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Grünen-Fraktion in KerpenHarsche Kritik an Stadtspitze ein Jahr vor der Wahl

Lesezeit 4 Minuten
Das Bild zeigt ein Schulgebäude.

Den geplanten Neubau der Europaschule über eine Bürgerbaugesellschaft zu mieten, ist ein Vorschlag der Grünen-Fraktion (Archivbild).

Deutliche Kritik an der Stadtverwaltung äußert die Kerpener Grünen-Fraktion in einer Pressemeldung. Ein Jahr vor der Wahl sei die Bilanz des Bürgermeisters „ernüchternd“.

Die drohenden Defizite im Haushalt inklusive der womöglich anstehenden Erhöhungen der Grund- und Gewerbesteuern hätten ihre Ursache in „verschiedenen Politikfeldern“, sind die Grünen überzeugt.

Grüne halten an Idee einer Baugesellschaft fest

Neben dem Personalmangel in der städtischen Verwaltung, die zu einer Überlastung der restlichen Mitarbeiter führe, wird vor allem die Abkehr von einer städtischen Baugesellschaft kritisiert. „Wollte man 2020 noch eine Baugesellschaft mit großen Partnern gründen, die die diversen Investitionsprojekte wie Schulen, Kitas, Bauhof und Einrichtungen für die Feuerwehr schlank und schnell abwickeln könnte, so ist diese Baugesellschaft krachend an teuren Beratern und einer falschen Konstruktion gescheitert“, heißt es in der Mitteilung.

Thomas Marner, Technischer Beigeordneter der Stadt Kerpen, äußert sich dazu: „Die Baugesellschaft ist nun mal im Rahmen des Vergabeprozesses gescheitert.“ Dass die Stadt heute von einer Baugesellschaft nichts mehr wissen wolle, wie es die Grünen-Fraktion kritisiert, begründet er so: „Ich halte einen Versuch, eine Baugesellschaft zu gründen, aktuell nicht für sinnvoll.“

Fachkräftemangel erschwere eine Umsetzung

Der Fachkräftemangel würde sonst zwangsläufig dafür sorgen, dass sich die Baugesellschaft sowie sein Dezernat gegenseitig kannibalisierten, sagt der Beigeordnete. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt sei so „katastrophal“, dass er teils kein Personal für Stellen finde, die bereits seit zwei Jahren ausgeschrieben seien. Als zuletzt die Gründung einer Baugesellschaft ins Auge gefasst worden sei, habe sich der Fachkräftemangel noch deutlich schwächer abgezeichnet, erklärt er.

„Nach der heutigen Marktlage würde die Gründung einer Baugesellschaft zudem das Projekt verteuern“, sagt Marner in Bezug auf den kostenintensiven Neubau der Europaschule. Denn hole die Stadt einen externen Partner für die Gesellschaft ins Boot, müsse das Personal auch mit den in der Marktwirtschaft üblichen Gehältern entlohnt werden. Bei einer teil-externen Lösung dagegen ergebe sich zusätzlich das Problem, dass die Baugesellschaft an die gleichen Vergaberichtlinien gebunden sei wie bei einer Abwicklung über die Stadtverwaltung.

Grüne: Zu wenig erneuerbare Energien in Kerpen

Peter Abels, Vorsitzender der Grünen-Fraktion, schlägt in der Pressemeldung dagegen vor: „Warum mieten wir die Europaschule über eine Bürgerbaugesellschaft nicht von unseren Bürgern, anstatt sie über die Grundsteuer zu belasten?" Die Idee dahinter: Kerpener Bürger könnten eine Baugesellschaft gründen mit eigenem Kapital. Diese Gesellschaft würde dann die neue Schule bauen und der Stadt vermieten. Abels: „Warum lernen wir nicht von anderen Kommunen, die innerhalb kürzester Zeit und im Budget ihre Schulen bauen?“

Zu einer derartigen Idee könne er mit seinem aktuellen Kenntnisstand nichts sagen, äußert sich Marner.

Auch den fehlenden Ausbau erneuerbarer Energien in Kerpen kritisieren die Grünen: „Anstatt unsere Stadtwerke beim Ausbau erneuerbarer Energien zu unterstützen, wird alles zusammengestrichen. Wir brauchen für unsere Wirtschaft günstige Energie aus der Region.“

Marner argumentiert: „Die Stadtverwaltung selbst ist kein Energieerzeuger.“ An Projekten, die mit Unterstützung erfahrener Fachleute von entsprechenden Unternehmen und geringem Risiko machbar seien, sei die Stadt aber grundsätzlich interessiert. So wie im Falle des Solarprojekts mit Neuland Hambach, an dem sich die Stadt beteilige.

Einzelhandel verschwindet aus dem Stadtgebiet

Den Stand der Nahversorgung kritisiert die Grünen-Fraktion ebenfalls. „Auch die Einzelhandelsversorgung in der Stadt ist schlechter geworden. In Türnich gibt es am Marktplatz noch keine Lösung für die Menschen. In Kerpen lässt man sich von Lidl eines ums andere Mal vorführen, und kleinere Einzelhändler geben wegen Perspektivlosigkeit auf“, heißt es in der Pressemeldung.

Hier sagt Marner: „Niemand lässt sich von Lidl vorführen. Viele Vollsortimentler und Discounter haben derzeit das Problem, dass Baukosten sowie die Kosten für den Innenausbau und die Ausstattung explodieren. Deshalb werden viele Bauprojekte gestoppt.“ Noch habe Lidl den Neubau nicht kategorisch ausgeschlossen, und darüber sei er froh.

Ähnlich sehe es beim Aldi in Türnich aus. „Man hat uns damals vorgeworfen, wir als Stadt hätten Aldi dort mit unseren Auflagen verhindert. Wir haben lediglich Auflagen verlangt, weil Aldi den Türnicher Marktplatz zum Parken nutzen wollte. Ich habe damals in Gesprächen mit Aldi gefragt, ob das Unternehmen denn an der Stelle bauen würde, wenn wir von allen Auflagen absehen würden. Die Antwort war damals, dass dies aufgrund der gestiegenen Kosten dennoch nicht möglich sei“, erklärt Marner: „Leider waren diese Ausführungen betriebswirtschaftlich für mich vollkommen nachvollziehbar.“

Danach habe es von weiteren Einzelhandelsketten nur Absagen für den Standort gegeben. Der Beigeordnete gibt jedoch zu: „Derzeit weiß ich aus städtischer Sicht nicht, was ich diesbezüglich tun soll. Allerdings möchte ich auch betonen, dass uns das Gebäude nicht gehört.“