Sommertour der RedaktionLeben in Rhein-Berg jenseits der Balkantrasse
Rhein-Berg – Der Minigolfplatz in Glüder hat noch geschlossen, als wir am frühen Morgen am Wupperufer die Wanderschuhe schnüren. Auf der zweiten Etappe der Redaktionssommertour bis an die nördlichsten Grenzen des Rheinisch-Bergischen Kreises verlassen wir den Grenzfluss, denn weiter flussaufwärts reicht das Solinger Stadtgebiet weit über den Fluss hinaus nach Süden, bis fast an die Autobahn 1 heran. Das liegt auch daran, dass die Sengbachtalsperre, die hier südlich der Wupper ab 1900 errichtet wurde, für die Trinkwasserversorgung von Solingen genutzt wird. 2,8 Millionen Kubikmeter Wasser fasst sie bei Vollstau. Zum Vergleich: Die 75 Jahre später errichtete Große Dhünn-Talsperre fasst 81 Millionen Kubikmeter.
Solinger Landrat als Namensgeber
Zunächst verläuft der Wanderweg hinauf nach Leichlingen-Witzhelden noch über die Ausläufer des Solinger Stadtgebiets. Apropos Solingen. Auch Landrat Adolf Lucas, nach dem der Weg benannt war, auf dem wir bei der ersten Etappe gekraxelt sind, war Landrat des damals noch selbstständigen Landkreises Solingen.
Zu diesem gehörten bis 1929 auch die heutigen Städte Burscheid und Leichlingen, danach wurden sie dem neuen Kreis Solingen-Lennep zugeordnet, der 1931 in Rhein-Wupper-Kreis umbenannt und 1975 schließlich aufgelöst und unter anderem auf die Kreise Oberberg, Rhein-Berg, Mettmann sowie die Städte Solingen und Leverkusen aufgeteilt wurde. Ein „Erbstück“ von Landrat Adolf Lucas (1862-1945) allerdings verwaltet bis heute der Rheinisch-Bergische Kreis: die 1925 vom Landkreis Solingen initiierte Landrat-Lucas-Stiftung. Sie unterstützt kinderreiche Familien, Alleinstehende, Senioren und Schwerbehinderte mit zinsgünstigen Baudarlehen.
Eine Baustelle empfängt uns auch im Höhenort Witzhelden: Zwischen einer Reihe abgestellter Bergischer E-Bikes sind bereits Fundamente für eine neue Ladestation des flächendeckenden E-Bike-Verleihsystems im Kreisgebiet gelegt. Die per Nextbike-App entleihbaren E-Bikes erfreuen sich nicht nur bei Pendlern, sondern auch bei Ausflüglern großer Beliebtheit.
Einige sitzen nicht weit von der neuen Station entfernt im Eiscafé, weitere im Café auf dem Marktplatz in der fachwerkreichen und frisch herausgeputzten Witzheldener Ortsmitte. Darunter auch ein Clübchen von Seniorinnen aus Düsseldorf: „Hat doch schon was, das Bergische“, sagt eine der Damen, als die Bedienung Kaffee und Eisbecher bringt. Hoch über den Köpfen der Ausflügler wartet noch jemand auf Essen: Ein Turmfalke reckt seinen noch recht kahlen Hals aus einem Nistkasten am Kirchturm. „Der Alte vom Berge“ heißt das evangelische Gotteshaus, dessen romanischer Turm noch aus dem 12. Jahrhundert stammt.
Noch eine Menge mehr Natur gibt’s ein paar Wanderminuten später im Tal. Hier ist gerade ein Waldlehrpfad des Verkehrs- und Verschönerungsvereins eröffnet worden, der dem Wanderer nicht nur Interessantes zu Pflanzen am Wegesrand, sondern auch die Bedeutung von Totholz als Lebensraum eröffnet. Unmerklich ist die Psychosomatische Fachklinik Wersbach erreicht – wie ein kleines grünes Paradies mitten im Wald. Vor der Tür: Wiedersehensfreude. Patienten werden von Verwandten abgeholt. „Nach Witzhelden? Da drüben über die Brücke und dann links“, ist ein freundlicher Zeitgenosse beim Wegfinden behilflich.
Die Wanderwegmarkierung eines „B“ im Kreis zeigt an, dass hier der Burger Brezel-Weg verläuft. Der Weg führt um die Ortschaft Burg, die nicht nur den einstigen Herrschaftssitz der Grafen und späteren Herzöge von Berg zu bieten hat, sondern auch die typischen Burger Brezeln. Mit ihren Laugengebäck-Verwandten aus dem Süden der Republik haben die Burger Brezeln wenig gemein. Sie werden aus süßem Hefeteig gebacken. Und zwar so gründlich, dass sie eher wie Zwieback anmuten und vor dem Verzehr gerne in den Kaffee „gezoppt“ werden.
Auf der Höhe fällt der Betriebshof des Busunternehmens Wiedenhoff auf: Busse des Solinger Unternehmens stehen hier einmütig neben solchen der Regionalverkehr Köln GmbH (RVK). Dabei hat die RVK gerade einen Teil der Linien übernommen, die der VRS der Firma Wiedenhoff nach jahrelanger Auseinandersetzung wie berichtet entzogen hatte.
Streifenwagen der Polizei parken vor dem Gebäude dahinter. Die Polizeiwache ist nicht nur für Wermelskirchen, Burscheid und Leichlingen zuständig, sondern auch für Teile von Kürten und Odenthal. Polizeikommissarin Lucia Thomas und Mike Kirchner steigen gerade in einen der Streifenwagen. Wenn nicht viele Einsätze seien, komme man auf der Streifenfahrt auch schon mal ganz um die Große Dhünn-Talsperre herum. Ist aber eine ganz schöne Kurverei, wie die beiden Polizeibeamten wissen (siehe „Nachgefragt“).
Je näher auf der Tour die Bundesstraße 51 kommt, desto lauter wird’s. Schnell ein Eis in Burscheid-Hilgen, dann geht’s auf die alte Balkanbahntrasse, die vor einigen Jahren zum Rad-Geh-Weg ausgebaut wurde, sich allerdings zum Radeln deutlich besser eignet als zum Wandern. Schnurgerade zieht sich das asphaltierte Band auf der zwischen 1983 und 1991 stillgelegten Bahntrasse dahin, die ihren Namen vom einst zwischen Opladen und Remscheid-Lennep verkehrenden Balkanexpress hat, der durch wenig bewohntes Gebiet schnaufte.
Angesichts der endlos erscheinenden Strecke fällt der Spruch des „Bergischen Jung“ Willibert Pauels ein, der – wenn er über seine Heimfahrt nach Hamböcken bei Wipperfürth spricht – gerne erwähnt: „Dat is nich weit – aber dat zieht sich.“
Mit dem Rest nichts am Hut
Am Rande des Wermelskirchener Zentrums „spuckt“ einen die Balkantrasse wieder auf die Straße. Die alte Bahntrasse ist im weiteren Verlauf schon vor Jahren zu einer Umgehungsstraße für die City ausgebaut worden. Für Radler und Wanderer geht’s also vorbei an der neuen Wasserstofftankstelle der RVK mitten durch das pulsierende Zentrum – mit Großbaustellen, reichlich Außengastronomie und verschieferten Fachwerkhäusern. Keine Frage, hier lässt es sich leben.
Ob es daran liegt, dass die Bewohner der zweitgrößten Stadt im Kreis mit dem Rest von Rhein-Berg in der Regel wenig zu tun haben? „Wozu sollte man?“, kommt prompt die Gegenfrage des Kollegen Udo Teifel von der örtlichen Zeitung: „Der Wermelskirchener kauft in Wermelskirchen ein, wir haben jede Menge Geschäfte, und außerdem kurze Wege nach Remscheid. Höchstens aus Dabringhausen orientiert man sich bisweilen nach Odenthal, aber auch nur wegen der dortigen Schule.“
Bergisch Gladbach sei vor allem eins: „weit wech.“ Tatsächlich gibt’s nicht mal eine direkte Busverbindung in die Kreisstadt. Allein das „GL“ auf dem Autokennzeichen nimmt man in der 35 000-Einwohner-Stadt offenbar in Kauf – mangels Alternativen. „Wenn es »WK « gäbe, hätten hier alle »WK«“, sagt Udo Teifel augenzwinkernd und empfiehlt unbedingt noch einen Abstecher zum Café Wild am Markt. Sündhaft lecker die Torten dort. Gut dass es zum Ziel nicht nur bergab, sondern auch noch zweimal bergauf geht – zum Tortenstück-Verbrennen.
Auch wenn das Etappenziel auf einer Autobahnraststätte liegt, hält hier ein Bus für die Rückfahrt zum Ausgangsort (mit zweimal Umsteigen). Nicht die einzige Besonderheit der Raststätte, die zwar „Remscheid“ heißt, zum Teil aber auf Wermelskirchener Gebiet liegt. Aber das ist eine andere Geschichte dieser Sommertour . . .
Auf der nächsten Etappe geht es von der grenzüberschreitenden Raststätte über Dhünn nach Kürten-Weiden.