Angela und Rolf Schönhaar haben über ihr Engagement in der Geflüchtetenhilfe eine enge Beziehung zu einer eritreischen Familie aufgebaut.
„Ich habe eine neue Mama“So wurden Niederkasseler zu Ersatzeltern für Geflüchtete

Angela (72) und Rolf Schönhaar (80) aus Niederkassel waren erst Ersatzeltern, dann Ersatzgroßeltern für eine Familie aus Eritrea.
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Alles begann im Jahr 2015 bei einem Spaziergang. Angela und Rolf Schönhaar aus Niederkassel kamen an der Sporthalle in Mondorf vorbei, die damals zur Unterkunft für Geflüchtete umgebaut war. „Da haben wir gesagt, das schauen wir uns mal an“, sagt der heute 80-jährige Rolf Schönhaar, „so kam es zum ersten Kontakt zu den Geflüchteten.“
Wenige Wochen später habe er einen Anruf aus dem Niederkasseler Rathaus erhalten, mit der Frage, ob er Lust hätte, sich in der Arbeit mit Geflüchteten zu engagieren. Angela und Rolf Schönhaar sagten zu. So entstand der Kontakt zu Kubrom Baliho aus Eritrea.
Niederkasseler halfen eritreischen Geflüchteten bei der Bewältigung bürokratischer Hürden
Der damals 20-Jährige war alleine nach Deutschland gekommen und lebte in einem Wohnheim in Ranzel. Er habe in Eritrea mit seiner Familie in der Landwirtschaft gearbeitet, wenig Schulbildung gehabt, sprach die Landessprache Tigrinya. „Die Verständigungsmöglichkeit war am Anfang sehr eingeschränkt, ging aber übers Handy“, sagt Rolf Schönhaar.
„Da ging es dann los mit Ausländerbehörde, mit Pass besorgen, Sprache lernen und Arbeitsstelle suchen, den richtigen Integrationskurs finden“, erinnert sich der 80-Jährige. Er habe Kubrom Baliho in diversen bürokratischen Angelegenheiten unterstützt, Angela Schönhaar übernahm den Sprachunterricht.
Die wollten dann seine Zeugnisse haben. Soll er sich das doch aus Eritrea zuschicken lassen.
Der Umgang mit den Behörden trieb die Schönhaars teilweise an die Grenzen ihrer Geduld: „Die wollten dann seine Zeugnisse haben. Soll er sich das doch aus Eritrea zuschicken lassen“, sagt Rolf Schönhaar kopfschüttelnd. „Dann hieß es, ‚Eritrea, ja schonmal gehört, wie schreibt man das?‘ Die hatten gar keine Ahnung von dem Land, das ja eine Diktatur ist, mit schrecklichsten Vorkommnissen, die uns da zu Ohren gekommen sind.“
„Das größte Problem mit den Behörden ist, dass die untereinander überhaupt nicht kommunizieren“, sagt Angela Schönhaar, „Ausländeramt, Geflüchtetenhilfe, Jobcenter: da fand kaum Austausch statt.“

Eden Adhaoum, Kubrom Balihos Ehefrau, mit dem sechsjährigen gemeinsamen Sohn. Besonders gerne spielt er mit Rolf Schönhaar Schach.
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Den Sprachunterricht, den Angela Schönhaar Kubrom Baliho und weiteren Geflüchteten ehrenamtlich gab, war eine Ergänzung zu behördlich bereitgestellten Kursen. „Denn diese Sprachkurse sind eine reine Katastrophe. Da sitzen Leute drin, die fast Analphabeten sind, neben Leuten, die perfekt englisch sprechen“, so die 72-Jährige. Sie habe alles mit Übungsprogrammen aus dem Internet organisiert.
Der Montagnachmittag ist immer für die Familie reserviert.
Rolf Schönhaar stellte bald den Kontakt zu einem Altenheim in Mondorf her, wo er ehrenamtlich als Vorleser und Unterhalter arbeitet. Er hatte von dem starken Personalmangel dort mitbekommen, gleichzeitig suchte Kubrom Baliho eine Ausbildung. Heute arbeite er dort als Altenpflegeassistenz und sei sehr zufrieden, sagt Rolf Schönhaar.
Erst Ersatzeltern, dann „Ersatzoma“ und „Ersatzopa“
Mit seinen Eltern in Eritrea habe Baliho etwa ein oder zweimal im Monat sprechen können, erzählt Angela Schönhaar. Bald habe er diesen erzählt, dass er „eine neue Mama und einen neuen Papa in Deutschland gefunden hat“. Angela Schönhaar schaut gerührt und traurig zugleich. „Wahrscheinlich war die Mutter froh, dass er hier Hilfe hat. Aber ich dachte, das muss für die Eltern auch hart sein. Er wird sie ja nicht wiedersehen.“
Bald erzählte Kubrom Baliho seinen Ersatzeltern, dass er eine Freundin gefunden habe. Eden Adhaoum kam aus der gleichen Stadt wie er, beide kannten sich noch aus der Schule und hatten sich in Deutschland wieder getroffen. Sie lebte aber in einer Unterkunft für Geflüchtete in Freiburg im Breisgau, Baliho fuhr regelmäßig zu ihr. „Ein paar Monate später kam er an und sagte: ‚Ich werde Papa‘“, sagt Rolf Schönhaar, seine Augen strahlen bei der Erinnerung.

Für ihr Engagement haben Angela und Rolf Schönhaar den Niederkasseler Integrationspreis erhalten, hier überreicht von Bürgermeister Matthias Großgarten.
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Gemeinsam stellten sie Bemühungen an, Eden Adhaoums Umzug nach Niederkassel bewilligt zu bekommen. Nach einigem Schriftverkehr und Telefonaten klappte es schließlich. Die werdenden Eltern heirateten, Angela und Rolf Schönhaar mit dabei. „Das war auch ein Erlebnis“, erinnert sich Rolf Schönhaar, „fünf Stunden dauert die eritreische Hochzeit.“
Der erste Sohn von Kubrom Baliho und Eden Adhaoum ist heute sieben Jahre alt, sein kleiner Bruder vier. Der Ältere geht in die Grundschule, spielt Fußball und mit Rolf Schönhaar begeistert Schach. „Die Kinder in der ersten Klasse, die erzählen natürlich von ihren Großeltern – dann fragen die Kinder natürlich auch, wo ihr Opa eigentlich ist. Aber der ist ja in Eritrea“, erzählt Rolf Schönhaar. „Dann wurden wir gefragt: dürfen die Kinder zu euch Oma und Opa sagen?“
Ich sehe es auch als Engagement fürs Land: Umso mehr junge Leute in Arbeit kommen, umso besser.
Seitdem nennen sich beide „Ersatzoma“ und „Ersatzoma“. „Wir sind bei Kubroms Familie zum Essen, zum Kaffeetrinken, zum Geburtstag eingeladen, sie feiern mit uns Weihnachten und Ostern“, erzählt Rolf Schönhaar. „Der Montagnachmittag ist immer für die Familie reserviert“, sagt Angela Schönhaar. Mit Eden Adhaoum lernt sie dann Deutsch, anschließend spielen sie Spiele mit den Kindern. „Und wenn wir mal Hilfe im Garten brauchen, hilft Kubrom uns auch“, sagt die 72-Jährige.
Auch über das Erstarken rechter Parteien spreche man regelmäßig. „Wir fragen dann, ob es irgendwelche negativen Kontakte gab – bisher zum Glück nicht“, sagt Rolf Schönhaar. „Wir hoffen, dass sie so schnell wie möglich die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen“, sagt Angela Schönhaar. Da seien die Schönhaars gemeinsam mit Adhaoum und Baliho dran, alle Voraussetzungen seien gegeben.
„Oft sagen die Leute, wie toll, dass ihr das macht“, sagt Angela Schönhaar, „ich sag dann immer, das macht ja auch richtig Spaß, mit Leuten aus anderen Teilen der Welt im Kontakt zu sein.“ Auch internationale Nachrichten verfolge sie seit dem engen Kontakt mit Kubrom Baliho und seiner Familie anders: „In dem Moment, wo man jemanden persönlich kennt, der von der Flucht und den Verhältnissen in seinem Heimatland erzählt, weitet das den Blick“, sagt Angela Schönhaar. „Und ich sehe es auch als Engagement fürs Land: Umso mehr junge Leute in Arbeit kommen, umso besser.“