Interview mit den „Jungen Piraten“„Viele Leute denken, wir seien kiffende Nerds“
Rhein-Erft-Kreis – Die Jugendorganisation der Piraten im Rhein-Erft-Kreis ist noch ganz frisch. Im Interview haben uns die Mitglieder der Jungen Piraten erzählt, wofür sie im Kreis stehen und wieso sie mit Vorurteilen zu kämpfen haben.
Was hat Sie dazu bewegt, in eine Partei einzutreten, die sich nach Verbrechern benennt?
Stefano Tuchscherer: Ich würde sagen der Name fällt im Vergleich zu anderen politischen Parteien auf. Das bringt Leute dazu, sich mit uns zu befassen.
Marius Hövel: Der Name kommt ja ursprünglich aus Schweden. Da wurde die Partei als Gegenbewegung zur Ideologie einer anderen Partei gegründet, die stark im Internet gegen Internetpiraterie vorgehen und dafür starke Einschränkungen in die persönliche Freiheit der Nutzer vornehmen wollte. Der Name war mitunter auch eine Provokation.
In Ihrem Parteiprogramm steht „Wir sind am Anfang der digitalen Revolution“. Sind wir nicht schon längst mittendrin?
Hövel: Ja, wir sind mittendrin, aber sie kommt nur schleppend voran. Und viele beachten auch die Risiken der digitalen Revolution nicht ganz. Wie zum Beispiel, dass Arbeitsplätze wegfallen. Dafür ist die Piraten-Partei auch da. Nicht nur, um auf Fortschritt zu drängen, sondern auch, um auf die Risiken aufmerksam zu machen, die das digitale Zeitalter mit sich bringt.
Welche Risiken gibt es da noch?
Hövel: Zum Beispiel die Debatte um das Urheberrecht und das Leistungsschutzrecht. Das Internet macht solche Themen wesentlich schwieriger umsetzbar, als es bisher möglich war.
Es gab ja eine lebhafte Debatte über das Urheberrecht. Nur von den Piraten haben wir da nichts gehört.
Hövel: Das kann ich gar nicht verstehen. Wir hatten im letzten Europarlament auch eine Abgeordnete, die Julia Reda, und wir haben den Kampf gegen die Urheberrechtsreform nahezu angeführt, könnte man sagen. Viele Demonstrationen, die in Deutschland und europaweit stattgefunden haben, wurden von der Piratenpartei hauptsächlich organisiert und mitgeführt.
Alessandra Flohe: Ich würde auch sagen, der Kampf war schon eher piratendominiert.
Lars König: Auf den Demos in Köln habe ich viele Leute mit Piraten-T-Shirts, -symbolen und bekannte Piraten gesehen.
Stella Tuchscherer: Wir haben auch Flyer mit unserem Programm und unserem Logo verteilt. Kaum vorstellbar, dass das gar nicht bei Ihnen angekommen ist.
Flohe: Soviel ich mitbekommen habe, gab es auf dem Instagram-Account der Piraten Deutschland auch einen Beitrag, in dem stand, dass es wegen dieser Debatte sogar einen Mitgliederanstieg gab, weil wir uns stark dagegen eingesetzt haben und die Fachkenntnisse haben.
Was unterscheidet die Piraten denn von den Volksparteien?
König: Ich würde auf jeden Fall sagen, dass es darum geht, wie Politik gemacht wird. Als ich eingetreten bin, wurde ich sofort in die Kommunalpolitik im Kreis mit eingebunden und ich glaube nicht, dass man in anderen Parteien auch so eine Möglichkeit geboten bekommt.
Stefano Tuchscherer: Ich bin jetzt seit März dabei und wurde auch sofort mitgenommen. Mir wurden die Sachen nicht nur erklärt, sondern auch gezeigt. Dadurch habe ich viel mehr gelernt als davor, wie das in der Kommunalpolitik abläuft.
Stella Tuchscherer: Man wird bei den Piraten ernst genommen. Ich bin durch einen blöden Zufall zu der Partei gekommen, weil ich morgens an der Bushaltestelle stand und mein Bus nicht kam. Dann habe ich mich bei Facebook darüber aufgeregt und eine Nachricht von unserem Vorsitzenden Jannis Milios bekommen. Egal, was wir für ein Anliegen haben, wir können immer damit kommen und darüber diskutieren, auch wenn wir mal unterschiedlicher Meinung sind. Jeder wird gleich behandelt. Das ist gerade für junge Menschen sehr wichtig, weil Jüngere vielleicht mal einen anderen Blick auf die Dinge haben als die ältere Generation.
Flohe: Die Piratenpartei hatte vor Jahren mal den Slogan: „Du bist systemrelevant.“ Meiner Meinung nach ist das einfach eine Partei, die das nicht nur sagt, sondern auch lebt. Das bezieht sich auch auf das Wahlprogramm, wo wir alle gemeinsam an Inhalten arbeiten, egal welches Alter oder welcher Berufsstand. Man schafft zusammen ein Stück Politik.
Was sind denn die Eckpunkte Ihrer Politik?
Hövel: Wir arbeiten auf mehr Bürgerbeteiligung und Transparenz in der Politik hin. In Kerpen haben wir zum Beispiel durchgesetzt, dass die Stadtrat-Sitzungen online gestreamt werden.
Flohe: Uns beschäftigen auch die Themen Dürre und Umwelt. Natürlich sind auch soziale Themen wie Inklusion wichtig. Damit jeder die gleichen Chancen im Leben hat.
Stella Tuchscherer: Wir haben uns auch die Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs auf die Fahne geschrieben. Wir haben bewirkt, dass das Wochenende am sechsten und siebten Juli fahrscheinfrei im Rhein-Erft-Kreis war. Kein Mensch im Kreis soll mehr auf ein Auto angewiesen sein.
Hövel: Die Frage nach dem Strukturwandel konzentriert sich unserer Meinung nach zum Beispiel zu sehr nur auf den Kohleausstieg und weniger darauf, dass um oder im Rhein-Erft-Kreis eine Großstadt entsteht, die sich immer weiter ausbreitet, und das dann auch viele Probleme mit sich bringt, an denen gearbeitet werden muss. Gerade auch wenn es um Themen wie Infrastruktur und Versorgung geht.
Die jungen piraten im rhein-erft-kreis
Am 26. Juni 2019 hat sich die Jugendorganisation der Piraten, die Jungen Piraten, im Rhein-Erft-Kreis gebildet. Derzeit besteht die Organisation aus zehn Mitgliedern. Marius Hövel und Lars König sind die Sprecher. Die beiden 23-Jährigen sind auch im Vorstand der Piraten. Marius Hövel ist dort zweiter Vorsitzender, Lars König ist Vorstandsmitglied.
Wer Interesse hat, sich in der Jugendpartei der Piraten im Kreis zu beteiligen, kann sich per Mail an Sprecher Marius Hövel wenden.
hoevel-marius@outlook.com
Flohe: Das Problem ist, dass um uns herum eine Großstadt wächst, aber die Entscheidungsträger denken teilweise in Dorfverhältnissen. Das merkt man an Dingen wie Radwegen beispielsweise.
Noch mal zurück zur Geschichte der Partei. 2006 wurde die Piratenpartei Deutschland in Berlin gegründet. Sie hatte somit 13 Jahre Zeit, um sich zu etablieren. Wieso hat die Partei bei der Europawahl trotzdem nur 0,7 Prozent erreicht?
Alessandra Flohe: Ich persönlich glaube, dass man uns einfach nicht mitbekommt. Das haben wir ja auch eben schon gemerkt bei der Urheberrechtsreform. Das hängt auch damit zusammen, dass wir nicht so oft in den Medien auftauchen. Ich glaube da gibt es einfach überregional und auch unter den Kreisverbänden eine mangelnde Kommunikation. Das haben wir auch oft von Bürgern als Feedback nach der Europawahl gehört. Deshalb haben wir uns jetzt social-media-technisch neu organisiert, um uns da besser aufzustellen und wir versuchen uns auch mit anderen Kreisverbänden mehr auszutauschen. Große Parteien können sich das eher leisten, da vielleicht mal ein bisschen nachlässiger zu sein.
Stefano Tuchscherer: Wir waren einfach nicht präsent genug. Viele Leute waren beim Wahlkampf total erstaunt, dass es uns noch gibt. Durch mehr Flyer, mehr Infostände und Gesprächen mit den Bürgern schafft man es auch wieder, populärer zu werden.
Stella Tuchscherer: Ich glaube, wir haben auch viel mit Vorurteilen zu kämpfen. Da fragen sich die Leute, warum wir so einen kindischen Namen haben oder warum wir für die Legalisierung von Cannabis sind und denken, wir seien irgendwelche kiffenden Nerds.
Wie wollen Sie dann bei den Kommunalwahlen größere Aufmerksamkeit erreichen?
König: Eben durch eine größere Social-Media-Präsenz, ein ansprechendes Wahlprogramm, Flyer und Infostände, wo wir mit den Bürgern ins Gespräch kommen. Wir veranstalten auch Stammtische mit politisch interessanten Personen, die nicht immer in der Partei sind, um einfach mal politische Prozesse nach Außen zu tragen und die Bürger daran teilhaben zu lassen.
Stella Tuchscherer: Wir versuchen auch bei vielen Veranstaltungen anwesend zu sein, um dort den Kontakt zu den Menschen zu knüpfen.
Hövel: Wir vergeben zudem Bürgerpraktika in unserer Fraktion im Kreis, um den Leuten unsere Politik näherzubringen.