Frechener kämpfen gegen Straßenbaubeiträge„Wer will denn hier noch ein Haus kaufen?“
- Die Anwohner in der Rosmarstraße in Frechen sollen an den Kosten für den Bau einer Straße beteiligt werden.
- Die Forderungen der Stadt gehen zum Teil in die Zehntausende.
- Die Anlieger wollen sich nicht kampflos damit abfinden.
Frechen – Inmitten von rot-weißen Baustellenabsperrungen und aufgeschütteten Erdhaufen stehen in der Rosmarstraße einige Anwohner auf einem Rest Bürgersteig. Sie sind sauer. Nicht, weil gebaut wird. Sondern weil sie für die Arbeiten ihrer Meinung nach über Gebühr finanziell belastet werden sollen. „Ich kann nicht verstehen, wieso das Land nicht in der Lage ist, die Beiträge so zu organisieren, dass sie die Anwohner nicht in Existenzängste bringen“, sagt Rolf Brunsendorf.
Die Eigentümer der Grundstücke in der Rosmarstraße zahlen Straßenbaubeiträge für die Erneuerung der Straße. Bis zu mehreren zehntausend Euro werden pro Haushalt fällig, zahlbar innerhalb eines Monats nach Erhalt des Bescheids. Die Summe ist abhängig von Grundstücksgröße und Bebauungsplan. Bei Brunsendorf waren es nach erster Berechnung mehr als 23.000 Euro. Nun ist der Abrechnungssatz aber sogar gestiegen.
Prozentsatz der Beteiligung legen Kommunen selbst fest
Möglich macht das der achte Paragraf des Kommunalabgabengesetzes (KAG). Er besagt, dass die Kommunen Grundstückseigentümer bei Maßnahmen etwa an Fahrbahnen und Gehwegen an den Kosten beteiligen müssen, wenn diese von Grund auf erneuert werden. Den Prozentsatz legen die Kommunen selbst fest. In Frechen liegt er bei 50 Prozent für die Straße, 70 für die Bürgersteige und 65 für die Beleuchtung.
Viele Anwohner haben Ablöseverträge der Stadt zugeschickt bekommen. Unterschreiben sie, erklären sie sich bereit, ihre Beiträge zu den aktuellen Konditionen zu zahlen und auf Widerspruch zu verzichten. Auf Wunsch der Anwohner hat die Stadt aber einen Absatz ergänzt: „Sollte das Land Nordrhein-Westfalen das Kommunalabgabengesetz NRW (…) ändern, (…) wird die Stadt Frechen den Ablösevertrag unter Berücksichtigung der geänderten Rechtslage neu berechnen und eine Überzahlung erstatten.“
Die Chancen, dass der Absatz zum Tragen kommt, stehen nicht schlecht. NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach hat eine Änderung des Gesetzes noch in dieser Legislaturperiode angekündigt. Im Ministerium wollte man sich zum Stand der Überlegungen nicht äußern, sagte aber, die Landesregierung beobachte „aufmerksam die Entwicklungen in anderen Ländern der Bundesrepublik Deutschland“.
Andere Bundesländer haben keine Straßenbaubeiträge
Bayern, Berlin und Hamburg etwa haben die Straßenbaubeiträge schon abgeschafft. In Baden-Württemberg gab es sie nie. In NRW wurden derweil zwischen 2009 und 2016 jährlich etwa 112 bis 127 Millionen Euro Straßenbaubeiträge eingezogen. Das Thema beschäftigt viele Kommunen: In Lindlar hat die CDU im Bauausschuss eine Resolution zur Änderung des Paragrafen 8 vorleget. In Herford kündigte der SPD-Bürgermeister an, Anliegerbeiträge für Baumaßnahmen ab dem Jahr 2018 auf Eis zu legen, bis die Landesregierung Klarheit schaffe.
Der Bund der Steuerzahler NRW kämpft ebenfalls gegen die Straßenbaubeiträge. Er schlägt vor, das Land solle den Kommunen künftig zweckgebunden Geld für Straßenerneuerungen und -instandhaltungen zur Verfügung stellen – und hat zu diesem Anlass eine Volksinitiative gestartet. Am Freitag stellt der Verein sie um 14 Uhr auf der Rosmarstraße in Frechen vor, eine Demonstration ist angemeldet. Gelingt es, innerhalb eines Jahres die erforderlichen 66.000 Unterschriften zu sammeln, muss der Landtag den Vorschlag beraten.
Anwohner hätten keine wirtschaftlichen Vorteile von Straßenbaumaßnahmen, heißt es beim Steuerzahler-Bund. Die Kommunen würden die Infrastruktur „sehenden Auges verkommen“ lassen. Da sich die Anwohner nicht an Sanierungen beteiligen müssten, würden die Kommunen sie so lange hinauszögern, bis die Straßen erneuert werden müssten. Die Bewohner der Rosmarstraße in Frechen wollen sich jetzt juristische Hilfe holen. Wegziehen ist keine Option. Iris Leroi-Lauff hebt die Hände. „Wer will denn hier noch ein Haus kaufen?“
Hypothetische Geschosse und doppelte Abrechnung
Berechnen, was nicht da ist
Straßenbaubeiträge werden, bei vorhandenem Bebauungsplan, nicht nach Ist-Zustand erhoben. Es gilt, was theoretisch auf dem Grundstück stehen dürfte. Die Stadt Frechen rechtfertigt dieses Vorgehen: Andere Beitragspflichtige würden benachteiligt, wenn ein Eigentümer nach der Abrechnung plötzlich ein Geschoss bauen würde, für das er nicht bezahlt habe. Das führt dazu, dass viele Anwohner auf der Rosmarstraße für Etagen und Fläche zahlen, die sie nicht ge- und bebaut haben. Das Verrückte dabei: Wenn die Anwohner tatsächlich bauen wollen, wofür sie bezahlen, dürfen sie das am Ende oft doch nicht. „Wir wollten im Jahr 1999 eine Etage aufstocken – und haben von der Stadt eine Ablehnung bekommen“, erzählt Jürgen Moser.
Für mehrere Straßen zahlen
Hans Josef und Elisabeth Helten werden nicht das erste Mal für eine Baumaßnahme zur Kasse gebeten. Als hinter ihrem Grundstück die Rudolf-Virchov-Straße gebaut wurde, zahlte das Paar 15 000 Euro – „obwohl uns die Straße überhaupt nichts nützt“, sagt Hans Josef Helten. Dieses Mal, so schätzt das Ehepaar, könnten etwa 20.000 Euro anfallen. „Die Straßenbaubeitragssatzung sieht keine Vergünstigung für Grundstücke vor, die an zwei Anlagen angrenzen“, heißt es hierzu bei der Stadt Frechen.
Zu alt für einen Kredit
Die Höhe der Beiträge trifft gerade die älteren Bewohner der Straße schwer. „Welche Bank gibt einem 76-Jährigen einen Kredit?“, fragt Hans Josef Helten. Das Problem haben viele Anwohner. Die Aussicht, für eine Stundung 6,5 Prozent Zinsen zu zahlen, macht für sie die Sache nicht besser. Die übrigen Bewohner der Rosmarstraße haben einen pragmatischen Lösungsvorschlag für das Kredit- und Geschoss-Dilemma: Ältere Betroffene sollten nur den Ist-Zustand bezahlen müssen – und der nächste Hausbesitzer, falls er noch eine Etage bauen wolle, den Rest.