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Interview zum WeltkindertagFlutkatastrophe geht auch an Kindern nicht spurlos vorbei

Lesezeit 5 Minuten

Erftstadt – Für Familien und Kinder in Krisenzeiten setzt sich die Beratungsstelle FinK in Erftstadt-Lechenich ein. Julia Mauersberger (34), systemische Familientherapeutin und Diplom-Pädagogin, ist die Leiterin der Einrichtung, die seit Oktober 2019 besteht. Anlässlich des heutigen Weltkindertages, der jedes Jahr auf die Rechte und Bedürfnisse von Kindern aufmerksam macht, sprach sie mit Anica Tischler darüber, wie wichtig es ist, Kinder ernstzunehmen und sie auch in Krisenzeiten an Gesprächen zu beteiligen.

Frau Mauersberger, Sie beraten Kinder und Familien in krankheitsbedingten Krisenzeiten. Wie sehr leiden Kinder unter solchen Krisen oder auch unter Krisen wie der weltweiten Pandemie?

Natürlich sind auch Kinder durch Krisen in Familien oder durch Corona erheblich belastet. Selbst wenn wir als Erwachsene versuchen, die Kinder so gut wie möglich vor Leid zu schützen und zu bewahren, spüren sie, dass etwas nicht in Ordnung ist. Wichtig ist seitens der Erwachsenen, ehrlich mit den eigenen Gefühlen und denen der Kinder umzugehen und so viel Halt wie möglich zu bieten. Kinder überraschen mich immer wieder durch ihre Stärke. Wir können ihnen mitunter mehr zutrauen, als wir annehmen, wenn sie ausreichend Unterstützung erhalten. Dafür braucht es aber die Erwachsenen sowie Raum, Zeit und Geduld.

Julia Mauersberger

Was sind die größten Herausforderungen im Alltag für Kinder und Familien in solchen Lebenslagen?

Vor allem ist es schwierig, Routinen im Alltag aufrechtzuerhalten. Das können ganz einfache Sachen sein, wie das gemeinsame Abendessen oder das zu Bett gehen. Wenn Eltern schwer erkranken, dann sind sie oft nicht mehr in der Lage, gewohnte Rituale weiter aufrecht zu erhalten. Das kann den Rhythmus für die Kinder beeinträchtigen. Die zweite Herausforderung gilt der Psyche. Kinder sind mit vielen Gefühlen konfrontiert, mit denen sie umgehen müssen. Dafür brauchen sie empathische Erwachsene. Es geht darum, zum Beispiel den Ängsten und Sorgen der Kinder Raum zu geben.

Mit welchen Fragen und Sorgen sind Sie bei der Beratung am häufigsten konfrontiert?

Die Angst vor dem Tod ist ein zentrales Thema. Da wir Familien im Krankheitsfall beraten – wir haben einige Familien mit Krebserkrankungen –, geht es bei den Kindern oft um Angst, dass einer aus der Familien sterben könnte. Wie wir damit umgehen, kommt dann immer auf das Kind an. Es gibt Kinder, die sehr gerne reden. Es gibt aber auch einige Kinder, die das nicht mögen. Da läuft die Kommunikation oft über Spiele oder über das Malen von Bildern. Wichtig ist mir, dass die Kinder bei uns nichts zu leisten haben. So können wir auch mal Quatsch machen, Kissenschlachten oder Traumreisen, je nachdem, ob einem Kind Aktivierung oder Beruhigung guttut. Man sollte den Kindern auch in schweren Zeiten immer wieder ermöglichen, Leichtigkeit und Spaß zu haben.

Ausgleich zu bieten, war in letzter Zeit gar nicht so leicht. Wie hat sich denn die Pandemie auf ihre Beratung ausgewirkt?

Unsere Beratungsfälle sind nicht gestiegen, obwohl ich glaube, dass der Bedarf da gewesen wäre. Aber die Pandemie war so einschlagend, dass erst einmal alles heruntergefahren wurde. Bei unseren Familien spielt auch die Angst vor Ansteckung eine wichtige Rolle. Die Kinder müssen die Verantwortung mittragen, dass sie ihre Eltern nicht anstecken dürfen. Ich glaube, das wird erst jetzt deutlich, was für eine große Belastung die Pandemie in dieser Form ist.

Was macht die Pandemie mit den Sorgen und Ängsten der Kinder?

Es ist hier vor allen Dingen auch wieder der Ausgleich, der fehlt, die Leichtigkeit. Die Pandemie hat es erschwert, sich mit Freunden zu treffen, ins Kino zu gehen, Abwechslung eben. Das bedeutet für Familien, die sowieso schon durch Krankheit schwer getroffen sind, eine doppelte Belastung, weil sehr viel Schwere vorherrscht, die nicht leicht ausbalanciert werden kann. Hinzu kommt das Homeschooling. Ich habe bisher erlebt, dass die Kinder sehr tapfer damit umgegangen sind und es am Anfang sogar vielleicht cool fanden, zu Hause bleiben zu können, vor dem PC zu sitzen. Aber das hat nicht lange angehalten. Ich kenne kein Kind, dass jetzt noch sagt, es ist grundsätzlich lieber im Homeschooling. Sie merken selber, dass sie ihre Mitschülerinnen und Mitschüler brauchen.

Beratungsstelle FinK

Die Beratungsstelle für Familien in krankheitsbedingten Krisen (FinK), besteht sei Oktober 2019 und hat ihren Sitz in Erftstadt-Lechenich. Träger ist der Hospiz-Verein Erftstadt. Zusammen mit einem Team aus ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bietet Julia Mauersberger Unterstützung für Kinder und ihre Familien. Die Beratung ist kostenfrei und wird durch Spenden finanziert. (at)

Hatten die kürzlichen Überflutungen ebenfalls Einfluss auf die Menschen, die sie beraten?

Aufgrund unseres Einzugsgebietes des Rhein-Erft-Kreises sind auch von uns begleitete Familien von der Flutkatastrophe betroffen. Eine von uns begleitete Familie konnten wir dabei unterstützen, Hilfeleistungen zu erhalten. Trotzdem liegt der Schwerpunkt unserer Arbeit weiterhin in krankheitsbedingten Krisen, aber natürlich vermitteln wir bei Bedarf an andere Einrichtungen wie auch an Erziehungsberatungsstellen.

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Krankheit, Pandemie, Flut. Was ist Ihr Rat angesichts dieser Herausforderungen mit Blick auf den Weltkindertag?

Was ich mir vor allem wünsche, ist, dass wir gerade den Kleinsten in der Gesellschaft eine Stimme geben. Wir als Erwachsene müssen Verantwortung für das Wohlergehen der Kinder übernehmen, auch bei widrigen äußeren Umständen. Die Beratungsstelle FinK setzt sich dafür ein, dass Eltern Unterstützung erfahren in Zeiten, in denen es ihnen selbst an Kraft fehlt. Darin sehen wir unsere gesellschaftliche Verpflichtung.