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„Nicht zu kastrieren ist reiner Egoismus“Tierschutz im Rhein-Sieg-Kreis kommt an seine Grenzen

Lesezeit 5 Minuten
Die Katze Milky trägt nach ihrer ersten Operation einen Kragen. Sie befindet sich in einem Käfig.

Katze Milky erholt sich von einer Operation. Zunächst ist es auf einer Müllkippe gefunden worden.

Tierschutz Siebengebirge und das Tierheim Troisdorf geben Einblicke in ihre derzeitige Lage. Wie Tierfreunde helfen können.

Das Tier scheint verletzt zu sein, es blutet stark. Ein junger Mann im dunklen Trainingsanzug trägt Kappe und spricht mit Carolin Volbach. Behutsam hält er einen Vogel. Die 28-jährige Mitarbeiterin des Vermittlungsbüros im Tierheim Troisdorf stellt ihm ein paar Fragen.

Über dem Troisdorfer Tierheim stehen dunkle Wolken.

Das Tierheim Troisdorf ist laut der Vorsitzenden Helga Berben wie viele Tierheime an der Belastungsgrenze angekommen.

Bevor die genaue Vogelart festgestellt werden kann, kommt eine weitere Tierheim-Mitarbeiterin und nimmt den mutmaßlichen Wasservogel zu einer Untersuchung mit. Der Mann gibt seine Kontaktdaten an, für den Fall, dass Rückfragen aufkommen. Dem Vogel geht es nicht gut, ein Bein ist fast abgetrennt. Vielleicht muss das Tier eingeschläfert werden. „Ein fehlendes Bein ist immerhin besser als ein gebrochener Flügel“, sagt Carolin Volbach. Sie lobt den besorgten Mann. So seien nicht alle.

Tierschutz Siebengebirge kümmert sich um Fundkatze Milky

Der Fall von Milky ist ein Gegenbeispiel: Das vier Wochen alte Katze wurde von den Besitzern nicht beim Tierheim abgegeben. Nach Angaben des Vereins Tier-, Natur- und Artenschutz Siebengebirge haben Passanten den Katzenwelpen auf einer Müllkippe gefunden und dem Verein in Bad Honnef Bescheid gegeben.

Tierschutz Siebengebirge habe mehrere Behandlungen Milkys in die Wege geleitet. Ein Geschwür am Auge sei operativ entfernt worden. Der Katzenschnupfen der British Kurzhaar habe sich gebessert, wie die Tierschützer berichteten. Doch das Gangbild soll auffällig gewesen sein, Krampfanfälle seien gefolgt.

„Mehrmals standen die Tierschützer vor der entsetzlichen Entscheidung, das kleine Katzenkind erlösen zu müssen, doch Milky gab nicht auf – sie kämpfte sich immer wieder ins Leben“, teilte der Verein mit. Mithilfe einer CT sei eine Gefäßmissbildung der Leber festgestellt worden, die operabel ist. Eine von zwei Operationen habe die Katze bereits überstanden, die zweite folge im Februar.

Die Tierschützer mutmaßen, die früheren Besitzer hätten gemerkt, dass Milky krank ist, und sich nicht auf die Kosten einlassen wollten: „Deshalb wurde sie wie Müll entsorgt.“ Die medizinischen Maßnahmen seien über einen Spendenfonds finanziert worden. Dem Vereinsmitglied Antje Firmenich zufolge ist Tierschutz Siebengebirge bei größeren Operationen und teuren Untersuchungen „dringend auf Geldspenden angewiesen“. Auch personelle Unterstützung könne man gebrauchen.

Von 2022 bis 2024 haben sich die Katzenaufnahmen bei uns verdoppelt.
Anja Kalisch, Leiterin der Katzenabteilung in der Auffangstation von Tierschutz Siebengebirge

„Der Fundtierbereich ist deutlich größer als der Bereich der Abgabetiere“, sagt Anja Kalisch, Leiterin der Katzenabteilung in der Auffangstation von Tierschutz Siebengebirge: „Leute finden ganze Würfe.“

Die hohe Zahl an Fundtieren erklärt sie sich unter anderem über deutlich gestiegene Tierarztkosten. Fehlende Kastration sei im Rhein-Sieg-Kreis ein großes Problem, trotz Katzenschutzverordnung. Auch die Abgaben von Katzen sollen zugenommen haben. Die Gründe seien vielfältig: Umzug, Allergie, Beziehungsende. „Von 2022 bis 2024 haben sich die Katzenaufnahmen bei uns verdoppelt“, fasst Anja Kalisch zusammen: „2025 geht es genauso weiter.“

Fehlende Kastration bei Katzen und Hunden ist problematisch

„Es ist insgesamt viel schlimmer geworden, besonders bei Katzen“, bestätigt Helga Berben, Vorsitzende des Vereins Tierschutz für den Rhein-Sieg-Kreis: „Das Tier nicht zu kastrieren ist reiner Egoismus.“ Die 67-Jährige verschwindet kurz in einem der Gebäude beim Troisdorfer Tierheim und kommt mit dem Mischlingshund Floki zurück.

Bevor sie mit ihm Gassi geht, spricht sie mit dem stellvertretenden Vorsitzenden des Tierheims, Udo Althoff. „Auch bei Hunden ist die fehlende Kastration ein Thema“, erläutert der Zuständige für die Hunde. Das Vorurteil halte sich hartnäckig, den Tieren einen Gefallen zu tun, indem man sie erst nach der ersten Läufigkeit kastriere, berichtet der 62-Jährige.

Eine ältere Frau kniet neben einem Hund. Der Mischling trägt einen Maulkorb. Die Frau lacht.

Helga Berben, die Vorsitzende des Vereins Tierschutz für den Rhein-Sieg-Kreis, versteht sich prächtig mit Mischling Floki.

Udo Althoff schaut auf Floki: „Ich finde es schade, dass Gründe vorgeschoben werden, um Tiere abzugeben.“ Der alte Jagdhund passe nicht mehr in den Tagesablauf, da man nicht mehr mit ihm joggen könne, nennt er ein Beispiel: „Es reicht schon, wenn es unpraktisch ist.“

Er empfiehlt, sich vor dem Kauf Gedanken zu machen, im Internet zu recherchieren, auf Hundeschulen und Tierheime zuzugehen. „Bei uns ist die Bereitschaft zu helfen da. Man kann die Tiere hierher bringen. Auch wenn man der Besitzer ist, kann man sagen, man hätte die Tiere gefunden.“

Warum es mit dem Chippen nicht getan ist

Udo Althoff appelliert, die Tiere abzugeben und nicht an „der erstbesten Mülltonne“ auszusetzen. Die Fundtiere kämen in lebensbedrohliche Zustände. „Die Tierpfleger ziehen die todkranken Tiere über Nacht per Hand auf“, berichtet er: „Viele der Tiere sterben.“ Das belaste die Pfleger sehr.

„Eine ordentliche Registrierung der Tiere durch die Besitzer würde die Arbeit der Tierpfleger erleichtern“, erläutert Helga Berben. Es genüge nicht, die Tiere chippen zu lassen. Sie müssten bei einem Haustierzentralregister, wie Tasso, vermerkt werden. So könnten die Mitarbeiter gefundene Tiere zügiger mit Besitzern in Verbindung bringen.

Für ein vermitteltes Tier stehen fünf neue vor der Tür.
Helga Berben, die Vorsitzende des Vereins Tierschutz für den Rhein-Sieg-Kreis

Floki hat lange genug gewartet, Helga Berben macht sich auf den Weg mit ihm. „Er ist weder Baum noch Borke“, sagt sie über den Mischling und lacht. „Ich würde mich freuen, wenn Floki ein Zuhause findet.“ Sie gibt aber zu bedenken: „Die Tiere haben alle eine Geschichte, sie kommen mit einem Rucksack im Tierheim an.“ Sie grüßt eine Frau, die mit einem anderen Hund aus dem Tierheim unterwegs ist. „Gassigeher können wir immer brauchen“, sagt sie: „Katzenstreichler kann man auch werden oder sich im Kleintierbereich einbringen.“

Die große Anzahl an Tieren und gestiegenen Kosten, etwa für das Futter, belasten ihr zufolge das Tierheim: „Die Tierarztkosten steigen ins Unermessliche. Aber die Spendenbereitschaft ist groß.“ Gleichzeitig seien die Räumlichkeiten begrenzt. Am Ende der Gassirunde kommen Helga Berben und Floki an einer Frau vorbei - sie legt Sachspenden in einen Container vor dem Tierheim.

Für Menschen, die Tiere notgedrungen abgeben müssen, zeigt sie Verständnis: „Das liegt nicht in der Hand der Leute, aber es gibt eine Eigenverantwortung, ein passendes Tier zu finden.“ Floki tapst neben ihr her. Weiter merkt sie kritisch an: „Die Zeit, die Leute sich nehmen, um mit Schwierigkeiten umzugehen, wird weniger.“

Die brenzlige Lage des Tierheims Troisdorf sei kein Einzelfall. „Alle Tierheime in Deutschland haben Probleme. Sie sind an der Grenze des Möglichen“, berichtet Helga Berben: „Für ein vermitteltes Tier stehen fünf neue vor der Tür.“