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Jahrmarkt anno dazumalBedburger hält alte Attraktionen wie die „Frau ohne Kopf“ am Leben

Lesezeit 3 Minuten
Ein Mann im Frack steht vor einem erhellten Podest, auf dem eine knapp bekleidete Frau ohne Kopf sitzt. An ihrem Hals laufen Schläuche zusammen.

Dominik Schmitz aus Bedburg-Grottenherten ist der nach eigenen Angaben letzte Schausteller mit historischen Schaubuden in Deutschland. Die Frau ohne Kopf ist eine berühmte Attraktion.

Dominik Schmitz aus Bedburg ist der letzte Schausteller seiner Art in Deutschland. Er ist mit seinen Kuriositäten und Illusionen unterwegs.

Der Direktor vor dem Zelt verspricht nichts weniger als eine medizinische Sensation. „Wir zeigen gleich das Mädchen ohne Kopf“, sagt Dominik Schmitz den Jahrmarktbesuchern. „Kein Spirituspräparat, sie ist lebend zu sehen und wird von modernsten wissenschaftlichen Apparaturen am Leben gehalten.“

Das Mädchen ohne Kopf, die Dame ohne Unterleib, die schwebende Jungfrau — Schmitz hat sie alle im Angebot. Der Bedburger ist nach eigenen Angaben der letzte Schausteller Deutschlands, der mit historischen Buden durch die Lande zieht.

Ein Mann mit kariertem Hemd und Brille zeigt Schaudolche und einen bunten Kasten.

Dominik Schmitz zeigt einen orientalischen Degenkasten, in den Zuschauer ihren Kopf stecken können.

„Bis in die 1960er Jahre prägten Kuriositätenkabinette und Schaubuden das Bild der Messen, Jahrmärkte und Festivals in Europa“, sagt Schmitz. Doch diese seien von immer mehr Technik und großen Fahrgeschäften verdrängt worden.

Die Schaustellerei war Schmitz nicht in die Wiege gelegt. Der Vater war Schulleiter, die Mutter Leiterin eines Katholischen Kindergartens — Sohnemann studierte Geschichte und Germanistik, als er über einen Freund die Schaustellerei kennenlernte. Noch während des Studiums übernahm er dessen Schaubude, darunter Requisiten wie die Apparatur, mit der durch künstliche Ernährung und Sauerstoffversorgung angeblich eine Dame ohne Kopf vor dem Tod bewahrt werden konnte.

Das Studium geschmissen

„Ich habe schnell gemerkt, dass Studium und Schaustellerei nebeneinander nicht funktionieren“, sagt der heute 42-Jährige. Das Studium hat er geschmissen und sich ganz den historischen Schaubuden gewidmet. Er sammelte und sammelte — und verfügt nun nach rund 20 Jahren über rund ein Dutzend unterschiedliche Darbietungen.

Ein altes Foto in Schwarz-Weiß zeigt eine Schaubude auf einem Jahrmarkt.

Die Paradox-Buden ziehen seit Jahrzehnten durch die Lande.

„Es ist die Schaustellerei wie anno dazumal“, sagt Schmitz, dessen Unternehmen wie vor rund 100 Jahren den Namen „Paradox Sideshows“ trägt. Sideshows — Nebenschauen also. „Früher haben sich diese Buden und Zelte rund um ein Zirkuszelt aufgestellt. Daher der Name.“

Schmitz hat nicht nur Illusionen im Repertoire wie Okkultus, den sprechenden Kopf, Andrea, die nur 30 Zentimeter große Meerjungfrau im Goldfischglas, oder das Mädchen, das sich auf der Bühne in einen Gorilla verwandelt. Der Bedburger, der auf Jahrmärkten im ganzen Land unterwegs ist, zeigt auch Monstrositäten und Abnormitäten. So gehört zu seinem Fundus ein Wachsfigurenkabinett und eine Schau echter menschlicher und tierischer Präparate.

„Das ist ein reisendes Anatomiemuseum“, sagt Schmitz. Gezeigt würden anhand von Wachsabdrücken zum Beispiel zweiköpfige Menschen. Mehrere Lebern und andere Körperteile verdeutlichten die „Gefahren des städtischen Nachtlebens und seine traurigen Folgen in Bezug auf das Geschlechtsleben“. „Das war in Zeiten, als es noch kein Fernsehen und kein Internet gab, gesundheitliche Aufklärung.“ Belehrung, Schaulust und Ekel seien so zu einer anziehenden Mischung angerührt worden.

Eine Zeichnung zeigt Ärzte, die verwundert eine kopflose Frau anschauen, die aufrecht in einem Bett sitzt.

Die Frau ohne Kopf ist eine berühmte Attraktion. Eine alte Werbung preist die Illusion an.

Corona habe den Schaustellern das Leben erschwert, sagt Schmitz. So seien ihm feste Mitarbeiter abhandengekommen, die sich neu orientiert hätten. „Madame Afrana, die den Namen oder auch den Geburtstag eines Zuschauers errät, gibt es daher im Moment nicht.“ Auf Helfer, die mit ihm die Hälfte des Jahres im Lkw und Wohnwagen auf Reisen sind, ist Schmitz aber angewiesen. Die Revue der Illusionen etwa sei eine 24 Tonnen schwere Schau, die mehrere Tage lang aufgebaut werden müsse.

Und die Frau ohne Kopf ist ebenso wie das Gorillamädchen oder die Dame ohne Unterleib tatsächlich ein echter Mensch. Wer mit Schmitz auf Zeitreise in die Welt der Kuriositätenkabinette gehen will, muss einiges an Weg auf sich nehmen. „Alle Jubeljahre bin ich mal auf der Annakirmes in Düren“, sagt Schmitz. Zum festen Programm gehört allerdings der „Jahrmarkt anno dazumal“ an Ostern im Freilichtmuseum in Kommern. „Da beginnt meine Saison.“