Die ehemalige Profifußballerin und Streetworkerin Andrea Krieger wirft einen Blick auf die eigene Kindheit und die Jugendarbeit von heute.
WeltkindertagSiegburger Streetworkerin setzt auf Geduld, Wertschätzung und Fußball
Gar nicht fröhlich wirkte das Mädchen, das vor einigen Jahren mit der Siegburger Streetworkerin Andrea Krieger sprach. Dabei hätte es dazu mit einem frischen Abschluss von der Förderschule allen Grund gehabt. „Wie stolz bist Du darauf?“, fragte die Erzieherin, und die Antwort waren zwei Zentimeter zwischen Daumen und Zeigefinger. Monate später kannten sich die beiden besser. Andrea Krieger hakte noch einmal nach. Die Reaktion waren zwei weit auseinandergerissene Arme.
Wertschätzung ist immer ein Thema für die Siegburger Streetworkerin
Die Streetworkerin, die auch schon in einem Hort und einem Heim arbeitete, lebt für solche Momente. Und sie kann ziemlich gut beurteilen, wie es um Kinder und Jugendliche in der Region bestellt ist, wenn morgen, am 20. September, Weltkindertag ist. „Wertschätzung ist immer ein Thema“, das gelte für junge Menschen ebenso wie für sie selbst und ihren Arbeitgeber, die Katholische Jugendagentur Bonn. Am besten sei, wenn sich zur Wertschätzung das Vertrauen gesellt, jemanden „einfach mal machen zu lassen“.
Die Leiterin von Streetwork Siegburg zeigt mit Stolz auf das eigene Parkschild auf dem Parkplatz am Kleiberg, an dem sie ihr feuerrotes Mobil geparkt hat, einen Sprinter, der früher für die Feuerwehr im Einsatz war. Spiele, Musikboxen, Snacks, Getränke und Obst hat sie im Inneren untergebracht, sogar eine Playstation, die sich Jugendliche gewünscht hatten. Bei der Einrichtung hatte sie freie Hand, auch bei der Auswahl von Klapptischen und Stühlen. Sie selbst trinkt gerne einen Instantkaffee. „Das gibt so ein gewisses Campinggefühl.“
Der Platz ist strategisch gut gewählt, der nahe gelegene Michaelsberg für junge Siegburgerinnen und Siegburger ein beliebter Treff. „Ich bin sehr zufrieden.“ Das ist sie auch, wenn sie merkt, dass sie, die immer ein offenes Ohr für ihre Kundschaft hat, manchmal auch nicht gebraucht wird: etwa, wenn sich eine Clique in den gemütlichen Sprinter verkrümelt hat, quatscht, Musik hört oder im Winter draußen eine Schneefrau baut, während drinnen die Standheizung läuft.
Besondere Herausforderungen für die Siegburgerin: Corona und Streetwork im Homeoffice
Kindheit habe sich, gerade im Vergleich zu ihrer eigenen in Seelscheid in den 70er uns 80er Jahren, sehr verändert, gerade in den vergangenen Jahren. Mit Streetwork begann die heute 59-Jährige kurz vor der Corona-Pandemie. Den Draht zu den Jugendlichen hielt sie über elektronische Medien. „Bei vielen Jugendlichen fehlte das soziale Gerüst, sie waren sich selbst überlassen.“
Manche verloren Freunde, die einfach gar nicht mehr in der Öffentlichkeit auftauchten, und hatten kaum Ansprechpartner. Danach wurde „Cliquenarbeit“ sehr wichtig, für sieben bis acht Personen. „Für mich ist es wichtig, mit Respekt und auf Augenhöhe miteinander umzugehen. Wenn das ehrlich ist, spüren Jugendliche das sofort.“ Lachen ohne Ende, aber auch Weinen ohne Ende, all das ist in dem roten Mobil möglich. Und mitunter gerät sogar das Smartphone in Vergessenheit. Internet und soziale Medien, diesem Dschungel seien Kinder früher nicht ausgesetzt gewesen.
Andrea Krieger war eine erfolgreiche Bundesliga-Fußballerin, 1986 wurde sie als Torhüterin mit der SSG Bergisch Gladbach Deutsche Vizemeisterin und Vizepokalsiegerin.„Mit 16 musste ich eine Entscheidung treffen“, erinnert sie sich, der Verein hatte sie schon als 16-Jährige angefragt. „Aber ich wusste, dass man im Frauenfußball kein Geld verdienen kann. Ich musste also schnell einen Beruf finden.“ Trotz der „Erzieherschwemme“ gelang ihr die Aufnahme in die Fachschule für Sozialpädagogik. Die erste Stelle ließ nicht lange auf sich warten, als Leiterin einer Hortgruppe in einer Kölner Kita.
Andrea Krieger: Die eigene Kindheit in Seelscheid hat sie nicht vergessen
„Ich habe meine Kindheit nicht vergessen“, sagt sie, sie sei für sich selbst verantwortlich gewesen, habe den Wecker gestellt und sich auch selbst morgens ein Brot gemacht – das sei einfach das Erziehungskonzept ihrer Eltern für sie und ihre beiden Geschwister gewesen. „Das hat auch dazu geführt, Dinge schnell entscheiden zu können.“ Fußball in einer Männermannschaft zu spielen, hatte ihr Vater ihr allerdings verboten.
Dafür spielte sie mit elf Jahren in einer Frauenfußballmannschaft beim TSV Seelscheid, fußballerisch ihre wichtigste Zeit, wie sie findet. Die erfolgreichste Zeit war die bei der SSG 09 Bergisch Gladbach, die schönste aber ihre Jahre als Trainerin. So wie sie selbst gefördert wurde, ist es ihr auch bei der Arbeit als Streetworkerin wichtig, auf schlummernde Talente zu achten.
„Ich bin jemand, der erst einmal beobachtet und Dinge sacken lässt, meine Philosophie ist, die Kinder einfach machen lassen.“ Im Hort etwa habe es einen Jungen gegeben, der ewig lange einfach nur einen Tischtennisball hin- und her titschte, sodass schon ein Therapeut hinzugezogen werden sollte. Aber irgendwann erwies er sich als „echte Sportskanone und toller Fußballer“, was er selbst wohl gar nicht gewusst habe. Geduld, auch das sei wichtig bei der Arbeit mit Kindern.
Kinder könnten heute viel weniger über ihre Zeit bestimmen, seien viel fremdbestimmter und in Strukturen verhaftet. „Wir waren damals viel mehr mit Freunden unterwegs, im Wald und natürlich auf dem Fußballplatz.“ Dabei sei die Erfahrung von „Selbstwirksamkeit“ für Kinder wichtig. Beim Fußball etwa, wie sich eigene Ideen auf das Spiel auswirken. Kein Wunder, dass die Jugendarbeit von Andrea Krieger immer wieder auf den Fußballplatz und in Soccerhallen führt.
„Kinder denken in vielen Punkten ganz anders als Erwachsene. Es ist wichtig, zuzuhören und sich zu fragen, was möchte mir ein Kind mitteilen“, hat die Erzieherin beobachtet. „Viele haben eine richtig gute Idee von ihrem Leben.“ Das allerdings sei wahrscheinlich besser als früher. Von 2009 bis 2016 leitete sie das Kulturcafé in Siegburg, „mit einem tollen Team“, wie sie heute noch findet. Die Jugendlichen sollten das Café als Zuhause empfunden. „Zeit miteinander zu genießen, auch wenn nicht alle gleich ticken“, das sei an der Ringstraße möglich – ganz so wie in einer Fußballmannschaft.