AboAbonnieren

„Verhöhnung der Justiz“Lohmarer Senioren glauben Kidnapping-Story - um 112.000 Euro betrogen

Lesezeit 3 Minuten
Ein Aktenstapel in einem Gerichtssaal

Nur die dicken Akten lagen im Amtsgericht Siegburg, die Angeklagten tauchten nicht auf. (Symbolbild)

Am Abend vor der Hauptverhandlung hatte einer der Angeklagten noch mit einer Nachricht an die Geschädigte für Aufsehen gesorgt.

85 Jahre alt sei er und das erste Mal in einem Gerichtssaal. Der ältere Herr ist als Zeuge geladen. Zwei junge Leute sollen sein Vertrauen und das seiner 82-jährigen Ehefrau schamlos ausgenutzt haben. Rund 112.000 Euro überwiesen die Senioren aus Lohmar auf die Konten der Angeklagten. Die Frau und der Mann, 24 und 35 Jahre alt, erschienen nicht zum Prozessauftakt.

Die Konten seien aufgelöst, die beiden vermutlich in ihrer Heimat Kosovo abgetaucht, vermutete der Vorsitzende Richter Ulrich Wilbrand. Er sprach von einer „Verhöhnung der Justiz“. Denn am Abend vor der Hauptverhandlung hatte der Angeklagte der Geschädigten noch zwei Whatsapp-Nachrichten geschickt: „Danke für die Zeit, als du meine Mutter warst“, hieß es da. Und: „Wie kannst du mich so alleine lassen, du hast mich nie geliebt.“

Angeklagter arbeitete auf dem Nachbargrundstück und erschlich sich das Vertrauen

Im Frühjahr 2023 hatten die kinderlosen Senioren den Angeklagten kennengelernt, als dieser auf dem Nachbargrundstück arbeitete. Das berichtete der Anwalt der Betrogenen. Die ältere Dame brachte dem 35-Jährigen Essen, man freundete sich scheinbar an. Ab Mai kommunizierte er beinahe täglich mit der 82-Jährigen. Und bat sie immer wieder um Geld.

Dabei habe er falsche Tatsachen vorgespiegelt, heißt es in der Anklageschrift. In seiner Familie gebe es Erbstreitigkeiten, er müsse in den Kosovo reisen, doch die Polizei habe ihm seinen Pass und sämtliche Papiere abgenommen. Ein anderes Mal erzählte er, dass sein Vater im Sterben liege. Das dritte Märchen: Die 24-Jährige sei im Kosovo verschleppt worden und komme nur gegen Lösegeld frei.

Dann war das Kind der jungen Frau angeblich schwer erkrankt. Später behauptete er, sich aus Verzweiflung das Leben nehmen zu wollen. Vom 22. Mai bis zum 15. September überwiesen die Senioren immer wieder höhere Beträge und übergaben auch Bargeld an den Angeklagten.

Mitarbeiterin der Kreissparkasse schaltete die Polizei ein

Am 17. September wurde der Rollentausch vollzogen: Nun behauptete die junge Frau, dass der 35-Jährige verschwunden sei und nur nach Zahlung eines Lösegelds freigelassen werde. Als kein Geld floss, meldete sich der vermeintlich Gekidnappte selbst und machte Druck. Doch zwischenzeitlich hatte eine Mitarbeiterin der Kreissparkasse aufgrund der verdächtigen Überweisung die Polizei eingeschaltet.

Dennoch folgte im Dezember eine weitere, letzte Geldübergabe. Zunächst hatte der Angeklagte 12.500 Euro verlangt, er habe sich ja nun einen Anwalt besorgen müssen, der verlange sein Honorar. Auf die Nachfrage, wie der Anwalt heiße, schraubte er seine Forderung auf 3600 Euro herunter. Dann bat er um Beträge zwischen 800 und 4000 Euro, er müsse Schulden bezahlen. „Eine Frechheit“, kommentierte der Richter.

Auch nach der Anzeige kontaktierte der Angeklagte die Seniorin, die er „Mutter“ nannte

Als er jammerte: „Ich habe Hunger“, gab ihm die 82-Jährige schließlich 250 Euro, steckte ihm sogar das Geld in den Briefkasten. Ihrem Rechtsanwalt habe sie gesagt „Weil Weihnachten war“, berichtet dieser. Er habe ihr daraufhin strikt jede weitere Zahlung an die Angeklagten untersagt.

Wo sich der 35- und die 24-Jährige derzeit befinden, ist unbekannt. Ihre Konten sind aufgelöst, sie sind aber immer noch an ihrer Wohnanschrift in der Region gemeldet. Die Ladung für den Prozess wurde Mitte Juli 2024 zugestellt. Ende Juli erließ die Staatsanwaltschaft Haftbefehl gegen den Mann, eine Fahndung sei indes von der Polizei nicht eingeleitet worden, kritisierte der Richter: „In der Urlaubszeit kann nicht mit einer Vollstreckung innerhalb von drei Wochen gerechnet werden.“

Das Gericht verhängte nun einen internationalen Haftbefehl, der bei einer Einreise ins Bundesgebiet zur Festnahme führt. Das klappe an Flughäfen, so Wilbrand, aber nicht unbedingt beim Grenzübertritt mit dem Auto, wegen der lückenhaften Kontrollen. Auch Zielfahnder könnten auf dieser Basis tätig werden, ob das in dem Balkanland funktioniere, sei offen. Und damit auch die Fortsetzung des Strafprozesses.

Der Rechtsanwalt des Seniorenpaares erwägt nun, parallel zum Strafverfahren einen Vollstreckungsbescheid zu erwirken. Damit könnten die Geschädigten - beziehungsweise ihre Erben - 30 Jahre lang die erschwindelten 112.000 Euro zurückfordern.