Jahr für Jahr machen sich Männer und Frauen von Much aus auf den 124 Kilometer langen Weg zum Gnadenbild der Mutter Gottes. Viele sind seit Jahrzehnten dabei.
124 Kilometer zu FußSeit 250 Jahren machen sich Pilger von Much aus auf den Weg nach Werl
Sie sind 16 oder 82 Jahre alt, Männer und Frauen, gläubige Katholiken oder Menschen, die eher die Gemeinschaft und nicht zuletzt die sportliche Herausforderung genießen. Mehr als 140 Menschen machen sich am 4. Juli von Much aus auf den Weg nach Werl – 250 Jahre nachdem zum ersten Mal Mucher in die Wallfahrtsstadt zogen.
Seuche bedrohte im 18. Jahrhundert das Vieh in Much
Eine Viehseuche bedrohte damals die Existenz vieler Bauern in Much; heilkräftiges Salz aus der Salzsiedestadt sollte helfen. 130 Kilometer legten die Mucher zu Fuß und mit Pferdewagen zurück. Und gelobten vor dem Gnadenbild der Mutter Gottes in Werl, diesen Weg künftig jährlich auf sich zu nehmen, wenn das Salz ihr Vieh rette.
Mit 16 Jahren war Stefan Höller zum ersten Mal dabei, der seither auf fast 40 Teilnahmen zurückblickt. „Das war für Mucher sebstverständlich“, erinnert sich der Wirt der „Schublade“, der heute Brudermeister der Pilgerbruderschaft ist. „Mit 16 ging man da mit, es war immer schön“, nicht zuletzt, weil immer „Jungs und Mädels“ dabei waren.
Auch Ludger Hense war noch Teenager, als er 1984 zum ersten Mal den Vater auf dem Weg begleitete. Die Wallfahrt sei „nicht das Freizeitprogramm, das man sich als 18-Jähriger vorstellte“, räumt er ein. Morgens um 3 Uhr ist die Nacht zuende, um 4 Uhr beginnt der Gottesdienst, mehrfach am Tag beten die Marschierer den Rosenkranz, ehe sie zwischen 18 und 19 Uhr am Übernachtungsort eintreffen.
Und trotzdem sind Jahr für Jahr junge Menschen dabei, haben sich für die Jubiläumswallfahrt allein 30 „Premierenpilger“ angemeldet. „Am Anfang kennt man kaum jemanden, am Ende ist man eine Familie“, beschreibt Mats Hense, was für ihn unter anderem die Wallfahrt auszeichnet. Mit 14 hatte er 2020 zum ersten Mal den Vater begleitet; er sei „nicht der totale Christ“, bekennt er. Aber „das muss man nicht sein, um eine gute Zeit zu haben.“
„Es hört sich anfangs langweilig an“, sagt der 17-jährige Lukas Kaltenbach, der in diesem Jahr zum dritten Mal dabei ist und erstmals auch den Rückweg zu Fuß gehen wird. Die acht täglichen Rosenkranzgebete, insgesamt etwa 90 Minuten, seien aber „ein richtiges Abschalten“. Da denke er über Dinge nach, die er sonst nicht so intensiv im Kopf bewege.
Nach der Motivation frage die Bruderschaft nicht, betont Ludger Hense. Bedingung sei allerdings: „Wer mitgeht, muss mitmachen“, muss sich an den straffen Zeitplan halten und sich am Gebet beteiligen. Dafür erwartet die Pilgerinnen und Pilger ein, so Stefan Höller, „Rundum-sorglos-Paket“: Sie bekommen gesagt, wo sie schlafen, wann und wo es Essen gibt; auch um die Wegeführung müssen sie sich nicht kümmern.
„Wir haben sehr viel Unterstützung“, freut sich Ludger Hense über Hilfe unterwegs: Da stellen Sportvereine ihre Toiletten zur Verfügung, bereiten Dorfgemeinschaften Kaffee und Kuchen vor. Am Ende der täglich 40 bis 45 Kilometer langen Wegstrecke warten in Drolshagen und in Hagen bei Sundern Privatquartiere auf die Mucher. Auch dabei spielt die Tradition eine große Rolle.
Privatleute nehmen die Mucher Pilger für die Nacht auf
„Quartiere werden auch schon mal vererbt“, erzählt Stefan Höller; anfangs übernachtete er bei denselben Gastgebern wie sein Vater. Lange und intensive Freundschaften seien vielfach aus diesen Begegnungen erwachsen. An gute Gespräche erinnert sich auch Mats Hense – „auch wenn man wusste, dass man früh raus muss.“ Im Gegenzug nehmen die Mucher die Fürbitten ihrer Gastgeber mit nach Werl.
Zu den Unterstützern zählen auch die Helfer, die das große Gepäck der Pilger transportieren, andere haben Getränke oder das über den Tag benötigte Equipment an Bord. Ein Team kümmert sich nur um die Füße. Dabei setzt nicht jeder auf modernes Schuhwerk: „Wir haben Leute dabei, die laufen in Sandalen oder Turnschuhen“, berichtet Brudermeister Höller. Ein Pilger marschiere sogar in Arbeitsschuhen mit Stahlkappe.
Der Regenschirm darf höchstens einen Meter Durchmesser haben
Damit die Gruppe auch heil am Ziel ankommt, regelten „arme Menschen“, so Höller, den Verkehr. Je 70 Personen marschieren in einer Reihe, zu 80 oder 90 Prozent kann die Gruppe inzwischen auf Wirtschaftswegen abseits der Straßen gehen. Zu achten ist auf den Abstand zum Vorder- und Hintermann, festgelegt sind der Durchmesser der Regenschirme (maximal ein Meter) und die Zahl der Wanderstöcke (jeweils einer).
Einen Rosenkranz muss übrigens niemand mitbringen, einen Becher aber muss jeder und jede auch tagsüber dabei haben: Sonst würden die Trinkpausen zu lang, wäre der Zeitplan nicht einzuhalten.
„Hast Du sie noch alle“, ist denn auch Lukas Kaltenbach immer mal wieder von Altergenossen gefragt worden. Beirrt habe ihn das aber nicht, mit einigen der Fragenden sei er auch gut ins Gespräch gekommen. „Die Leute haben nicht im Kopf, was es ist“, sagt Mats Hense. „Wir sind keine Gruppe Mönche.“ Und auch Maximilian Arndt (18) betont: „Es ist eine Erfahrung, die man im Leben einmal machen muss.“ Er selbst nimmt schon zum zweiten Mal teil. Und er wäre nicht der erste, der immer wieder den Weg nach Werl auf sich nimmt.
1774 markiert den Beginn der Wallfahrten
„1774 ist die Zahl, auf die wir uns beziehen“, sagt Ludger Hense. Schriftliche Belege gebe es dafür nicht. In Quellen seien aber 1775 und 1776 als Daten für die erste Wallfahrt genannt. Bis 1939 wallfahrten die Mucherinnen und Mucher jährlich. Der Termin richtet sich nach dem Hochfest Mariae Heimsuchung am 2. Juli, das in Werl als Patronatsfest am darauffolgenden Wochenende gefeiert wird.
Von 1940 bis 1944 beugten sie sich dem Wallfahrtsverbot, das die Nationalsozialisten ausgesprochen hatten – auch wenn wohl einige auch auf eigene Faust pilgerten. 1945 schon wurde die Wallfahrt mit einem neuen Gelübde wieder aufgenommen.
Noch dreimal werde man zu Fuß nach Werl ziehen, hatte der Ortspfarrer versprochen, wenn Much von Beschuss gegen Kriegsende verschont bleibe. So kam es und wenig später setzten sich die Pilger – für Frauen galt der Weg so kurz nach dem Krieg als zu gefährlich – wieder in Marsch.
Typhus im Kreis Olpe im Jahr 1955 und die Corona-Pandemie 2020 hatten erneut Einfluss auf die Wallfahrt: Auf Bus und Bahn wichen die Mucher 1955 aus, 2020 hielten sie sich in kleinen Gruppen an die geltenden Kontaktbeschränkungen.