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SanierungDeshalb hängt die Anna in  Siegburger Kirche St. Servatius schief

Lesezeit 3 Minuten
Manfred Bethge im Glockenturm von Sankt Servatius in Siegburg. Er leuchtet von Holzwürmern zerfressene Balkenstücke an, die ausgetauscht wurden. Stahlträger und neue Eichenbalken ersetzen sie jetzt.

Manfred Bethge im Glockenturm von Sankt Servatius in Siegburg. Er leuchtet von Holzwürmern zerfressene Balkenstücke an, die ausgetauscht wurden. Stahlträger und neue Eichenbalken ersetzen sie jetzt.

Vieles wurde im Laufe der Jahrhunderte im Glockenturm improvisiert. Es war nicht immer fachgerecht aus heutiger Sicht.

„Im Laufe der Jahrhunderte wurde hier viel improvisiert, nicht immer waren wohl Fachleute am Werk“, stellt Manfred Bethge fest. Der Spezialist für die Sanierung von Glockentürmen kennt sich aus. „Ich war vielleicht schon in tausend dieser sakralen Bauwerke“, berichtet er. Den entferntesten Auftrag habe er in Lima in Peru erledigt, in Norwegen und im Baltikum sei er schön öfter gewesen. Zurzeit ist sein Wissen in der Pfarrkirche St. Servatius in Siegburg gefragt. Der Glockenstuhl dort muss saniert werden.

Die vier Glocken mit den Namen St. Servatius, Allerheiligen, St. Anna und Totenglocke waren in Gegenschwingungen geraten. „Durch diese Dissonanzen ist das Mauerwerk in Mitleidenschaft gezogen worden“, berichtet Bethge. „Das lag daran, dass die 190 Kilogramm schwere Totenglocke irgendwann um 90 Grad gedreht wurde. Dadurch sind Gegenschwingungen entstanden.“  Deshalb wurde sie wieder in ihre ursprüngliche Ausrichtung gebracht. Zahlreiche Holzbalken im Glockenstuhl waren ebenfalls in die Jahre gekommen. Sie wurden ersetzt.

Die Sologlocke im Turm von Sankt Servatius, auch Totenglocke genannt. Sie wurde 1768 im Betrieb von Philipp Rincker aus Sinn im Dillkreis aus Bronze gegossen, wiegt 190 Kilogramm. Die Totenglocke wurde um 90 Grad gedreht, auch Holzbalken wurden dabei ersetzt.

Die Sologlocke im Turm von Sankt Servatius, auch Totenglocke genannt. Sie wurde 1768 im Betrieb von Philipp Rincker aus Sinn im Dillkreis aus Bronze gegossen, wiegt 190 Kilogramm. Die Totenglocke wurde um 90 Grad gedreht, auch Holzbalken wurden dabei ersetzt.

Die Kirche St. Servatius entstand als dreischiffige Basilika mit zwei Emporen zwischen 1150 und 1170. Der Glockenstuhl im 60 Meter hohen Westturm wurde nach dem Stadtbrand von 1647 saniert. Doch das war wohl bis heute nicht die einzige Reparatur im Turm.

Ein alter Eichenbalken im Glockenturm in Siegburg fand früher Verwendung im Fachwerkhaus

„Wann hier oben was improvisiert wurde, kann keiner mehr nachvollziehen. Das ist der helle Wahnsinn.“ Bethge zeigt auf einen sehr alten Eichenbalken. „Der muss zuvor in einem Fachwerkhaus Verwendung gefunden haben.“ Eine rechteckige Aussparung zeigt, dass dort früher ein anderer Balken eingefügt war.

Manfred Bethge an der Glocke Anna. Er zeigt auf einen alten Eichenbalken, der vorher in einem Fachwerkhaus verwendet wurde. Zu erkennen sei dies an der rechteckigen Aussparung.

Manfred Bethge an der Glocke Anna. Er zeigt auf einen alten Eichenbalken, der vorher in einem Fachwerkhaus verwendet wurde. Zu erkennen sei dies an der rechteckigen Aussparung.

Und er erkennt noch mehr. Geschmiedete Nägel halten ein „Angstholz“, wie es Bethge nennt. Balken ohne nachvollziehbar statische Funktion seien in den Glockenstuhl eingebaut worden, „um auf Nummer sicher zu gehen.“ Als die Arbeiten im Jahr 2019 begonnen hatten, waren Balken mit Löchern von Würmern und angekokeltes Holz im Glockenstuhl zu finden. Sie wurden ersetzt oder verstärkt. So sind nun Stahlträger in Kombination mit neuen und alten Eichenbalken zu sehen. „Das hält nun.“

Wenn die Glocken im Siegburger Kirchturm schwingen, erreichen sie eine hohe Schubkraft

Glocken erreichen, wenn sie schwingen, leicht das dreifache ihres Gewichtes an Schubkraft. Die Servatius mit ihren 1750 Kilogramm braucht deswegen eine solide Aufhängung, die Anna wiegt 1100 Kilogramm, die Allerheiligen 750. Läuten alle drei zusammen, werden enorme Kräfte entfesselt. Da muss alles stimmen.

Tut es aber nicht. Wenn man genau auf die 1656 gegossene Anna schaut, fällt auf, dass der Klöppel nicht ausgerichtet ist. „Der ist gerade, aber die Glocke hängt schief“, erklärt Bethge. Anna müsse wohl gerichtet werden, weil sich im Laufe der Jahrhunderte das Holz verzogen haben könnte.

Die Glocke Anna wurde 1656 gegossen von Claudius Lamiral und Antomius aus Paris in Arrnsberg/Bonn, sie wiegt 1100 Kilogramm und hat einen Durchmesser von 1220 Millimetern. Sie hängt allerdings schief.

Die Glocke Anna wurde 1656 gegossen von Claudius Lamiral und Antomius aus Paris in Arrnsberg/Bonn, sie wiegt 1100 Kilogramm und hat einen Durchmesser von 1220 Millimetern. Sie hängt allerdings schief.

Statiker Martin Bernhardt vom Büro Schwab Lemke aus Köln ist gekommen, um die Ausführung der Sanierungsarbeiten zu überprüfen. Er ist Spezialist für historische Bauten. Nach einem längeren Probeläuten überprüft er auch das Mauerwerk. Die Fassade und Säulen im Glockenturm müssen kontrolliert werden.

Daniel Plützer vom Architekturbüro Ernst aus Zülpich begleitet ihn. Es geht darum, den Schaden am Mauerwerk festzulegen. „Dann muss eine Ausschreibung zur Sanierung gemacht werden“, erklärt Plützer.     

Ein Andreaskreuz statt eines Querbalkens vor dem Elektrokasten würde mehr Stabilität im Glockenturm von Sankt Servatius in Siegburg bringen.

Ein Andreaskreuz statt eines Querbalkens vor dem Elektrokasten würde mehr Stabilität im Glockenturm von Sankt Servatius in Siegburg bringen.

Wann die Glocken von St. Servatius endgültig wieder läuten, kann noch niemand genau sagen. „Wichtig ist, dass alle Arbeiten fachgerecht ausgeführt werden“, betont Statiker Bernhardt. Alle Beteiligten müssten da sehr genau sein. Improvisiert werden dürfte diesmal nichts. „Wir müssen heute die Fehler aus der Vergangenheit reparieren.“ Das sieht auch Manfred Bethge so. Er hat zum Beispiel entdeckt, dass der Bereich vor dem Sicherungskasten verbessert werden könnte. Der einfache Querbalken könnte durch ein Andreaskreuz ersetzt werden. „Das schauen wir uns mal an“, so Bernhardt.