Mit der radikalen Umgestaltung des Pulheimer Ortskerns Anfang der 80er-Jahre gewannen Schüler des Leistungskurses Geschichte einen Preis.
GeschichtswettbewerbGymnasiasten aus Pulheim forschten zur Innenstadtsanierung
Die Gruppenarbeit von elf Schülerinnen und Schülern des Geschichtsleistungskurses der Klasse 11 des Geschwister-Scholl-Gymnasiums in Pulheim und der Einzelbeitrag des Schülers David Rosch aus der neunten Klasse des Albert-Schweitzer-Gymnasiums in Hürth gehören zu den Landessiegern im 28. Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten. „Mehr als ein Dach über dem Kopf. Wohnen hat Geschichte“ lautete das Thema.
Am Montag vergangener Woche nahmen die Preisträger den mit 500 Euro dotierten Preis im Bonner „Haus für Geschichte“ von NRW-Schulministerin Dorothee Feller entgegen. Aus 1651 Beiträgen von mehr als 5600 Kindern und Jugendlichen hatte die Jury der Körber-Stiftung 250 Landessieger und 250 Förderpreise ausgelobt.
Für die Pulheimer Schülerinnen und Schüler ist der Preis eine „tolle Überraschung“
Die Preisverleihung sei eine „tolle Überraschung“ und eine „Ehrung der harten Arbeit“ gewesen, die sie geleistet hätten, sagte Laura Weinmiller vom Geschichtsleistungskurs des Geschwister-Scholl-Gymnasiums. Unter dem Titel „Das wirkte wie eine 20-Zentner Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg, mindestens!? Die Innenstadtsanierung Pulheims 1979/80“ hatte die Gruppe, angeleitet von den Tutoren Friederike Pfeiffer und Jens Tanzmann, die radikale Umgestaltung des Pulheimer Ortskerns und den nicht minder radikalen Widerstand erforscht.
Mit einer Sanierung der Innenstadt, der historische Bauten zugunsten moderner Architektur zum Opfer fielen, hatte der Stadtrat der wachsenden Bevölkerung und der anstehenden Übertragung der Stadtrechte im Stadtbild Rechnung tragen wollen. Zusätzlich galt es, die Verkehrsbelastung der Venloer Straße in der Mitte des Ortes zu minimieren.
Schülergruppe aus Pulheim durchforstete Kisten mit Akten und Zeitungsartikeln
Betroffene Bürgerinnen und Bürger setzten sich gegen den drohenden Verlust ihrer Wohnungen und Häuser zur Wehr und suchten Hilfe bei der „Sozialistischen Selbsthilfegruppe Köln“, kurz SSK, einer Initiative von linken Hausbesetzern. Ein „ganz brisantes Thema“ habe sich die Gruppe aus mehreren Themenvorschlägen ausgesucht und eine rund 20-seitige „wissenschaftlich solide belastbare Studie“ vorgelegt, sagte Tutor Tanzmann.
Dazu habe die Gruppe im Stadtarchiv zwei große Kisten mit Aktenordnern und Zeitungsartikeln durchforstet, die Erinnerungen des Stadtdirektors Karl-August Morisse unter die Lupe genommen und Interviews mit dem damaligen Beigeordneten Jürgen Rüttgers und dem Mitbegründer der SSK, Lothar Gothe, geführt, schilderte Laura Weinmiller.
Pulheimer Gymnasiasten berichten von Leid und Betroffenheit
Einer sorgfältigen Analyse habe der Leistungskurs den WDR-Film „Sie müssen Opfer bringen“ unterzogen, der nach Ausstrahlung am 17. Oktober 1980 für enormen emotionalen Zündstoff gesorgt habe, sagte Weinmiller. Der Abriss des historischen Canishofes am Platz des heutigen Rathauses wurde gleich in der Eröffnungsszene gezeigt.
„Mich hat vor allem betroffen, wie viel Leid das bei vielen Pulheimern ausgelöst hat, angesichts der Androhung von Enteignungen“, so Weinmiller. Eine alte Frau habe sogar einen Nervenzusammenbruch erlitten. Enteignungen, die durch die Protestaktionen der SSK hatten verhindert werden können, die Verhandlungen seien in Folge fairer abgelaufen, heißt es im Fazit des preisgekrönten Beitrags.
Hürther Schüler beschreibt Fluchtgeschichte seiner Urgroßeltern
„Leben in einem Zimmer. Eine Flüchtlingsfamilie nach dem Zweiten Weltkrieg“ hatte David Rosch seinen sehr persönlichen Beitrag zum Geschichtswettbewerb überschrieben. Im mittelhessischen Dorf Melbach gehörten seine Urgroßeltern zu den Flüchtlingen, die mit ihren Kindern nach Kriegsende aus der sowjetischen Besatzungszone geflohen waren, nachdem man sie enteignet hatte und sie ihren Betrieb und ihr Haus verloren hatten.
Fast zehn Jahre wohnte die Familie in einer Notunterkunft auf engstem Raum. Der Schüler rekonstruierte in seinem schriftlichen Beitrag die beengte Wohnsituation und karge Ausstattung und beleuchtete die Beziehungen innerhalb der Familie sowie zwischen Geflüchteten und Einheimischen.
Wichtigste Zeitzeugin war seine Großtante, die nicht nur viele Erinnerungen, sondern auch das Familienarchiv bewahrte. Sie führte ihren Großneffen auch durch Melbach, wo er einen Blick in die ehemalige Massenunterkunft werfen konnte, die heute ein privates Wohnhaus ist. „Das Schicksal der in dieser Arbeit dargestellten Familie ist für viele Menschen leider auch heutzutage Realität“, sagte Rosch.