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Soziales ProjektFreitags werden Bücher in Sankt Augustin zum Kilopreis verkauft

Lesezeit 4 Minuten

Paradies für Leseratten: Rund 25000 Bücher stehen in der alten Turnhalle.

Sankt Augustin – Einst kämpfte hier der Grenzschützer Werner Schuckmann gegen die Missionare um Bälle und Punkte, jetzt besucht er die alte Kloster-Turnhalle nur noch zu Denksportzwecken. Obwohl: Der 75-Jährige gerät heute ganz schön ins Schwitzen, so hat er an seiner Ausbeute zu schleppen. Fast fünf Kilogramm zeigt die Waage an, auf der sich dicke Wälzer stapeln. Unter Basketballkörben stehen Bücherregale, und selbst die alten Umkleiden sind längst mit Lesefutter gefüllt. Die Bücherhalle, von außen schlicht, eröffnet nicht nur für Schuckmann ein wahres Paradies.

Was als erstes auffällt beim Blick in die Gesichter der Besucher: Alle lächeln. Und das liegt nicht nur an den Spottpreisen. Die meisten Druckwerke wechseln für 2,50 Euro pro Kilo den Besitzer.

Ausrangiert: 80 Prozent der Spenden landen direkt im Container. So leid es dem Ehrenamtler-Team auch tut.

Es sind die immense Auswahl, das liebevoll gestaltete Ambiente mit Hockern und Sofas und toller Deko, die selbst Stammgäste immer wieder von Neuem begeistert, schildern Hildegard und Nando Belardi, die fündig geworden sind. Zuvor aber haben sie einige Bücher abgegeben, um Platz zu schaffen zu Hause in Bensberg. Jetzt können sie die Lücken wieder füllen.

Viererteam aus Ehrenamtlern

Ja, er mache offenbar viele Menschen glücklich, sagt, darauf angesprochen, Guido Hackelbusch. Der Ehrenamtler strahlt selbst übers ganze Gesicht, ist er doch ganz in seinem Element. Der gelernte Bibliothekar arbeitet seit 1977 für die Steyler, er leitet hauptberuflich die Hochschulbibliothek. Vor dreieinhalb Jahren baute er den Bücherverkauf auf in der damals ungenutzten Turnhalle; dabei unterstützten ihn mit Elfi Betzing, Stephanie Färber und Dagmar Schoofs drei weitere ehrenamtlich tätige Personen.

Das Projekt für den guten Zweck wuchs rasch und entfaltet heute eine immense Anziehungskraft: Nicht nur Menschen aus der Region reisen freitags an, auch aus mehreren hundert Kilometer Entfernung kommen Besucher zum Stöbern. Wer mit festen Vorstellungen sucht, hat nicht unbedingt gute Karten. 1000 Bücher wechseln freitags den Besitzer, was am Montag angeliefert und am Mittwoch einsortiert wurde, kann vor dem Wochenende wieder weg sein. Da den Überblick zu behalten, sei unmöglich, so der Leiter.

Auf die Waage: Darf es noch ein bisschen mehr Gedrucktes sein?

Mit leeren Händen muss aber garantiert niemand wieder gehen. Rund 25.000 Bände finden sich, fein sortiert – nicht nur nach Genres wie Krimi, Kunst und Kochen, sondern sogar nach Autoren. Besondere Schmuckstücke sind die Manesse-Bibliothek und die 1000 Inselbücher. Historische Folianten wie die Erklärung des Lukas-Evangeliums aus dem Jahr 1753 werden selbstredend nicht zum Kilopreis verhökert. Hackel-busch taxiert nach eingehender Internet-Recherche ihren Wert, der „Lukas“ kostet 150 Euro.

In dem bunten Sammelsurium – zu dem auch Vinylplatten, CDs und ausgesuchtes Porzellan gehören – gibt es offenbar nichts, was es nicht gibt. Auch Agnostisches und Akte („Wenn sie ästhetisch sind“, Hackelbusch) seien auf dem Klostergelände nicht tabu. Bei Gewaltverherrlichendem und Pornografie wäre aber die Grenze überschritten, so der Leiter, „aber das ist ja klar“.

Nicht alles, was die in der Regel wohlmeinenden Spender in Kisten und Anhängern anbringen, sei hingegen willkommen (siehe Artikel „Tipps für Spender“). Dafür steht der Container direkt neben dem Eingang. Die Entsorgung koste zwar Geld, aber der rare Lagerraum müsse bestmöglich genutzt werden. Auch die alte Schwimmhalle der Steyler haben Hackel-busch & Co. schon in Beschlag genommen.

Der zeitraubende Einsatz lohnt sich: Denn jeder Euro fließt in die Hilfe für Menschen in Entwicklungsländern. 111.200 Euro kamen so bis Dezember 2016 zusammen. Guido Hackelbusch will sein „Baby“ Bücherhalle auch im Ruhestand weiter betreuen. Bald, sagt der 64-jährige, „habe ich ja noch mehr Zeit“.

Tipps für Spender

Die Bücherhalle der Steyler Missionare an der Arnold-Janssen-Straße, die freitags von 13 bis 16 Uhr geöffnet hat, wird komplett mit Spenden bestückt. Doch leider landen gut 80 Prozent der Druckwerke umgehend im Müllcontainer. Spender sollten daher folgendes beherzigen: Nur gut Erhaltenes kann auch Käufer finden. Modrige, vergilbte oder gar „bewohnte“ Bücher, in denen sich bereits Silberfischchen eingenistet haben, bitte nicht anliefern.

Antikes hat zwar seinen festen Platz im Antiquariat, Reiseführer hingegen sollten nicht zu alt sein, werden ab Erscheinungsjahr 2000 angenommen. Massenliteratur wie Simmel, Utta Danella, Konsalik oder Reader’s Digest-Romane landen nicht im Regal. Genausowenig aufgelöste Büchereien, weil die Bände foliert sind und Etiketten haben, meint der ehrenamtliche Bücherhallenleiter Guido Hackelbusch: „Beim Buch spielt auch die Ästhetik eine Rolle.“

Die Erlöse des Bücher-Flohmarkts – bisher 111 200 Euro – flossen in 13 Hilfsprojekte der Missionare in Afrika, Südamerika und Südostasien. So in den Bau von Grundschulen und Ausbildungsstätten, für die Betreuung von Straßenkindern, Müllkindern, behinderten sowie aidskranken Kindern und Jugendlichen. (coh)