Betroffene haben die Ausstellung mit entwickelt, auch persönliche Gegenstände sind bis zum 14. Oktober in der evangelischen Kirche zu sehen.
„Gegen das Vergessen“Betroffene erinnern mit Ausstellung in Erftstadt-Lechenich an die Flut
Äußerlich scheint die große Flut von Juli 2021 weitgehend aufgearbeitet. Doch dieser Schein trügt. Immer noch werden Anträge für den Wiederaufbau gestellt, immer noch feilschen Versicherungen um jeden Cent, den sie Betroffenen auszahlen und noch immer können Flutopfer nicht in ihre Häuser zurück, weil ihr Heim noch eine Baustelle ist.
„Es ist wirklich unglaublich, wie viele Menschen auch nach mehr als drei Jahren noch nicht mit dem Wiederaufbau fertig sind“, sagt Andrea Schnackertz. Sie arbeitet in der mobilen Fluthilfe-Beratung der Diakonie Katastrophenhilfe, zuständig für den Rhein-Erft-Kreis und den Rheinisch-Bergischen Kreis. „Mit zwei weiteren Kollegen werden wir auf jeden Fall noch bis August 2025 im Einsatz sein“, verspricht sie. Schnackertz hilft bei Präventionsmaßnahmen, sie unterstützt Betroffene aber auch dabei, Anträge für den Wiederaufbau beim Land zu stellen.
Noch größer als die Gebäude- und Sachschäden sind jedoch die seelischen Folgen, die die Flut im Juli 2021 bei vielen Betroffenen hinterlassen hat. Schnackertz weiß von Betroffenen, die das Geräusch von fließendem Wasser seit der Flut nicht mehr ertragen können. Sie hat mit Menschen gesprochen, die um ihr Leben geschwommen sind. Andere bekommen bis heute Ängste, wenn sie das Glucksen von Wasser hören. Andere bekommen die Schreie der Tiere, die in der Flut ertrunken sind, einfach nicht aus ihrem Kopf.
Erftstadt: Idee der Ausstellung entstand im Flutcafé
Ein Ehepaar habe ihr berichtet, dass sie gemeinsam überlegt hätten, wie sie sterben sollen – ertrinken, oder mit ihrem Haus in den Krater stürzen. „Sie wurden in letzter Minute von einem Hubschrauber gerettet“, berichtet Schnackertz.
„Reden hilft“, weiß Lara Steinert (35). Auch wenn sie persönlich „nur“ indirekt betroffen war, fällt es ihr bis heute schwer, über die Ereignisse vom Juli 2021 zu sprechen. „Vieles habe ich auch einfach vergessen“, erklärt sie. Das sei die Zeit gewesen, in der sie einfach nur funktioniert habe. Platz und Raum zum Reden bietet Dienstagsvormittags das Flut-Café der evangelischen Kirche in Lechenich. Und dort entstand auch die Idee der Ausstellung „Gegen das Vergessen“, die bis zum 14. Oktober täglich von 8 bis 12 Uhr sowie Dienstag und Donnerstag von 8 bis 14 Uhr in der evangelischen Kirche der Versöhnung, An der Vogelrute 8, zu sehen ist.
Flutopfer erinnern dabei an die Geschehnisse vom 15. Juli 2021. Gemeinsam mit dem Team der mobilen Hochwasserhilfe der Diakonie Katastrophenhilfe und der Kirchengemeinde Lechenich haben sie die Wanderausstellung entwickelt.
Ausstellung: Persönliche Gegenstände erinnern an die Flut 2021
Ausgestellt sind unter anderem persönliche Gegenstände, das alte Kochbuch, das symbolisch für eine ganze Sammlung wertvoller und außergewöhnlicher Kochbücher steht, oder das Hochzeitskleid und die Karnevalsmütze, die alle bei der Flut so sehr beschädigt wurden, dass sie nicht mehr zu brauchen waren. Auch Zeitungsausschnitte und Fotos sind zu sehen. Sogar in der New York Times wurde ja über die Flut in Erftstadt berichtet.
„Es macht mich auch ein bisschen Stolz, diese Ausstellung jetzt so zu sehen“, sagt Anne Steinert (31). Sie vermittele ihr auch das Gefühl, doch schon sehr viel geschafft zu haben. Die kreative Arbeit habe aber auch ihr geholfen, die Geschehnisse aufzuarbeiten. Sie war mit ihrem damals vierjährigen Jungen zu Hause, an der Frankenstraße in Bliesheim, als sie gegen 6.30 Uhr am 15. Juli 2021 wach wurde. Schon am Abend hatte sie, weil der Pegel der Erft ziemlich hoch stand, den Sandkasten ihres Sohnes leer geschippt und in ein Bettlaken gefüllt. „Das habe ich vor das Kellerfenster gelegt“, erinnert sie sich. Morgens wunderte sie sich über die Stille im Ort. Keinerlei Geräusche waren zu hören.
Ein Feuerwehrmann, der panisch durch die Frankenstraße lief, habe ihr dann zugerufen, dass die Erft über die Ufer getreten sei. „Im Garten kamen mir dann unsere Hühner entgegen, die vor dem Wasser flüchteten“, berichtet sie. Das Wasser sei dann bald aber nicht nur vom Garten und der Erft aus ins Haus gelaufen, sondern auch von vorne. „Am schlimmsten war diese Machtlosigkeit“, erinnert sie sich. 12 Stunden habe sie an diesem Tag mit ihrem kleinen Jungen im Haus ausgeharrt, bevor sie mit ihm und dem Hund aus dem Küchenfenster gekrabbelt sei und sich bei ihrer Lebensgefährtin in Lechenich in Sicherheit bringen konnte.
Geblieben ist aber auch bei ihr die Angst, die Erft könnte wieder steigen. Fest auf ihrem Handy ist deswegen die App installiert, die ihr jeden Tag den genauen Pegelstand der Erft anzeigt.