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Fokus auf NächstenliebeSo zelebrieren zwei Siegburger Familien im Ramadan das Fastenbrechen

Lesezeit 4 Minuten
An einem reich gedeckten Tisch beten die Freunde gemeinsam vor dem Fastenbrechen.

An einem reich gedeckten Tisch beten die Freunde gemeinsam vor dem Fastenbrechen.

Im muslimischen Fastenmonat Ramadan verzichten Gläubige von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf Getränke und Nahrung.

Fast hätte es Güzüm Cam erwischt: Hätten die Eltern ihrem Kind den Namen „Güzim“ gegeben, dürfte sie sich als „Auserwählte“ übersetzen. „Nicht schlimm, aber schon ziemlich witzig“, sagt sie, lacht und sortiert Weinblätter in eine Servierschale. Ihre wachen Augen blitzen, ihre Lippen formen ein breites, fröhliches Lächeln. Die 43-Jährige gehört zu den Gästen, die sich in der Wohnung der Familie Ücok zum Fastenbrechen im heiligen Fastenmonat Ramadan zusammenfinden.

Heißt: Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang wird auf Getränke und Nahrung verzichtet, der Blick richtet sich auf Zwischenmenschliches und moralische Werte. Güzüm Cam gehört zu jenen, die den Ramadan ernst nehmen und damit auch das Fasten. „Es ist aber ja nicht nur nicht essen“, sagt die in Heidelberg geborene Steuerfachgehilfin. Es sei das ganze Paket, die erhöhte Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse und Wünsche anderer.

Güzüm Cam (links) gehört zu den Gästen, die in der Wohnung von Elif Ücok (rechts) zum Fastenbrechen zusammengekommen sind.

Güzüm Cam (links) gehört zu den Gästen, die in der Wohnung von Elif Ücok (rechts) zum Fastenbrechen zusammengekommen sind.

Während der Zubereitung der Speisen für das Fastenbrechen, das gemeinsame Essen nach Sonnenuntergang, scherzen die Frauen, sprechen über Reisen, Beruf, Schule, Kinder, Kopftuchdebatten, Linzer Torte, das Ehrenamt im Verein Kunst- und Bildungsforum Bonn Rhein-Sieg (Kubifo). Auch Yesim Özenmis (49) ist dort aktiv, kümmert sich um Verwaltung und Büro. Sie sei Kölnerin, liebe den Karneval, das Schunkeln und die kölsche Musik, erzählt sie und steckt Walnusshälften in aufgeschnittene Datteln und Aprikosen. Ob sie schon einmal eine Karnevalssitzung besucht habe? „Nein, dazu braucht man wohl Bekannte mit den nötigen Kontakten.“

Witzig findet sie: Walnüsse sind während des Ramadans oft ausverkauft; offenbar kommt kaum ein zum Fastenbrechen gedeckter Tisch im heiligen Monat ohne sie aus. Rettich wird geraspelt, gewürzter Reis gedämpft, und im Backofen brutzeln Hähnchenbrüste. Yesim Özenmis kommt offenbar gern aufs Kopftuch zu sprechen. Sie habe Glück gehabt, erzählt die dreifache Mutter, die von Beruf technische Assistentin ist, „mein Mann hatte nichts dagegen“. Für sie war die Entscheidung dafür „die Vollendung meiner Religion, ein Punkt am Ende des Satzes“.

Ramadan: Nur zehn Prozent aller Muslime beten fünfmal täglich

Gastgeberin Elif Ücok nickt zustimmend. Stolz ist sie, dass sich alle bei ihr und Ehemann Mehmet wohlfühlen, die Stimmung gelöst und heiter ist. Wenn die 53-Jährige nicht gerade hinter dem Steuer ihres kleinen Busses sitzt und für den Rhein-Erft-Kreis Menschen mit Behinderung transportiert, gilt sie als „Zauberin“ in der Küche. 2012 reisten die Frauen gemeinsam nach Mekka. Engländer, Franzosen, Saudis, Afrikaner – auf ein internationales, spirituell ausgerichtetes Publikum trafen sie dort, „es war ein tolles Gefühl, und niemand hat sich über Baustellen oder Staub aufgeregt“.

Dabei sind es nicht einmal so viele, die den Vorgaben ihres Glaubens hundertprozentig folgen: Nur zehn Prozent aller Muslime beten fünfmal täglich, und längst nicht alle fasten konsequent im Ramadan. Im Wohnzimmer rücken die Männer einen schweren Dreisitzer an den niedrigen Couchtisch heran, legen Besteck aus und falten gewissenhaft geblümte Servietten. „Das mache ich sonst auch und nicht nur heute“, betont Semih Özenmis, während er Teller herbeiholt.

Semih Özenmis faltet im Wohnzimmer gewissenhaft die geblümten Servietten.

Semih Özenmis faltet im Wohnzimmer gewissenhaft die geblümten Servietten.

Was nehmen die befreundeten Familien mit in den Post-Ramadan, ist Enthaltsamkeit nachhaltig, und wenn ja, wie denn nun? Verzicht und Entbehrung sind nicht leicht und über einen ganzen Monat hinweg auch kein Pappenstiel. Ekrem Özenmis (23) dachte viel an jene, die die Perspektive auf bessere Zeiten nicht hätten, das habe ihm die Kraft gegeben, durchzustehen – das Fasten, ein Lehrmeister in Sachen Demut? Es gehe ums Wesentliche: „Der Fastenmonat fokussiert Nächstenliebe, nichts anderes.“

Semih Özenmis sagt, bereits in seiner Jugend habe er die christliche, jüdische und islamische Lehre kritisch durchforstet, hinterfragt, viele Knackpunkte wie Parallelen ausgemacht. Angekommen ist er dann doch in der Religion, die ihm einst seine Mutter näherbrachte. Bei Tisch rücken alle zusammen, richten die Handflächen nach oben. Genau so könnte es in einer christlichen Familie um Ostern herum lauten: „Oh Herr, in deinem Namen habe ich gefastet, an dich glaube ich, dir vertraue ich mich an, mit deinen Gaben breche ich mein Fasten.“

Das Gebet nutzt jeder im Raum noch für einen leisen, persönlichen Austausch mit „dem da oben“. Während die Kinder Ahmed Melih Özenmis (9), Emin Hüseyin Cam (9) und Berkay Sinan Çicek (6) auf dem Fliesenboden einen kleinen Teppich ausbreiten, „Mensch ärgere dich nicht“ und Quartett mit Formel-Eins-Karten spielen, bittet eine der Frauen still um Frieden, um eine friedvolle Gemeinschaft aller Völker. Am Ende macht wieder nur ein Buchstabe den kleinen Unterschied deutlich: Ein gemeinsames „Amin“ heißt nichts anderes als „Amen“.