchivarin Dr. Andrea Korte-Böger in der neuen Ausgabe der Siegburger Blätter, die der Geschichte der Bahnhöfe der Kreisstadt gewidmet ist.

Der – nennen wir ihn – „Hauptbahnhof“ am heutigen Europaplatz war der erste und schon damals der wichtigste. Er ist es erst recht, seit er 2002 zum ICE-Haltepunkt avancierte.

Dass auch dem ein zähes Tauziehen vorausging, schreibt die Stadtarchivarin nicht. Dafür ist sie voll des Lobes für das von Architekt Hartmut de Corné entworfene Bahnhofsgebäude, das sie „modern und architektonisch herausragend“ nennt.

Freilich war auch das Gebäude aus dem 19. Jahrhundert repräsentativ mit barockem Portal und Rundbogenfenstern gestaltet. Im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt, wurde das Gebäude jedoch nur notdürftig repariert und geriet in der Folgezeit zusehends zum Schandfleck.

Zur 900-Jahr-Feier der Kreisstadt 1964 drängten die Stadtväter denn auch auf einen Abriss des alten Bahnhofs und einen Neubau, der dann, wenn auch mit Verspätung, am 6. August 1965 eingeweiht wurde.

Freilich missfiel den Siegburgern der Schuhkarton, der jeden architektonischen Anspruch vermissen ließ. „Sparen steht an erster Stelle“, verteidigte sich die Bundesbahndirektion Köln gegen die Kritik aus Siegburg.

Tor zum Aggertal

Das neue, ungeliebte Tor zur Stadt prägte keine 40 Jahre das Bild im Bahnhofsviertel. Hingegen präsentiert sich das Tor zum Aggertal heute noch so prächtig wie 1907, als der Nordbahnhof erbaut wurde. Hier, an der Kronprinzenstraße, machte die liebevoll „Luhmer Grietche“ genannte Aggertalbahn Station, die 1883/84 ihren Betrieb aufnahm.

In den 1980er-Jahren wurde das Bahnhofsgebäude, das unter Denkmalschutz steht, für Wohn- und Bürozwecke umgebaut und in den letzten Jahren erneut aufwendig restauriert.Denkmalschutz hätte auch den Bröltalbahnhof auf der Zange retten können, doch ist er längst der Spitzhacke zum Opfer gefallen.

Dabei war er Verkehrsknoten einer von Fachleuten wegen ihrer Technik und Wirtschaftlichkeit oft bewunderten Kleinbahn. Nur halb so breit wie die Normalspur war das Gleisbett der Schmalspurbahn, die am 1. Mai 1899 die „Brölthaler Eisenbahn Aktien-Gesellschaft“ mit Sitz in Hennef eröffnete.

Vor allem diente die Bahn dem Gütertransport von Erz aus dem Bröltal, Tonprodukten aus dem Pleistal und Basalt aus dem Westerwald. Siegburg-Zange war Umschlagplatz von der Schmal- auf die Normalspur der Reichsbahn, und mehr noch: Der kleine Bröltalbahnhof geriet zum Tor in die Sommerfrische. Erholungssuchende reisten von Siegburg-Zange aus in den Westerwald, um „auf Wanderungen in vermeintlich noch unberührter Natur neue Kräfte zu schöpfen“, so die Autorin.

Unter Volldampf schnauft der Personenzug über die Unterführung an der Bonner Straße.

Den Umstand nutzte das Management der „Brölthaler Eisenbahn“ denn auch geschickt für Eigenwerbung, ebenso Restaurationsbetriebe und Hotels. Zum gesellschaftlichen Treffpunkt geriet unterdessen die Bahnhofsgaststätte, die von Fritz Hardung geführt wurde.

Die ganze Familie war musikalisch begabt und bot an den Wochenenden, bisweilen von Gästen unterstützt, fröhliche Unterhaltung inklusive Tanz. Im Bahnhof, so Korte-Böger, „ging die Post ab“. (Günter Willscheid)

Die Siegburger Blätter, Band 56, sind gegen eine Schutzgebühr von vier Euro unter anderem im Historischen Archiv, Rathaus, Nogenter Platz, erhältlich.

Lesen Sie auf der der nächsten Seite: das Leben im alten Seligenthal

Ein feuriger Wein soll es gewesen sein und in guten Jahrgängen derart „angenehm mundend“, dass ihn mancher nicht an der Sieg gesucht und „im Handel unter dem Himmel weiß welchen Namen“ gefunden habe.

So schwärmt Ernst Weyden 1865 in seinem Buch „Das Siegtal“ von dem edlen Tropfen, den der Hümmerich hervorbrachte, wie der Hügel über Seligenthal heißt. Längst ist der Sonnenhang mit stattlichen Villen bebaut, weshalb ihn der Volksmund „Beverly Hills“ nennt. Damals war er Weinberg, und auch unten, im Tal der Seligen, kletterten Reben an manchen Hausfassaden empor, wie historische Fotografien belegen.

Die Fotokartons mit der Aufschrift „Seligenthal“ hat Verleger Reinhard Zado zufällig im Internet aufgestöbert und damit bei Stadtarchivarin Dr. Andrea Korte-Böger natürlich gleich Begeisterung geweckt.

Was auf den ersten Blick so romantisch anmutet, offenbart doch die Armseligkeit jener Menschen, die sich im Dunstkreis der Mönche angesiedelt hatten, um deren Mühlen zu betreiben: Über die schlammige Dorfstraße watscheln Enten, Gänse und Hühner, und von den unverputzten Häusern rieselt die Farbe.

Ein offensichtlich etwas altersschwacher Gaul zieht den archaischen Leiterwagen, Frauen schleppen Feldfrüchte im Korb nach Hause, schälen vor der Haustür Kartoffeln oder fegen den Hof, während sich die Männer, in stolzer Pose auf dem Heuwagen thronend, dem Fotografen präsentieren.

Einen Hauch von Glückseligkeit einer Kindheit in Seligenthal vermittelt das Foto mit den in der Sieg planschenden Jungen.

Einzig eine Aufnahme mit Kindern, die in der nahen Sieg planschen, vermittelt einen Hauch von Glückseligkeit.

Günter Willscheid

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Als wandelnde Uhren 1934 beim Karnevalszug mitliefen

Als wandelnde Uhren gingen die Handwerker 1934 im Rosenmontagszug mit, warben für ihre Zunft und deren Fachkenntnis.

Auf eine 121-jährige Tradition konnte das Juweliergeschäft Schneider am Siegburger Markt zurückblicken, als es Ende 2014 schloss.

Filialisten und zunehmend der Internethandel machen den kleinen Geschäften das Leben schwer. Aber auch der gesellschaftliche Wandel, meint Gerd Schneider.

Längst sind die Zeiten vorbei, in denen die Uhrmacher, wie 1934 beim Rosenmontagszug, als wandelnde Uhren mit dem Slogan warben: „Versagt die Uhr, so denk daran, dass nur der Fachmann helfen kann“. Unsere Aufnahme zeigt die verkleideten Uhrmacher auf dem historischen Karnevalszug.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Als die Abtei als Lazarett diente

Im Juli 1914 zogen Benediktiner in die Abtei auf dem Siegburger Michaelsberg. Bereits kurze Zeit später brach der Erste Weltkrieg aus und die Abtei wurde zum Lazarett umgebaut.

In vier Kriegsjahren wurden dort täglich rund 250 Verwundete betreut. 50 Pfleger und Schwerstern kümmerten sich um die Verletzten. Obschon die Tagessätze mit 3,50 Mark für einen Soldaten und fünf Mark für einen Offizier nicht gerade eine florierende Einnahmequelle verhieß, versuchten die Mönche den Verwundeten das Leben so angenehm wie möglich zu gestalten.

Von Weihnachtsfesten mit „Konzertsängerin Fräulein Groene“ erzählt die Chronik und von einer Dampferfahrt nach Koblenz. Verwundete Frontkämpfer waren stets willkommen, ungebeten hingegen jene „Gäste“, die sich 1919 auf dem Berg einquartierten. „Caserne de la Marne“ nannten die französischen Besatzungstruppen jetzt die Abtei.

Lesen Sie im nächsten Abschnitt: Der Wiederaufbau des Hotel Reichenstein.

Hotel Reichenstein komplett zerstört

Das Hotel Reichenstein ist Geschichte. Die Bauarbeiten auf dem Areal am Oberen Markt laufen auf Hochtouren, demnächst zieht in den Neubau die Modekette H&M ein.

Die Eltern von Wilfried Kranz hatten das Grundstück des bei einem Bombenangriff 1945 zerstörten Hotels Reichenstein erworben, weil der Vater sein Elektrogeschäft von der Holzgasse näher ins Zentrum rücken wollte. Dass zugleich das Hotel neu entstehen sollte, war Ehrensache. Der Vater, der Bruder, der Onkel und der damals 16 Jahre alte Wilfried machten sich ans Werk.

„Warmes Wasser ohne Heizung“, titelte 1954 die Lokalzeitung und lüftete das Geheimnis des Bohrturms an der Goldenen Ecke. In der Baugrube installierte die Familie Kranz eine der ersten Wärmepumpen Deutschlands, um Bäder und Küche mit Erdwärme auf 50 Grad aufzuheizen.

Lesen Sie im nächsten Abschnitt: Viktoria ging es an den Kragen.

Viktoria

Viktoria hat viele Namen, die einen nennen sie „Friedensengel,“ die anderen „Siegessäule“, wieder andere „Kriegerdenkmal“. In den ersten Augustwochen des Jahres 1914 musste sie als Schutzengel herhalten.

„Viele Tausende“, so das Kreisblatt am 11. August 1914, versammelten sich abends wieder am „Fuße des Denkmals“ am oberen Markt in Siegburg, um „für Haus und Familie, für Thron und Altar zu kämpfen". Doch schon bald wich die Euphorie der Hysterie und es war lebensgefährlich, vor den Fabriktoren eine Verschnaufpause einzulegen.

Nach dem Krieg ging es Viktoria an den Kragen

Bis zu 800 Soldaten waren nach dem Krieg im Kloster untergebracht, allein 1919 musste die Stadt mit ihren damals 19 000 Einwohnern 6400 englische Offiziere und Soldaten beherbergen.

Jetzt ging es auch der Viktoria an den Kragen. Vermutlich nach durchzechter Nacht und Freude über den Versailler Vertrag stürmten Engländer in der Nacht zum 28. Juni 1919 das Kriegerdenkmal und versuchten mit Seilen, die Viktoria vom Sockel zu ziehen. Als das nicht klappte, nahmen sie Maultiere zur Hilfe, die aber nur die Kandelaber und die Einfassung niederreißen konnten. „Mit tiefem Groll im Herzen“, so der Bürgermeister, „nimmt die Bürgerschaft die Schändung teurer und wertgeschätzter Verstorbener“ hin.

Lesen Sie im nächsten Abschnitt: Das Ende des Zweiten Weltkriegs in Siegburg.

Das Ende des Zweiten Weltkrieges

Der Zweite Weltkrieg endete in Siegburg am 10. April 1945. Das Bild zeigt amerikanische GIs an der Ringstraße.

Auf einem Flugblatt war zu lesen: „Soldaten der Wehrmacht: Helft uns, den Krieg zu beenden! Keinen Schuss mehr schießen! Die braunen Teufel haben ausregiert!“

Die 50. Ausgabe der Siegburger Blätter hat sich dem Thema Kriegsende in der Kreisstadt gewidmet.

Lesen Sie im nächsten Abschnitt: Der "Aufbau-Abt" vom Michaelsberg

Abt Ildefons wirkte von 1919 bis zum Jahr 1971 in der Benediktiner Abtei auf dem Siegburger Michaelsberg.

Schon zuvor, mit der Genehmigung, auf dem Berg wieder klösterliches Leben einziehen zu lassen und eine Aufbauschule einzurichten, war der damals 32-Jährige als Philosophie-Lehrer im Jahr 1919 auf den Berg gezogen. Mit der Anerkennung als eigenständige Abtei wurde Pater Dr. Ildefons Schulte-Strathaus dann 1935 zum Abt gewählt.

Abt Ildefons hatte die Abtei auch durch die schweren Zetem von 1935 bis 1967 gelenkt. Er stellte das Gebäude unmittelbar vor dem zweiten Weltkrieg als Lazarett zur Verfügung. Trotzdem löste die Gestapo die Abtei 1941 wegen "Rechtsfeindlichkeit" auf.

"Er wurde als Abt mit der Schüppe in der Hand geradezu zum Symbol des Aufbauwillens nach den Verheerungen des Zweiten Weltkriegs“, érzählt die Stadtarchivarin Dr. Andrea Korte-Böger.

Das folgende Bild zeigt, wie der damalige Bürgermeister Dr. Schmand dem Abt am 24. März 1955 die Ehrenbürgerrechte verleiht.

Lesen Sie im nächsten Abschnitt: Als Siegburg Wertpapiere von 17,1 Millionen Mark auf den Finanzmarkt warf.

Wertpapiere für 17,1 Millionen Mark

Schon 1923 war der Haushalt Siegburgs marode: Mit Anleihen in Amerika wollte der damalige Bürgermeister Becker seinen maroden Haushalt sanieren. Dieses Bild zeigt eines der Wertpapiere. Insgesamt warf die Stadt Papiere im Wert von 17,1 Millionen Mark auf den amerkanischen Finanzmarkt.

Immerhin versprachen die Schuldscheine im Wert von 5000 Mark, die vor allem die dramatische Wohnungsnot in Siegburg lindern sollten, eine Rendite von fünf Prozent pro Halbjahr, weshalb ihr Absatz nach anfänglicher Skepsis auch „recht günstige Aussichten“ versprach, wie die mit der Vermittlung beauftragte Sparkasse Elberfeld an den Bürgermeister schrieb. Doch das änderte sich so schnell wie die Inflation ins Uferlose wuchs. Am Ende waren die Anleihen für die Stadt ebenso ein Verlustgeschäft wie für die Anleger.

Und auch für den Nachkommen eines Spekulanten, der 1964 aus der Kleinstadt Webster am Ontario-See nach Siegburg schrieb. In einem Koffer seines Großvaters hatte er mehrere Wertpapiere mit der Aufschrift „Anleihe der Stadt Siegburg, Rheinprovinz Deutschland 1923“ gefunden und hoffte, jetzt kassieren zu können.