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75 Jahre Diakonie An Sieg und Rhein„Kirchliche Prägung weitet den Blick“

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Patrick Ehmann ist Geschäftsführer der Diakonie An Sieg und Rhein.

Rhein-Sieg-Kreis – Zwei Jahre nach Kriegsende schlug 1947 die Geburtsstunde des Evangelischen Hilfswerks in Siegburg. „Mit Kleiderspenden oder auch grünen Heringen konnten wir vielen Menschen helfen“, erinnerte sich später Erika Poettgen, eine Mitarbeiterin der ersten Stunde. Über die Diakonie heute sprach Dieter Krantz mit Patrick Ehmann, Geschäftsführer des Diakonischen Werks im Evangelischen Kirchenkreis An Sieg und Rhein.Herr Ehmann, wo steht das Diakonische Werk An Sieg und Rhein heute? Mit grünem Hering helfen Sie sicher nicht mehr.Ehmann: Wir haben vor etwa eineinhalb Jahren entschieden, dass wir uns für Menschen in komplexen Lebenslagen engagieren müssen. Bis dahin kamen die Ratsuchenden entweder zur Suchthilfe- oder zur Migrationsberatung, andere besuchten das Sozialpsychiatrische Zentrum. Die Menschen haben aber meistens nicht nur ein Problem, sondern mehrere. Wir müssen uns fragen, wie wir als Organisation dieser Komplexität sinnvoll begegnen.

Wie sieht das konkret aus?

Es gibt eine engere Vernetzung der Dienste. Bisher wurden die Klienten nach einem ersten Kontakt zumeist an einen anderen Fachdienst verwiesen. Das bedeutete aber, eine weitere Hürde zu nehmen, neues Vertrauen aufzubauen. Jetzt wollen wir nach dem ersten Clearing andere Fachleute direkt dazu schalten. Sei es per Telefon oder über den Bildschirm. Da hilft uns die Digitalisierung.

Ist das Zukunftsmusik?

Nein, wir haben vor einigen Wochen mit der Diakonie Deutschland die Videoberatung gestartet. Die ist sowohl über die Online-Startseite erreichbar als auch über die Seiten der einzelnen Beratungsdienste wie Migration oder Suchthilfe. Das geschieht aber nicht über Nacht, es braucht auch eine organisatorische Anpassung.

Das heißt?

Die angefragte Person muss ja verfügbar sein. Vielleicht hat aber auch jemand anders als er oder sie selbst die benötigte Expertise. Das werden wir noch lösen. Zugleich müssen wir insgesamt viel dezentraler aufgestellt sein, um den Klienten kurze Wege zu ermöglichen.

Was kann ein kirchlicher Wohlfahrtsverband vielleicht besser als ein Träger der freien Wohlfahrtspflege?

Fachlich gar nichts. Wir legen großen Wert darauf, dass die Mitarbeitenden gut qualifiziert sind. Wir haben aber mit den Kirchengemeinden die starke Vernetzung in die Fläche, können die Lebenslagen vor Ort besser verstehen und mit den Gemeinden eigene Projekte starten. In Sankt Augustin haben wir zum Beispiel mit der Stadt und der Kirchengemeinde das Quartiersprojekt Mülldorf-Nord begonnen.

Es gibt also keine besondere kirchliche Prägung in der sozialen Arbeit der Diakonie?

Doch, die Geschichte vom barmherzigen Samariter ist seit 2000 Jahren immer wieder neu erzählt worden. Das ist ein „Steinbruch der Erfahrung“ im Umgang mit unterschiedlichen Lebenslagen. Es ist eine Weitung des Blicks, weil es eine zweite, theologische Ebene der Arbeit gibt, über die wir reflektieren.

Kirchliche Sozialarbeit wird häufig mit Ehrenamt in Verbindung gebracht. Kann sich das Diakonische Werk An Sieg und Rhein auch darauf stützen?

Die Menschen wollen sich nicht weniger engagieren als früher. Es gibt aber eine „doppelte Kurzfristigkeit“. Das heißt, dass es ein großes Interesse an einer befristeten Projektarbeit gibt, die Interessierten sich aber auch teilweise ganz kurzfristig dafür melden. Ich bin der Auffassung, dass wir als Diakonisches Werk die institutionelle Grundlage schaffen müssen, um dem gerecht zu werden. Unsere Freiwilligenagentur unterstützt Organisationen, startet eigene Projekte und ist Ansprechpartner für Personen und Organisationen, die sich einsetzen wollen.

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Immer mehr Menschen kehren den Kirchen den Rücken. Welche Probleme bereiten die damit sinkenden Einnahmen aus der Kirchensteuer dem Diakonischen Werk in seiner Arbeit?

Kurzfristig haben wir uns stabilisiert; mittel- und langfristig ist das eine Gefahr. Wir übernehmen staatliche Aufgaben, das geht aber nicht mehr mit einem Zuschuss, zu dem wir 30 oder 40 Prozent Eigenanteil beisteuern. Das müssen wir auch den Kostenträgern klarmachen. Und wenn das nicht finanziert wird, müssen wir eventuell Angebote einstellen. Wir müssen schließlich Beschäftigte und Miete bezahlen. In der Regel ist es ja auch so, dass wir die Angebote günstiger machen können als staatliche Stellen, weil unsere Verwaltungskosten niedriger sind.

Gibt es eine langfristige Perspektive?

Wir werden schauen müssen, wie wir neue Wertschöpfungsmodelle entwickeln können. Vielleicht könnte es eine Art Versicherung für Beratungsleistungen ähnlich der Pflegeversicherung geben. Es wird ja nicht weniger: Angesichts der Energiekrise kommen Menschen zu uns, die wir bislang nicht in der Beratung hatten.