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Sankt AugustinEssen, ohne dick zu werden – Professorin erforscht, wie das geht

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Das Gehirn isst mit - Prof. Dr. Marie-Christine Simon beschäftigt sich mit Essgewohnheiten am Fraunhofer-Institut. Auf dem Bild hält sie das Modell eines Gehirns in ihren Händen.

Das Gehirn isst mit - Prof. Dr. Marie-Christine Simon beschäftigt sich mit Essgewohnheiten am Fraunhofer Institut.

Die Professorin Marie-Christine Simon vom Fraunhofer-Institut in Sankt Augustin erforscht Bakterien, Viren und Pilze im Darm.

Der Mensch ist ein Individuum, und das gilt auch für die Nahrungsaufnahme. Der eine nimmt gefühlt schon bei kleinsten Essensmengen zu, der andere kann in sich reinschaufeln, was er will, und die Waage reagiert gar nicht.

„Wir wollen nun herausbekommen, warum das so ist“, berichtet Professorin Marie-Christine Simon vom Fraunhofer-Institut für Algorithmen und Wissenschaftliches Rechnen in Birlinghoven. Ihr Fachgebiet ist die Ökotrophologie, die Lehre der Haushalts- und Ernährungswissenschaften.

Ballaststoffe in der Ernährung sind wichtig, hoher Fleischkonsum sollte vermieden werden

Sie hat sich auf den Fachbereich Mikrobiom spezialisiert, das heißt auf die Vielzahl an Bakterien, Viren und Pilze, die im Darm zu finden sind. Wie diese mit der Nahrungsaufnahme im Zusammenhang stehen, erforscht sie. In groben Zügen sei vieles schon bekannt. Ballaststoffe, sogenannte Nahrungsfasern, in der Ernährung seien wichtig. Ein hoher Fleischkonsum sollte vermieden werden.

„Es kommt aber in der Ernährung auf Kleinigkeiten an“, so Simon. „Das Mikrobiom jedes Menschen ist so individuell, dass eine pauschale Ernährungsweise der falsche Weg ist“, sagt Simon.

Gesunde Ernährung: Beim Blumenkohl kann man auch das Grüne mitessen. Hier angerichtet mit Semmelbröseln.

Gesunde Ernährung: Beim Blumenkohl kann man auch das Grüne mitessen. Hier angerichtet mit Semmelbröseln.

„Die Bakterien im Darm reagieren sehr sensibel auf Veränderungen.“ Und sie nennt Beispiele, die eigentlich jeder kennt. „Wenn man etwas Falsches gegessen hat, bekommt man Bauchschmerzen und im schlimmsten Fall auch Durchfall.“

Außerdem sind die Bakterien im Körper sehr zielbewusst. „Wenn bei Diäten weniger Nahrung zugeführt wird, lernen die Bakterien dies und verwerten die Nahrung besser“, so Simon. Beende man die Diät, gingen die Darmbakterien jedoch auf Nummer sicher und würden weiter Kalorien sammeln, um auf neue potenzielle Hungerperiode vorbereitet zu sein. „So ist das Resultat von Diäten oft, dass man danach auf mehr Körpergewicht zunimmt, als man vorher hatte“, erklärt Simon. Evolutionsbiologisch habe dieser Lerneffekt des Mikrobioms auch Sinn, allerdings werde das heutzutage eher als lästig empfunden.

Die Forscherin mit ihrem Team macht sich nun mithilfe der Künstlichen Intelligenz (KI) auf die Suche: „Wie genau die Nahrung von Bakterien im Darm verarbeitet wird und welche Stoffwechselprodukte und Hormone gebildet werden", möchte sie herausfinden. „Diese können die Nervenzellen im Darm ansteuern und somit Impulse ans Gehirn senden. So entsteht zum Beispiel auch das Sättigungsgefühl“, erklärt Simon kurz.

„Der Weg der Nahrung durch den Darm und die Kommunikation zwischen Darm und Gehirn ist sehr komplex reguliert und verläuft auf mehreren Kanälen“ erklärt Simon weiter. Das wichtige und sehr potente Darmhormon Glucagon-like Peptide 1 (GLP-1) sei schon seit Jahren bekannt. „Es wird bei Diabetes-Patientinnen bereits seit langem recht erfolgreich eingesetzt.“ Als sogenannte Abnehmspritze ist dieses Hormon bei stark übergewichtigen Menschen zurzeit sehr gefragt.

Jeder Mensch könnte durch bewusste Nahrungsaufnahme das für sich optimale Körpergewicht erreichen

„Das Ziel sollte aber sein, dass jeder Mensch das für sich ideale Körpergewicht durch bewusste Nahrungsaufnahme erreicht“, so Simon. Dabei soll jetzt die KI helfen. „Wir analysieren das Mikrobiom anhand von Stuhlproben und können so Rückschlüsse auf die individuelle Verwertung der Nahrung finden.“ Die KI sichtet die Ergebnisse und stellt einen individuellen Ernährungsplan zusammen. „Ich denke, dass wir in etwa zehn Jahren so weit sind, dass wir mit unseren Ergebnissen in die breite Bevölkerung gehen können.“

Das alles könnte nun durch die neuen Forschungsergebnisse in neue Bahnen gelenkt werden. „Wir sind auf einem guten Weg“, sagt Simon. „Vieles, was Menschen heute schon wissen, wollen wir durch unsere Forschungen wissenschaftlich belegen.“ Die Funktion des Darms im Leben der Menschen sei jedenfalls viel wichtiger, als bisher angenommen.