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BildungSchulleiterin aus Bergheim: „Jede Ablehnung führt zu emotionalem Aufruhr in Familien“

Lesezeit 4 Minuten
Auf dem Foto sind zwei Frauen zu sehen, es sind die Leiterinnen des Gutenberg-Gymnasium in Bergheim.

Tina Weyand (l.) und Anja Schwingel leiten das Gutenberg-Gymnasium in Bergheim.

Nicht alle Kinder, die in die fünfte Klasse wechseln, dürfen ihre Wunschschule besuchen. In Bergheim wurden am Gutenberg-Gymnasium besonders viele abgewiesen.

58 Kinder musste das Gutenberg-Gymnasium im Zuge der Anmeldungen der Fünftklässler für das Schuljahr 2025/26 ablehnen. Davon wohnen 47 in der Kreisstadt. Die Eltern der Kinder erhalten seit Ende März die Absage per Post. Sie werden gebeten, ihre Tochter oder ihren Sohn an einer anderen Schule anzumelden. Jörn Tüffers sprach mit Anja Schwingel, der Schulleiterin des Gutenberg-Gymnasiums, über die Gründe für hohe Zahl der abgelehnten Grundschüler und über die Konsequenzen, die daraus erwachsen.

Waren Sie von der hohen Anmeldezahl überrascht?

Anja Schwingel: Wir haben zwar seit Jahren immer wieder mehr Anmeldungen als Plätze, aber in dieser Größenordnung war das für uns überraschend.

Hätten Sie nicht mehr Kinder aufnehmen können?

Wir hatten anfangs gehofft, fünf Eingangsklassen bilden zu können. Da wussten wir noch nicht, wie der Schulträger der Stadt Bergheim in diesem Jahr entscheiden würde – ob wir vier- oder fünfzügig ins neue Schuljahr gehen sollen.

Das heißt, das Gutenberg-Gymnasium hat in der Vergangenheit schon fünf Eingangsklassen bilden können?

Ja.

Und das hat funktioniert? Hatten Sie den Raum für zusätzliche Klassen?

Wir konnten den Raum schaffen, indem Klassenräume von den Kursen der Oberstufe belegt werden, während zum Beispiel Fünft- oder Sechstklässler Biologie oder Chemie in den Fachräumen haben. Das ist in vielen weiterführenden Schulen sowieso üblich. Eng ist es im Moment im Bereich der Sporthallen. Wir haben zwar eine Dreifachhalle und eine Zweifachhalle auf unserem Schulgelände. Die werden aber aktuell noch von den umliegenden Schulen mitgenutzt. Da geplant ist, am Erftgymnasium eine Sporthalle zu bauen, ist hier allerdings perspektivisch Abhilfe in Sicht.

Es wird aber offenbar auch künftig bei vier Eingangsklassen bleiben. Die Stadt Bergheim verweist in einer Pressemitteilung darauf, am Gutenberg-Gymnasium bestünden keine Möglichkeiten zu erweitern, am Erftgymnasium dagegen schon. Dies sei das Ergebnis einer Studie.

Ich kenne die Pressemitteilung. Die Studie selbst ist mir nicht bekannt.

Nun sind 58 Ablehnungen verschickt worden. Die Kinder sollen das Erftgymnasium besuchen, an dem sie aufgenommen werden können. Wo ist das Problem?

Das Erftgymnasium leistet gute Arbeit! Da gibt es kein Problem. Das Problem liegt in der Enttäuschung der Eltern und Kinder, die sich eine Schullaufbahn an unserer Schule vorgestellt haben und zum Teil schon lange gewünscht hatten, weil ältere Freunde oder Nachbarskinder bei uns sind. Kinder ablehnen zu müssen, setzt uns zu. Das sind ja nicht 58 beliebige Namen. Viele Kinder haben wir am Anmeldetermin kennengelernt. Sie haben sich in der Grundschule angestrengt um eine Gymnasial-Empfehlung zu bekommen. Jetzt werden sie abgelehnt und verstehen oft die Gründe nicht.

Das Foto zeigt mehrere Erwachsene und zwei Mädchen.

Das Gutenberg-Gymnasium erhielt 2023 den Klimaschutzpreis für die Aktion „Gugy Goes Green 2030“.

Wie äußert sich das?

Wir erhalten handgeschriebene Briefe der Kinder, in denen ich gebeten werde, es mir mit der Aufnahme doch noch einmal zu überlegen. Eltern melden sich telefonisch und fragen nach, ob ich für ihr Kind eine Ausnahme machen kann … Da habe ich aber überhaupt keinen Handlungsspielraum. Sobald feststeht, das wir mehr Anmeldungen haben, als wir Plätze vergeben dürfen, muss ich anhand bestimmter Kriterien über die Aufnahmen entscheiden.

Was sind das für Kriterien?

Sie sind durch die Verwaltungsvorschriften zur Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die Sekundarstufe I in §1 vorgegeben. Es handelt sich um sechs mögliche Kriterien, aus denen die Schulleitungen eines oder mehrere heranziehen müssen.

Welche Aspekte kommen bei Ihnen zum Tragen?

Das erste ist das Kriterium „Geschwisterkind“. Wer also schon ein Kind an unserer Schule hat, kann sicher sein, dass das zweite oder jedes weitere auch aufgenommen wird. Darüberhinaus wählen wir unter Berücksichtigung des Kriteriums „ausgewogenes Verhältnis von Mädchen und Jungen“ das Kriterium „Losverfahren“.

Ist die Entfernung zur Schule kein Kriterium?

Das ist ein mögliches Kriterium. Aber wir wissen aus dem Austausch mit Schulen, die dieses Kriterium schon einmal herangezogen haben, dass Familien oft sehr damit hadern, wenn wenige Meter des Wohnsitzes über Aufnahme oder Ablehnung entscheiden.

Das Losverfahren ist auch juristisch weniger anfechtbar, oder?

Das ist nicht von der Hand zu weisen. Aber mit Widersprüchen müssen wir jedes Jahr leben. Das ist auch okay so.

Wie viele waren es 2024?

Schülerinnen und Schüler des Gutenberg-Gymnasiums in Bergheim formten 2022 als Reaktion auf den russischen Überfall auf die Ukraine auf dem Schulhof ein Peace-Zeichen.

Schülerinnen und Schüler des Gutenberg-Gymnasiums in Bergheim formten 2022 als Reaktion auf den russischen Überfall auf die Ukraine auf dem Schulhof ein Peace-Zeichen.

Wenn ich mich recht erinnere, waren es acht. In den Fällen die zur Bezirksregierung oder vor Gericht gegangen sind, ist es aber bei der Ablehnung geblieben.

Trifft es die 58 Familien nun gänzlich unvorbereitet?

Das nicht. Wir haben den Familien bei unseren Infoveranstaltungen Endes letzten Jahres gesagt, dass wir eventuell ablehnen müssen. Dennoch höre ich von denen, die um ein Gespräch bitten, welchen emotionalen Aufruhr die Ablehnung in den Familien verursacht.

Wie muss man sich das vorstellen?

Eltern rufen hier an. Einige sind enttäuscht und fragen, ob es nicht doch noch einen Weg gibt. Andere sind verärgert. All das kann ich nachvollziehen und bisher habe ich es geschafft, mit allen, die darum gebeten haben, persönlich zu sprechen.