Mögliche Attentäter zu erkennen und zu stoppen, das ist Aufgabe des Siegburger „Periskop“-Teams.
Projekt PeriskopWie die Polizei Rhein-Sieg potenzielle Amokläufer aufspürt

Um mögliche Attentäter ausfindig zu machen und zu stoppen, lädt die Kreispolizeibehörde Rhein-Sieg zu Fallkonferenzen nach Siegburg ein.
Copyright: Quentin Bröhl
Sie kommen scheinbar aus dem Nichts und sind eine tödliche Gefahr: Wie können potenzielle Amokläufer erkannt und rechtzeitig gestoppt werden? Darum dreht sich das Polizei-Projekt „Periskop“ des Landeskriminalamts, in das auch Siegburger Ermittler eingebunden sind. Aktueller Fall: ein Syrer, der eine ihm unbekannte Frau in Sankt Augustin an der Haustür angegriffen hat und nun in der Psychiatrie sitzt.
„Der Mann ist zuvor nie in Erscheinung getreten“, sagt Polizeisprecher Stefan Birk. Es habe nach der Gewalttat im November eine Gefährderansprache von Kollegen unter Einbindung der Periskop-Gruppe gegeben, berichten die Beamtinnen und Beamten im Pressegespräch. Dank der Vernetzung mit Institutionen wie dem Sozialpsychiatrischen Zentrum (SPZ) wurde der psychisch kranke Tatverdächtige von der Straße geholt, wie Birk schildert: „In diesem Fall hat alles funktioniert.“
Schnelle medizinische Hilfe nach der Tat in Sankt Augustin bedeutet Schutz für die Allgemeinheit
Die schnelle medizinische Hilfe für ihn biete zugleich der Allgemeinheit Schutz. Genau darum geht es bei dem Präventionsmodellprojekt der Polizei in Nordrhein-Westfalen, das im Herbst 2022 startete und an dem mittlerweile alle 47 Dienststellen landesweit teilnehmen. „Vor die Lage zu kommen“, wie es im Fahnderdeutsch heißt, und Schlimmstes zu verhindern. Die Abkürzung „PeRiskoP“ steht für Personen mit Risiko-Potenzial.
Der Syrer sei ein typischer Fall, berichtet eine erfahrene Kriminalkommissarin aus dem Team: „Fast 100 Prozent der Menschen, mit denen wir es zu tun haben, haben psychische Probleme.“ Es sind hauptsächlich Männer, überwiegend zwischen 20 und Mitte 40. Nicht alle wurden zuvor straffällig.
Das ist der radikal neue Ansatz von „Periskop“: Die Polizei wird sonst nicht auf Zuruf von Familien, Arbeitskollegen, Nachbarn, Lehrern oder von Behördenmitarbeitern aktiv und beleuchtet den Hintergrund von Menschen, die sich aggressiv und unberechenbar gebärdeten. Die Strafverfolgung kommt üblicherweise erst in Gang, wenn etwas passiert ist.
Rund 130 Prüffälle landeten bei den Spezialisten in Siegburg
Rund 130 Prüffälle landeten bislang bei den Spezialisten, die auf ihre Aufgabe unter anderem in intensiven psychologischen Schulungen vorbereitet wurden. Sie habe es zuvor nicht für möglich gehalten, dass man potenzielle Gewalttäter an schweren Straftaten hindern könne, lautet die Erkenntnis der 52-jährigen Kommissarin, die sich zuvor zehn Jahre lang im KK 1 mit Sexualdelikten, Kindesmissbrauch und häuslicher Gewalt befasste. Als sie für das Präventions-Projekt ausgewählt wurde, „war ich zuerst sehr skeptisch“.
Auch die anderen Teammitglieder haben kriminalpolizeiliche Erfahrungen, kommen aus dem Betrugsdezernat, wie eine 40-jährige Kommissarin, oder aus der Kriminalprävention, wie ein 56-jähriger Regierungsbeschäftigter.
Die Polizeiarbeit bei Periskop ist auch Sozialarbeit
Regelmäßig finden in der Kreispolizeibehörde an der Frankfurter Straße Fallkonferenzen statt, bei denen die passenden Netzwerkpartner an einem Tisch sitzen und Informationen austauschen. Da kommt zur Sprache, wenn eine Person schon mehrfach auffällig wurde, zum Beispiel im Jobcenter, im Jugendamt, im Amtsgericht oder im Ausländeramt.
Drohungen, psychische Erkrankungen, krisenhafte Entwicklungen, all das könnten Anzeichen sein, dass es irgendwann knallt. Um einen Gewaltausbruch zu verhindern, ziehen die Experten an einem Strang. Häufig ist die Suchtberatung gefragt, die Familienhilfe, das SPZ, aber auch die Staatsanwaltschaft. Die Polizeiarbeit bei Periskop sei „auch Sozialarbeit“, so beschreibt es die erfahrene Ermittlerin.
Bei schweren Fällen sei es nicht mit einer Konferenz getan, sie beschäftigten die „Periskop“-Stelle über Monate und Jahre. Doch nicht jedem könne geholfen werden, „es gibt Menschen, die wir nicht eingefangen kriegen“, manchem fehle zum Beispiel die Krankheitseinsicht. Das Hauptziel, Risiken zu erkennen und Gefahren zu minimieren, sei stets vorrangig, betont der Polizeisprecher. Aus Gründen der Gefahrenabwehr dürfe der Datenschutz zurückstehen.
Nicht jeder der 130 Prüffälle kam auf den Konferenztisch. Einige konnten nach intensiver polizeilicher Recherche ad acta gelegt werden. Nach dem „Periskop“-Schema werde zunächst abgeklopft, ob die auffällige Person schon einmal polizeilich in Erscheinung getreten sei. Hat sie eine Waffenbesitzkarte oder möglicherweise Zugriff auf Schusswaffen im häuslichen Umfeld? Gibt es verdächtige Äußerungen im Internet, in sozialen Medien, unter Klarnamen oder Nicknames?
Menschen mit hohem Risiko streuten Informationen, bewusst oder unbewusst, sagt Stefan Birk. „Manchmal finden wir aber gar nichts.“ Das Netz ohne Anlass zu durchsuchen, dafür habe die Kreispolizei keine Kapazitäten. Das sei Sache des LKA in Düsseldorf, das auch Verdachtsfälle nach Siegburg melde.
Besorgte Lehrer wandten sich wegen Äußerungen eines Schülers an die Siegburger Polizei
Bisweilen verlaufe eine Überprüfung komplett im Sande. So wie bei einem Schüler. Aufgrund von diffusen Äußerungen, die einen Amoklauf befürchten ließen, hatten sich besorgte Lehrer an die Polizei gewandt. Diese nahmen den jungen Mann unter die Lupe und fanden keinen einzigen Hinweis, dessen Internetauftritt, zum Beispiel, sei nur „niedlich“ gewesen.
Auf den Rat an das Lehrpersonal, den Jugendlichen einfach darauf anzusprechen, folgte eine Entwarnung. Der sei aus allen Wolken gefallen, seine Worte seien ganz anders gemeint gewesen und harmlos. Ein pures Missverständnis, der Verdacht löste sich in Wohlgefallen auf. Stefan Birk: „Der Schüler hat gar nicht mitbekommen, dass die Polizei eingeschaltet wurde.“
Ernst nehme das „Periskop“-Team jeden Fall. Bei aller Sorgfalt, da machten sie sich keine Illusionen, könnten sie das Risiko aber nur minimieren, nicht ausschalten. Der Sprecher der Kreispolizei Rhein-Sieg zitiert den NRW-Innenminister Herbert Reul: „Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht.“