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100. GeburtstagJoseph Beuys hat seine Spuren im Rhein-Sieg-Kreis hinterlassen

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Joseph Beuys verbrachte ein Wochenende auf Schloss Merten.

Eitorf – Linien und Schraffuren ziehen sich über die Schiefertafel, dazu Begriffe wie „Wille“, „Chaos“, „Denken“, „Form“ und „Empfindung“. In der Mitte prangt ein kleines Herz. Und unten der Name, zweimal mit Kreide geschrieben: Beuys.

Zu Gast in Schloss Merten, erläuterte der Künstler, der vor 100 Jahren in Krefeld geboren wurde und 1986 in Düsseldorf starb, auf diese Weise 60 Zuhörern seine Vorstellungen der sozialen Plastik. Das war im Herbst 1971, ein denkwürdiges Wochenende, zu dem der Mertener Kreis geladen hatte. Eine Bürgerinitiative und Selbsterfahrungsgruppe aus „aufmüpfigen katholischen Laien“, so erinnert sich heute Werner Beutler (96) aus Köln, der damals dazugehörte.

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Werner Beutler, Mitglied des Mertener Kreises

Der pensionierte Gymnasiallehrer hatte vor 20 Jahren ein Buch über Schloss Merten geschrieben, das im Kölner Verlag Locher erschien („Familienerholung und Tagungen in Schloss Merten/Sieg“). Darin widmet sich der Autor auch dem Mertener Kreis, der für seine Tagungen von 1955 bis 1990 über die Region hinaus bekannt werden sollte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg etablierte sich Schloss Merten zunächst als Feriendomizil für Familien, die es aus dem zerstörten Köln ins Grüne zog. Doch mit der Erholung wuchs auch das Bedürfnis, den geistigen Horizont zu erweitern und Anschluss an jene internationalen Strömungen zu finden, von denen man im NS-Regime abgeschnitten war.

Leherer und Forscher

Werner Beutler wurde 1924 in Köln geboren und studierte an der Universität seiner Heimatstadt Philosophie, Deutsch und Geschichte. Von 1954 bis 1960 unterrichtete er an der deutschen Schule Madrid. Anschließend arbeitete er bis zu seiner Pensionierung am Kölner Schiller-Gymnasium. Beutler war Mitglied des Mertener Kreises, einer informellen Akademie, bei der Wissenschaftler und Künstler referierten. Im Jahr 2001 veröffentlichte er das Buch „Familienerholung und Tagungen in Schloss Merten (Sieg)“ (inzwischen vergriffen). Darin beschreibt Beutler mit sieben weiteren Autoren die Chronik einer Bürgerinitiative, die 1998 in der „Kölner Stiftung Merten“ aufging.

Einen Namen machte Werner Beutler sich auch in der Kartäuserforschung: Im Jahr 1994 entdeckte er den verschollenen Bilderzyklus von Vicente Carducho und sorgte für dessen Rückführung ins spanische Kloster El Paular. (as)

„Namen wie Brecht, Hemingway, Kafka, Picasso oder Louis Armstrong hörte ich als 22-Jähriger zum ersten Mal“, erzählt Beutler. Der Mertener Kreis, ein Ableger der Katholischen Jungen Mannschaft (KJM), lud Experten zum Vortrag und Gespräch ein – ein Format, das damals aufblühte, wie die legendären „Mittwochsgespräche“ der Buchhandlung Ludwig im Kölner Hauptbahnhof zeigten.

Auf Schloss Merten gab es Wochenend-Tagungen – auch Joseph Beuys referierte

In Merten wehte bei den Wochenend-Tagungen, die 1955 begannen, ein für damalige Zeiten ungewöhnlich kommunikativer Geist: „Die Referenten holten die Teilnehmer da ab, wo sie waren. Sie erklärten alles, was gefragt wurde. Und Fragen, die jederzeit gestellt werden konnten, gab es viele. Auch musste niemand Angst davor haben, eine eigene Meinung zu äußern“, erläutert Beutler.

„Die Gespräche, die sich nach dem Referat am Samstag ergaben, setzten sich in kleinen Gruppen fort, auf den Fluren, auf Spaziergängen, oft bis in die Nacht hinein. Am Sonntag ging es dann bis zum Nachmittag weiter.“ Diese anregende Atmosphäre erlebten Prominente wie die Theologin Dorothee Sölle, der Politologe Ossip Flechtheim, der Kölner Philosoph Günter Schulte, Architekt Peter Busmann oder der damalige NRW-Finanzminister Peer Steinbrück. „Die Experten, die alle kein Honorar nahmen, kamen immer gern. Gerade die Universitätsdozenten erlebten hier ein Publikum, das oft viel begeisterter reagierte als die Studenten im Hörsaal. Das war für sie eine beglückende Erfahrung“, sagt Beutler. „Die Teilnehmer wiederum fühlten sich geehrt durch die prominenten Referenten.“

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Schloss Merten wurde ab 1955 vom Mertener Kreis für Wochenend-Tagungen genutzt, bei denen über die Jahre zahlreiche Prominente zu Gast waren. 

So hat er auch die Tagung am 30. Oktober/1. November 1971 mit Joseph Beuys in Erinnerung, der auf Vermittlung seines Meisterschülers Johannes Stüttgen – ebenfalls ein Mitglied des Mertener Kreises – an die Obere Sieg kam und über „Kunst und Mensch“ sprach. In der Mertener Chronik schreibt Beutler: „Wer Joseph Beuys je »live« erlebt hat, kennt seine magische Wirkung. Und in Merten war er 24 Stunden (sozusagen »Tag und Nacht«) präsent.“ So habe sich sein Charisma voll entfalten können. Und greifbar wurde durch den intensiven Kontakt auch „der Kern seiner Lehre, dass der Mensch das eigentliche Kunstwerk sei“.

Die inzwischen gestorbene Liesel Schäfer, eine Initiatorin des Mertener Kreises, hat geschildert, wie man damals mit Beuys „ein ganz neues Terrain“ betreten habe: „Jedenfalls stand da vor uns ein Mensch mit Hut und ärmelloser Lederjacke und erklärte jeden Menschen – also uns alle – für Künstler.“ Mit Worten und Linien habe er auf der Tafel beschrieben, „wie Botschaften unter uns Menschen ausgesandt, transformiert und empfangen werden“.

Joseph Beuys' Tagung hatte große Nachwirkung

Beim Mittagessen diskutierte man weiter, und Liesel Schäfer gestand dem Meister, dass sie nun seine „Aktionskunst, die Filzeinwirkungen und Fettecke besser verstanden habe“. Anderen ging es ähnlich: „Die Tagung hatte eine große Nachwirkung. Viele von uns begannen, sich für zeitgenössische Kunst zu interessieren. Sie besuchten Ausstellung und wurden ein Teil der Beuys-Gemeinde“, sagt Beutler, der sich selbst nie als „Beuysianer“ begriff, die Gestalt des Künstlers allerdings inspirierender fand als sein Werk.

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Den Filzhut setzte Beuys in Merten übrigens zeitweise ab. Momente von Seltenheitswert und „ein Zeichen von Vertrauen“, ist sich Beutler sicher. Dass der Meister für seinen Vortrag nicht – wie sonst üblich in Merten – einen Overhead-Projektor, sondern Schiefertafeln erbat, hatte einen altmodischen Charme. Allerdings den Nachteil, dass die Botschaften mit dem Ausputzen umgehend verschwanden.

Immerhin, ein Fotograf hatte vor dem Wegwischen noch auf den Auslöser gedrückt und so die Beuysschen Erläuterungen dokumentiert. Werner Beutler bedauert, dass man die Tafeln nicht verwahrt hat. Aber: „Wer et hätt jewoß?“, stellt der Autor fest, der mit diesem Zitat aus der kölschen Geschichte von „Jan und Griet“ auf die Tatsache anspielt, dass Beuys damals durchaus umstritten, aber noch nicht weltberühmt war.