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Vertreter von SPD und Grüne im Interview„Nachfrage an der Gesamtschule in Brühl ist groß“

Lesezeit 5 Minuten
Blick auf die Brühler Gesamtschule.

An der bestehenden Brühler Gesamtschule mussten in den vergangenen Jahren etliche Kinder abgelehnt werden.

Simone Weesbach (SPD) und Bela Kassan (Grüne) zu einer möglichen Neugründung.

Simone Weesbach, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Brühler SPD, ist Lehrerin in Bornheim-Hersel. Bela Kassan, bildungspolitischer Sprecher der Brühler Grünen, arbeitet als Lehrer in Brühl. Wolfram Kämpf sprach mit der 29-Jährigen und dem 37-Jährigen über die mögliche Schaffung einer zweiten Brühler Gesamtschule.

Frau Weesbach, Herr Kassan, Brühl hat mit zwei Gymnasien, zwei Realschulen, einer Haupt- und einer Gesamtschule eine für die Größe der Stadt vielfältige Schullandschaft. Warum kann nicht alles bleiben, wie es ist?

Bela Kassan: Der Grund ist einfach: Die Nachfrage nach Plätzen an der Gesamtschule ist größer als das Angebot. In den vergangenen Jahren wurden immer mindestens 60 Kinder abgelehnt. Das ist ein Zustand, den man nicht akzeptieren kann. Wir verstehen es als unseren politischen Auftrag, das zu ändern. Es geht uns nicht darum, Schulen zu schließen, sondern vielmehr dafür zu sorgen, dass jedes Kind, das auf die Gesamtschule will, dort auch einen Platz bekommt.

Bela trägt ein weißes T-Shirt, eine lilane Hose und lächelt in die Kamera.

Bela Kassan, bildungspolitischer Sprecher der Brühler Grünen, arbeitet als Lehrer in Brühl.

Simone Weesbach: Fakt ist, die jetzige Brühler Schullandschaft ist seit der Gesamtschul-Gründung 1996 unverändert. Es ist an der Zeit zu schauen, ob das Angebot noch zeitgemäß ist und den Bedürfnissen entspricht.

Was spricht denn dagegen, die bestehende Gesamtschule auszubauen und dort Brühler Kinder wie bereits am Max-Ernst-Gymnasium üblich zu bevorzugen?

Weesbach: Der Paragraf, der eine Bevorzugung Brühler Kinder vorsieht, erschwert die Wahrung der Drittelparität. Diese ist zwar nicht vorgeschrieben, aber wünschenswert. Außerdem würden die Kinder angrenzender Kommunen, die diese Schulart nicht anbieten, dieselben Rechte genießen wie Brühler Kinder. Noch wichtiger ist es uns aber, dass wir keine Riesenschulen schaffen wollen.

Die junge Frau sitzt auf einer Bank. Sie trägt Jeans und ein gemustertes T-Shirt. Leicht lächelnd blickt sie in die Kamera.

„Es ist an der Zeit zu schauen, ob das Angebot noch zeitgemäß ist und den Bedürfnissen entspricht“, sagt Simone Weesbach.

Kassan: Ein Ausbau ist in jedem Fall eine mögliche Option. Allerdings sehen wir dabei auch deutliche Risiken: Eine Erweiterung ist nicht nur räumlich schwierig, sondern auch für die Schulgemeinschaft nicht so einfach möglich. Unter einer größeren Gesamtschule würde aber auch die Nachfrage an Real- und Hauptschule leiden. Denn der Trend geht eindeutig zu Gymnasien und Gesamtschulen. Die Eltern würden gewissermaßen mit den Füßen über die Situation an Erich-Kästner-Realschule und Clemens-August-Hauptschule entscheiden. Wir würden also ein großes System schaffen und einen immer leerer werdenden EKR-Neubau riskieren.

Die Schaffung einer zweiten Gesamtschule wäre aber sicherlich mit höheren Kosten verbunden.

Kassan: An dem Punkt, das abschätzen zu können, sind wir noch lange nicht.

Die Schulleiter, Lehrerkollegien und die Stadtschulpflegschaft haben arge Bedenken gegenüber einer zweiten Gesamtschule geäußert. Werden diese Meinungen leichtfertig für die Umsetzung einer bildungspolitischen Agenda beiseitegeschoben, obwohl auch Ihre Parteien den bestehenden Schulen gute Arbeit bescheinigen?

Kassan: Über ein Thema dieser Reichweite zu streiten, ist nachvollziehbar und erwünscht. Die genannten Kritiker sind aber auch Teil des Systems und haben keine distanzierte, neutrale Perspektive. Wir haben alle miteinbezogen, der Kritik vorschnell Folge zu leisten, hielte ich für falsch. Vor allem, weil uns noch entscheidende Informationen fehlen. Nämlich zum Bedarf der Eltern und zur Einschätzung der Bezirksregierung. Das alles gehört dazu, um den besten Weg zu finden. Außerdem verstehen wir uns auch als Sprachrohr jener Eltern, deren Kinder an der Gesamtschule abgelehnt wurden.

Weesbach: Die negativen Stimmen sind sicherlich laut und vorhanden, aber in unseren Gesprächen mit Bürgern erfahren wir auch viel Zustimmung. Daher ist es richtig, in einer Befragung die Bedürfnisse der Eltern zu erfassen. Eine neue Gesamtschule böte übrigens auch die Chance, eine Aufbruchsstimmung zu erzeugen. Ich bin davon überzeugt, dass sich viele Lehrerinnen und Lehrer fänden, die Lust hätten, eine Schule aufzubauen – ohne eingefahrene Strukturen und mit der Möglichkeit, den pädagogisch neuesten Stand zu berücksichtigen. Anders als jetzt würden wir zudem Kapazitäten schaffen, um jene Schüler aufzunehmen, die am MEG nicht zurechtgekommen sind.

Wäre es grundsätzlich nicht konsequenter, auch das Max-Ernst-Gymnasium zugunsten von Gesamtschulen auslaufen zu lassen?

Kassan: Wenn man das konsequent zu Ende denkt, kann man zu diesem Schluss kommen. Aber an diesem Punkt der Diskussion sind wir nicht. Das MEG wird nicht in Frage gestellt, weil es nicht der Impuls für unsere Initiative ist. Wir haben den Auftrag, für ausreichende Plätze an einer Gesamtschule zu sorgen.

Weesbach: Wir müssen eindeutig feststellen, dass in Brühl zwei Schulen großen Zulauf haben: die Gesamtschule und das MEG. Das ist der springende Punkt.

Die Schülerschaft der Gesamtschule setzt sich idealerweise jeweils zu einem Drittel aus potenziellen Gymnasiasten, Real- und Hauptschülern zusammen. Kritiker glauben, dass man dies an einer zweiten Gesamtschule nicht erreichen kann. Woher sollen insbesondere die Schüler mit gymnasialer Empfehlung kommen?

Kassan: Über die Bedeutung von Schulformempfehlungen kann man sicherlich diskutieren. Es ist jedenfalls nicht zwingend nötig, bestimmte Anteile an Schulformempfehlungen an Bord zu haben. Oft nehmen die Kinder später einen anderen Weg, als es die Empfehlung vorgesehen hat. Und gerade die Gesamtschule eröffnet die Möglichkeit, sich frei zu orientieren.

Aber Sie halten es für richtig, die Befragung von Eltern heutiger Erst- und Zweitklässler als Weichenstellung in der Gesamtschul-Diskussion zu nutzen? Die Schullaufbahn dieser Kinder hat doch gerade erst begonnen, die Frage nach der individuell richtigen weiterführende Schule kommt da doch sehr früh, oder?

Weesbach: Den Fragebogen haben wir uns nicht ausgedacht. Die Verwaltung orientiert sich an den Vorgaben der Bezirksregierung und den Vorlagen anderer Kommunen, die sich einer ähnlichen Situation befunden haben. Dennoch halten wir es für richtig, die Eltern zu befragen, die perspektivisch betroffen sind.

Kassan: Es geht ja auch darum, frühzeitig den Leistungsdruck zu nehmen. Der kommt schon in der zweiten oder dritten Klasse auf, weil sich der Blick dann bereits auf die mögliche Schulempfehlung richtet. Zu wissen, dass es ausreichend Plätze an der Gesamtschule gibt, nimmt Ängste und Druck.