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Bibliothek auf Schloss TürnichDie Geheimtür von Schloss Türnich

Lesezeit 4 Minuten

Schloss Türnich in Kerpen.

Kerpen-Türnich – Es ist wie in einem düsteren Thriller. Ort der Handlung ist Schloss Türnich. Heimlich haben die Nationalsozialisten kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs das Arbeitszimmer und die Schreibtische von Eugen Graf von und zu Hoensbroech und seiner Frau Agnes durchwühlt, als die beiden verreist waren. Die neuen Machthaber haben keinen Zweifel daran gelassen, dass sie hinter der Familie herspüren, dass sie ihnen suspekt ist. Gefunden haben sie nichts. Noch nicht. Damit das so bleibt, gibt es bald darauf in der Bibliothek hinter den schweren Büchern im Regal verborgen ein Schloss. Dreht man den Schlüssel, kann man das deckenhohe, zentnerschwere Regal voller Bücher wie eine schwere Tür aufschwenken. Es öffnet sich ein Geheimgang.

Heute ist die Bibliothek im Herrenhaus für Besucher nicht wiederzuerkennen. Alle Möbel sind verschwunden. Bücher und Regale sind ebenfalls nicht mehr da. Der Blick fällt nun auf die blanke Wand, die mit Zeitungsseiten aus den 30er-Jahren als Makulatur vortapeziert ist. Die gesamte Bibliothek des rheinischen Rokoko-Ensembles ist mit Holzbalken abgestützt, weil Grundwasserabsenkungen das alte Gemäuer bedrohen – das Haus ist eine einzige Baustelle.

Severin Graf von und zu Hoensbroech, der Enkel von Eugen und Agnes, hebt ein altes Laken in die Höhe, das vor dem Ausschnitt der Geheimtür in der Wand hängt. Als ob sie durch eine Szenerie aus einem ihrer eigenen Psycho-Thriller wandeln würde, schreitet Bestsellerautorin Petra Hammesfahr hindurch – eine Zeitreise für die Kerpenerin. Man spürt die Spannung. „Für mich ist das Wahnsinn. In der Vergangenheit sind Sachen passiert, die ich mir vielleicht gefühlsmäßig erklären kann, die ich aber vom Verstand her nicht begreifen kann.“

Zeitsprung zurück in den Zweiten Weltkrieg: Die offene Geheimtür gibt den Blick frei auf einen spärlich beleuchteten, engen, gewundenen Gang. Stapel von Notenblättern türmen sich in die Höhe. In der Ecke ein Waschbecken, das noch heute erhalten ist. Doch auch die Noten sind nur Staffage, nur Tarnung.

Der Graf hat dahinter und an anderen Stellen im Schloss alle wichtigen Dokumente der Familie und auch Kunstwerke von befreundeten jüdischen Familien versteckt, die den Nazis nie und nimmer in die Hände fallen dürfen – sonst droht die standrechtliche Erschießung. Das Versteck kennen nur wenige, nicht einmal der Godehard Graf Hoensbroech, ein Kind von nicht einmal zehn Jahren, weiß davon – zu seinem eigenen Schutz. Im Verborgenen liegt auch eine der frühen Ausgaben von Hitlers „Mein Kampf“. „Mein Vater hat die erste Ausgabe gelesen. Sie war ungekürzt, und er hat den Wahnsinn von vorne bis hinten in roter Tinte markiert“, erinnert der 1936 geborene Graf Godehard sich an seinen Vater Eugen zurück.

Als kleiner Junge hatte Godehard seine Lehrerin mit dem römischen Gruß zu empfangen, „sobald sie fünf Schritte vor uns auftauchte“ und so zu verharren, „bis sie drei Schritte hinter uns war“. Als er den „Hitler-Gruß“ als Knirps in der Schule gelernt hatte, führte er ihn einmal stolz in der Küche seiner Mutter Agnes mit knallenden Hacken vor.

Zu seiner Überraschung setzte es eine schallende Ohrfeige von der Mutter, und das vor einem guten Dutzend Küchenmitarbeitern und dazu auch noch die unmissverständliche Zurechtweisung: „Das ist das erste und das letzte Mal, dass ich das je von dir gehört habe.“

Mit einer Kutsche fuhr die Gräfin ins Dorf. Eine Frau hielt sie an und man kam ins Gespräch, weil die Gräfin auch das Rote Kreuz im Ort vertrat. Alles war eigentlich wie immer, bis die Türnicherin den Fehler machte und fragte, warum Godehard eigentlich noch nicht in der Hitler-Jugend sei. „Meine Mutter hat die Frau aus der Kutsche heraus angebrüllt. Meine Eltern haben sich überhaupt fürchterlich exponiert in dieser Zeit. Ich bin sicher, es gab schon irgendwo eine Liste, auf der sie vorgemerkt waren, um sie nach einem gewonnenen Krieg aus dem Weg zu räumen“, glaubt Godehard Graf Hoensbroech.

In Petra Hammesfahrs Stimme schwingt Sympathie mit, als sie von der aufrechten früheren Hausherrin hört: „Kinder brauchen eine solches Vorbild. Sie brauchen Grenzen und Respekt für andere Menschen. Das kommt mir manchmal in der heutigen Erziehung zu kurz.“

Angesichts von Geheimgängen, Nazigräueln und der Gefahr der standrechtlichen Erschießung denkt die Autorin voraus. Für sie liegt der Schlüssel für Extremismus in der Erziehung der Kinder – früher wie heute: „Jeder Mensch braucht Regeln und muss lernen, mit Grenzen zu leben. Es reicht nicht, die Kinder nur vor den Fernseher zu setzen.“

Eine Familie unter solchem Druck, offen bespitzelt von den Nazis, durch die Kriegsjahre zu führen, das ringt der Kerpener Autorin Respekt ab. Gleichzeitig schüttelt sie mitunter fassungslos den Kopf, als sie von den Schikanen und Drohgebärden der Nazis hört: „Man begreift nicht, dass es heute wieder Leute gibt, die versuchen, das zu wiederholen.“