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Streit auf Straße eskaliertMit Hitler-Spruch bedroht – Paar aus Kerpen erlebt ständig Alltagsrassismus

Lesezeit 4 Minuten
Nabil Farisi und Leona Beer.

Seit zwölf Jahren sind Nabil Farisi und Leona Beer ein Paar.

Bei einem Streit warf jemand dem Paar an den Kopf, dass Hitler sie verbrannt hätte – oder „in die Gaskammer“ gesteckt.

Leona Beer und Nabil Farisi sind ein Paar wie viele andere. Seit zwölf Jahren sind sie zusammen. Sie haben eine gemeinsame Wohnung, wollen im Juli heiraten. Nur eines unterscheidet sie von den meisten Paaren: Sie haben mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. Meist sind es nur unüberlegte Fragen, manchmal Sticheleien oder Vorwürfe. Bisher haben sie es ignoriert. Dann hat ihnen jemand gewünscht, dass Hitler sie verbrennt – direkt vor ihrer Haustür.

Das Paar lebt in einem Mehrfamilienhaus im Kerpener Europaviertel. Ein Viertel, in dem jeder Dritte einen Migrationshintergrund hat. Vergangene Woche habe sie an der Straße vor der Wohnung geparkt, sagt die 29-jährige Leona Beer. „Ich stand ein wenig ungünstig auf dem Bordstein und ein Transporter für behinderte Menschen kam nicht vorbei.“ Der Fahrer habe gehupt und sie beleidigt. „Er hätte normal mit mir sprechen können. Ich wäre auch weggefahren.“

Ein älterer Mann drohte mit der Gaskammer

Als dann ihr Verlobter Farisi aus der Wohnung gekommen sei und den Mann angesprochen habe, sei die Situation vollkommen eskaliert, sagt Beer. Das belegt auch ein Video, das die beiden mit dem Smartphone aufgenommen haben. Auf diesem wirft ein älterer Mann Farisi Beleidigungen wie „Scheiß Moslem“ und „Hitler hätte euch alle in die Gaskammer gesteckt“ an den Kopf. Das Paar rief die Polizei. Der Fahrer war längst weg.

Der Polizei liegt eine Anzeige wegen Volksverhetzung vor. Für das Paar ist das eigentliche Problem damit aber nicht vom Tisch: Alltagsrassismus – und dass sich die Grenze des Sagbaren verschiebt. Wie viele rassistische und rechtsextreme Straftaten es in Rhein-Erft gibt, hat die Redaktion bei der Polizei am Dienstag angefragt. Die Statistik will die Polizei in den nächsten Tagen vorlegen.

In Marokko gilt Farisi als Deutscher

Nie habe er in Frage gestellt, dass er Deutscher sei, sagt Farisi. „Ich habe die deutsche Staatsbürgerschaft, bin in Bergheim geboren und lebe schon mein ganzes Leben lang in Kerpen.“ Seine Wurzeln seien zwar in Marokko. „Aber Deutschland ist meine Heimat. In Marokko mache ich Urlaub. Dort behandelt mich nur meine Familie wie einen Marokkaner. Alle anderen sehen in mir den Deutschen.“ Doch im Alltag lassen den 36-Jährigen viele spüren, dass seine Hautfarbe ein wenig dunkler als die der meisten Menschen ist, die in Deutschland leben. „Das ist immer irgendwie Thema“, sagt er.

Sätze wie „Du bist ja gut integriert“, „Du sprichst gut deutsch“ oder „Woher kommst du?“ bekomme er ständig zu hören. Farisi hat auch das Gefühl, dass Polizisten ihn oft kontrollieren. Darüber sieht er hinweg. „Aber einmal haben sie mich nach meinen Aufenthaltstitel gefragt. Was soll das?“ Und all das betrifft nicht nur ihn, sondern auch seine Verlobte. „Es gibt Leute, die fragen mich: Musst du jetzt ein Kopftuch anziehen? Ich bin aber nicht konvertiert“, erläutert Beer. „Sie denken immer, Nabil zwingt mich zu etwas.“ Sie esse zwar kein Schweinefleisch, das aber aus Rücksicht auf ihren Partner. So wie andere Menschen, die ihrem vegetarischen Partner zuliebe auf Koteletts verzichten.

Nicht selten fragt sich das Paar, ob sie dazugehören. „Ich habe den Eindruck, dass die ganze Welt immer offener wird und in Deutschland passiert das Gegenteil“, sagt Beer. Eine Meinung, die ihr Verlobter teilt. „Viele können sich das schwer vorstellen. Aber es ist ungefähr so, als würdest du nach Hause kommen und keiner will dich dort haben.“

Täglich haben die beiden mit anderen Menschen zu tun. Beer kümmert sich um pflegebedürftige Senioren, Farisi leitet eine offene Ganztagsschule in Bedburg. In ihrem Berufs- und Privatleben wollen sie mit gutem Beispiel vorangehen. „Ich möchte den Kindern in der OGS helfen, eigene Werte zu entwickeln“, sagt Farisi. Für deren Generation sei es noch wichtiger, dass Menschen und Kulturen zusammenwachsen. „Der Wille dazu muss von beiden Seiten kommen.“ Vor Kurzem sei er auf einer Demonstration gegen Rechtsextremismus in Bedburg gewesen. „Und da waren kaum Menschen mit Migrationshintergrund – genauso auf der Demo in Kerpen. Dabei geht es doch um uns alle.“