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„Die Lage ist ernst“Der Chef der Brühler Arbeitsagentur im Interview

Lesezeit 6 Minuten

43 Mitarbeiter sind von der Schließung der Brühler Kaufhof-Filiale betroffen.

  1. Rainer Imkamp ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit in Brühl.
  2. Er empfindet die derzeitige Lage zwar als ernst und sieht die Krise als schwerste seit dem Zweiten Weltkrieg, hat aber Hoffnung.
  3. Im Videointerview sprach Niklas Pinner mit ihm über die Lage auf dem Arbeitsmarkt, mögliche Entwicklungen und die Corona-Krise.

Herr Imkamp, die Arbeitsmarktzahlen für den Juli sind raus, keine guten Nachrichten. Können Sie die Lage im Rhein-Erft-Kreis für uns einordnen?Rainer Imkamp: Die Lage ist durchaus ernst, aber sie ist nicht ohne Hoffnung. Wir haben einen Verlauf, insbesondere im Vergleich zum Vorjahr, der sehr bemerkenswert ist und den vor einem Jahr niemand vorhergesagt hätte. Wir haben aktuell 27 Prozent mehr Arbeitslose (als im Vorjahr, Anm. d. Red.). Der Bestand an Arbeitslosen ist im Vergleich zu anderen Kreisen in Nordrhein-Westfalen noch eher unterdurchschnittlich. Die Steigerung ist allerdings im oberen Drittel. Insofern müssen wir schon besorgt sein. Hier verknüpfen sich pandemiebedingte Eintrübungen durchaus auch mit Entwicklungen im Rhein-Erft-Kreis und im Umland.

Welche Branchen hat es besonders hart getroffen?

Bei der Pandemie sind im Grunde alle Bereiche der Wirtschaft stark betroffen. Das Gastgewerbe leidet ganz besonders, genauso wie die Reiseverkehrsbranche und natürlich auch alles, was mit Touristik außerhalb der eigenen, engeren Grenzen zu tun hat. Betroffen sind eben auch Wertschöpfungsketten. Wenn einige Dinge nicht klappen, klappen auch andere Dinge nicht, und das führt zu einem Effekt, den wir genau jetzt feststellen.

Ist der Höhepunkt denn erreicht?

Nein. Das würde sich heute niemand trauen, zu sagen. Wir haben drei besonders betroffenen Zielgruppen am Arbeitsmarkt. Zum einen die älteren Beschäftigten, die nicht wissen, ob sie noch mal eine Chance haben. Außerdem Arbeitsplätze in der Produktion, an- oder ungelernte Kräfte stark, oft mit einem hohen Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund. Und junge Leute.

Das ist im Sommer saisonal durchaus üblich, Ausbildungen enden, es gibt nicht sofort die Chance auf einen Anschlussarbeitsplatz. Gerade diese Entwicklung wird sich im August und September fortsetzen. Um die werden wir uns ganz besonders kümmern.

Welche Instrumente hat die Arbeitsagentur, um die Lage auf dem Ausbildungsmarkt zu verbessern?

Der Ausbildungsmarkt liegt uns ganz besonders am Herzen. Es darf keinen Jahrgang Corona geben, es darf keine Generation Corona geben. Im Kern haben wir die Schwierigkeit, dass wir das Geschäft, das normalerweise sechs bis acht Wochen läuft, nicht betreiben konnten: Seit Mitte März waren die Schulen geschlossen, die Börsen, die wir normalerweise mit unseren Partnern den Kammern durchführen, konnten so nicht stattfinden.

Auch mussten sich Betriebe, die Kurzarbeitergeld angemeldet hatten, fragen, ob sie einen gemeldeten Ausbildungsbetrieb überhaupt noch anbieten konnten. Wir hatten zehn Jahre Boom, Jugendliche waren jetzt ein Stück weit verunsichert. Jetzt werden wir das aber aufholen.

Und wie?

Dinge, die vor einem Jahr noch unvorstellbar waren, haben jetzt durch einen Digitalisierungsschub auf einmal Konjunktur. Wir führen Beratungen per Telefon durch, wir sind ständig erreichbar und arbeiten an Skype-Beratungen. Das wird in absehbarer Zeit ein Teil unseres Dienstleistungsspektrum sein.

Zur Person

Rainer Imkamp ist 58 Jahre alt, er arbeitet seit 38 Jahren bei der Bundesagentur für Arbeit. Unter anderem war er Berufsberater, Teamleiter, Bereichsleiter, Geschäftsführer operativ und hat in allen Abteilungen der Agentur Erfahrungen sammeln können, sagt er.

Lange hat er Brühl aus der Regionaldirektion heraus betreut. Noch während der Zeit seines Vorgängers Johannes Klapper hatte er den Job des Vorsitzenden der Geschäftsführung bereits interimsweise inne. Seit zweieinhalb Jahren ist er nun der Vorsitzender der Geschäftsführung der Brühler Arbeitsagentur und damit für den Rhein-Erft-Kreis und den Kreis Euskirchen zuständig. Außerdem ist er der Chef der Revieragentur für das komplette Rheinische Revier. (nip)

Wohin geht die Arbeitslosigkeit noch?

Das ist ein Blick in die Glaskugel und ich möchte mich nicht zu Pandemiefragen äußern. Der Druck gerade für junge Menschen wird in den nächsten Wochen und Monaten nicht aufhören. Wir arbeiten aber an Lösungen, dass wir bis zum 30. September noch viele Erfolge erzielen und auch danach. Das Schöne im Agenturbezirk Brühl ist, dass wir keine Zurückhaltung spüren bei den Betrieben. Wir haben mehr Ausbildungsstellen genannt bekommen als vor einem Jahr. Wir fragen jetzt nach, ob das jetzt noch so ist. Wir können sagen, dass es noch eine große Aufnahmebereitschaft der Betriebe gibt. Das ist ein gutes Zeichen, auf das wir bauen werden.

Der Kreis befindet sich im Strukturwandel, Arbeitsplätze werden gebraucht. Ist Corona ein großer Hemmschuh?

Es kann einer sein, im Moment spüren wir es ja. Der Strukturwandel wirkt sich auch schon aus auf die Zahlen, die wir jetzt verkünden müssen. Wir haben jetzt den politisch motivierten früheren Ausstieg aus der Braunkohle, aber wir haben auch Anfang des Monats die Verabschiedung des Strukturstärkungsgesetzes gesehen, des Kohleausstiegsgesetzes, den öffentlich-rechtlichen Vertrag mit den Betreibern. All das bringt Hilfen in die Region, nicht zuletzt in den stark betroffenen Rhein-Erft-Kreis. Und darüber sind wir sehr glücklich. Wir werden Leuchttürme haben, wo wir sehen: Da tut sich was. Wir machen uns auf in diesem starken Revier, noch gestärkt aus der Entwicklung herauszukommen. Die wird uns allerdings eine ganze Generation lang fordern.

Hat der Staat Ihrer Meinung nach genug unternommen, um den wirtschaftlichen Schaden abzufedern?

Oh ja, das war sehr entschlossen. Und wenn man sich die Summen anschaut – und das tut man im Inland und im Ausland –, dann kann man einfach nur beeindruckt sein. Von der Dimension der Hilfsprogramme, von der Anzahl. Ja, das ist eine Investition, das ist Mut.

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In der Bundesagentur hatten wir eine Riesenrücklage, die wir gerade in Form von Kurzarbeit gegen die Krise einsetzen. Und das hilft, weil so Arbeitslosigkeit nicht entsteht und weil man so eine gewisse Phase der Krise gut überwinden kann. Und ich bin sehr dankbar, dass es die Hilfsprogramme gibt. Das ermöglicht Deutschland, NRW und dem Rhein-Erft-Kreis, noch vergleichsweise günstig aus dieser einzigartigen Situation herauszukommen. Es ist die schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg.

Sind noch weitere Pakete nötig?

Wir nehmen es eher so wahr, dass die Pakete anfangen, zu greifen. Wir haben eine Stützung der Wirtschaft und in manchen Branchen eine Aufnahmefähigkeit. Insofern wäre es jetzt, glaube ich, gut, wenn wir erst einmal gucken würden, wie diese vielen Programme ihre Wirkung entfalten.

Rat und Tat

Die Agentur für Arbeit Brühl will die 43 Mitarbeiter der Kaufhof-Filiale beraten. Bei Betriebsversammlungen erhielten Mitarbeiter bereits erste Informationen darüber, was sie jetzt tun könnten. „In weiteren Gruppenveranstaltungen und Einzelgesprächen werden wir die Beschäftigten weiter eng begleiten“, sagt Michéle Lambertz vom Arbeitgeber-Service. Das heißt, die Agentur will über die Stellensituation informieren und bei Bedarf Unterlagen für eine Arbeitssuchendmeldung aushändigen.

Auch Informationen zu Transfergesellschaften, Qualifizierung, Umschulung und Anträge für Arbeitslosengeld erhalten die Betroffenen. Rainer Imkamp ruft den Handel auf, vakante Stellen unter 0800/4555520 zu melden. (nip)

Durch die Schließung der Kaufhof-Filiale in Brühl verlieren 43 Beschäftigte ihren Job. Können Sie etwas zu deren Lage erzählen?

Das nehmen wir sehr ernst. An vielen Orten gibt es noch Bemühungen, Standorte auch zu retten. Da würde ich jetzt nicht alles verloren geben. Wir sind in engem Kontakt mit allen hier relevanten Stellen. Mit dem Betreiber, mit der Stadt. Wir gehen auch in die Filiale rein und beraten die dort Beschäftigten (siehe Infokasten, Anm. d. Red.), die natürlich verunsichert sind und die auf unsere Hilfe setzen: Entweder wenn es hoffentlich doch noch weitergeht, – das ist für mich noch offen – oder, falls nicht, was gute Möglichkeiten wären, entweder in eine andere Arbeitsstelle zu münden oder in die eigene Qualifizierung zu investieren.