Bilder, Gerüche, Geräusche – hartnäckig bleiben die Erinnerungen an die Wassermassen. Doch der Wiederaufbau schreitet voran.
Wiederaufbau nach dem Trauma in Blessem„Die Flutkatastrophe hat bei uns allen Spuren hinterlassen“
Still liegt der Kirchenvorplatz in der Mittagssonne, menschenleer und verlassen. Und doch projiziert die Erinnerung zuverlässig die Bilder von vor drei Jahren auf die innere Leinwand. Damals schlug vor der katholischen Kirche in Erftstadt-Blessem das Herz des Ortes, den die Flut auf die Titelseiten der Weltpresse gespült hatte.
Die einstürzenden Wände der Kiesgrube, die Wassermassen, die dort ihre verheerende Kraft entwickelten – die Bilder sind im Jahr 2021 zum Symbol der Flutkatastrophe geworden.
An der Kirche traf man sich in den Wochen danach. Hier gab es kostenlose Mahlzeiten, Hilfe, eine kurze Auszeit. Auf den Bierbänken saßen die meist jungen, tatendurstigen Helfer neben den Betroffenen, die vor den Trümmern ihrer Existenz standen.
Hartnäckig bleiben die Geräusche im Kopf
Hartnäckig wie die Bilder sind die Geräusche im Kopf. Das unablässige Piepen der Baumaschinen und Lastwagen, die rangierten. Heute brummt nur ein Rasenmäher in einem der längst wieder adrett gepflegten Gärten. Am hartnäckigsten spielt das Gedächtnis einen Streich, wenn es um Gerüche geht. Nasser Schlamm. Und, noch schlimmer: Heizöl.
Der Eschenweg in Blessem roch nach Heizöl. Auch noch Monate nach dem Hochwasser. Im Haus am Ende der kleinen Sackgasse befand sich ein frisch gefüllter, großer Heizöltank. Sein Inhalt drang, vermengt mit dem Erftwasser, in die Häuser. Kroch in die Mauern, zerfraß Isolierungen, setzte sich in jeder Ritze fest. Als das Wasser abgeflossen war, standen am Eschenweg Häuser, die äußerlich unversehrt schienen, aber abgerissen werden mussten, wegen der giftigen Ausdünstungen.
Keine Angst vor dem Fluss – solange er nicht zu sehen ist
Anne Bär lebt seit drei Jahren mit Blick auf Baustellen. Die meisten Häuser am Eschenweg sind wieder aufgebaut, einige schon wieder bewohnt, andere kurz vor der Fertigstellung. Die Blessemerin steht auf ihrem Balkon, hier am Geländer hing damals das erste Banner mit der Aufschrift „Keine Kiesgrube mehr in Blessem“. Anne Bär hatte die Aktion angestoßen, fast 40 der Transparente ließ sie schließlich drucken, weil viele mit ihr protestierten. Mit Erfolg: Die Grube wird nicht wieder eröffnet.
Vom Balkon schweift der Blick über Gärten und Wiesen bis zu den Bäumen, dahinter der Fluss. Hat sie Angst vor der Erft? „Solange ich sie nicht sehe, existiert sie für mich nicht“, sagt Anne Bär. Sobald es allerdings zwei oder drei Tage regne, gehe ihr Mann nachschauen, wie hoch das Wasser stehe. Ihr Problem ist ein anderes: „Der Keller ist ein Albtraum.“ Den betrete sie am liebsten gar nicht mehr.
Sie schaut lieber auf das Positive, erzählt von den wieder belebten Aktivitäten im Ort, vom Karneval im Zelt, vom Rollbratenfest, vom großen Sommerfest der Vereine: „Das brauchen die Leute.“
Leere Fensterhöhlen, im Innern Wände ohne Putz – noch immer
Beim Verlassen des Eschenwegs fällt der Blick auf ein entkerntes Haus. Leere Fensterhöhlen, im Innern Wände ohne Putz. So sahen in den Monaten nach der Katastrophe viele Gebäude aus, mittlerweile ist es die Ausnahme. Es soll noch abgerissen werden. Nach wie vor ist vielen Häusern der Wiederaufbau im Gange.
Treffen mit Gottlieb Richardt und Christiane Obladen am Erftradweg. Oder besser gesagt: an der Stelle, wo eigentlich der Erftradweg verlaufen sollte. Ein schief hängender Bauzaun versperrt den Durchgang eher symbolisch. Aber das asphaltierte Stück endet ohnehin nach wenigen Hundert Metern. Dass die Radfahrer immer noch Richtung Konradsheim umgeleitet werden, ist den beiden ein Dorn im Auge. Damit sei jegliche Naherholung in Blessem kaputtgemacht, beklagt Christiane Obladen. Familien mit Kinderwagen oder ältere Menschen hätten kaum noch Möglichkeiten, ins Grüne zu kommen.
Noch ist die Grube auf dieser Seite provisorisch gesichert, erst wenn die Arbeiten hier erledigt sind, soll der Erftradweg, der auch Teil der Kaiserroute nach Aachen ist, wiederhergestellt werden. So lange mag Gottlieb Richardt nicht warten. Er drängt auf eine provisorische Befestigung der Strecke: „Die Blessemer sind zu Eigenleistungen bereit, dann wären die Kosten marginal.“
Eine Mulde soll Wasseraufnehmen, wenn die Erft wieder über die Ufer tritt
Die beiden sind nicht die einzigen, die ungeduldig sind. „Ich habe anfangs gedacht, wir brauchen fünf Jahre“, sagt Gerd Schiffer, städtischer Beauftragter für den Wiederaufbau. Doch die Stadt müsse die Planungen mit eigenem Personal stellen, zusätzliche Leute seien nicht zu bekommen. Immerhin: „Ich bin mit dem Fortgang nicht unzufrieden“, relativiert Schiffer. An der Grube sehe man die Fortschritte deutlich. Im Herbst will er die Planung für die Gestaltung der Aue vorstellen. Denn das große Loch wird nicht komplett zugeschüttet, es bleibt eine flache Mulde, die Wasser aufnehmen soll, falls die Erft wieder über die Ufer tritt.
Angesichts der begrenzten Kapazitäten müsse die Stadt Prioritäten setzen. Die Brücke der Frauentaler Straße über die Erft steht nicht sehr weit oben auf der Liste. Sie muss komplett neu gebaut werden. Ob die Brücke am Elisabethenweg saniert werden kann oder auch erneuert werden muss, wird sich noch zeigen.
Hufe klappern wieder über den Asphalt
Auf der Frauenthaler Straße ist ein vertrautes Geräusch zu hören. Das war komplett aus dem Ort verschwunden, gewissermaßen durch das Piepen der Baumaschinen ersetzt. Jetzt klappern wieder Hufe über den Asphalt. Eine junge Frau holt zwei Pferde von der Weide am Ufer der Erft, eine andere reitet Richtung Springplatz, der mit seinen bunten Hindernisstangen schmuck aussieht. Auf dem Veltenhof ist heute Großreinemachen angesagt, mit Heckenschneiden und Unkrautjäten. Keine Frage, dass die Chefin mitmacht.
Anne Spoo-Symalla hockt auf dem Pflaster im Innenhof, mit Kratzer und Besen rückt sie dem Gras zu Leibe, das in den Fugen zwischen den Pflastersteinen sprießt. Für Smalltalk hat sie keine Zeit, aber sie sagt: „Viele Leute freuen sich, dass man wieder Hufgeklapper in Blessem hört. Sogar die, die sich früher darüber beschwert haben.“
Die „halbierte“ Reithalle des Veltenhofs war auch eines der Bilder, die sich unauslöschlich eingeprägt haben. Ein Teil war in die Grube gestürzt, die nicht nur Autos und Pferdehänger, sondern auch Häuser verschluckte. Die Halle ist längst wieder aufgebaut, die Boxen im Stall der Familie Spoo sind belegt, der Betrieb läuft wieder.
Die Mauer entlang der Frauenthaler Straße ist wieder aufgebaut, gerade ist das Tor geliefert und eingesetzt worden. Beate und Martin Spoo haben vom Küchentisch einen Ausblick, der das Herz höher schlagen lässt: Draußen stehen zwei Pferde, die einander hingebungsvoll mit den Zähnen das Fell kraulen, dahinter schauen weitere Tiere über ihre Boxentüren. Beim Seniorchef mischt sich Skepsis in die Freude an der Idylle: „Man kann nur hoffen, dass man das noch einige Zeit genießen kann“, sagt er.
Der Wiederaufbau hat Kraft gekostet, so viel Kraft, dass mancher vor der Aufgabe kapituliert hat. Einige Häuser im Ort haben mittlerweile neue Besitzer. Manche Keller sind einfach nur entkernt, die Wände immer noch unverputzt, der Boden ohne Estrich. Weil die Kraft nicht mehr reicht. Oder weil der Keller zum Albtraum geworden ist. Anne Bär sagt: „Die Flutkatastrophe hat bei uns allen Spuren hinterlassen.“