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Demokratie in den KommunenAktive Bürger müssen in den Räten in Rhein-Berg schweigen

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Bei der Beratung des  Flächennutzungsplans in Bergisch Gladbach protestierten Bürger massiv.

Bei der Beratung des Flächennutzungsplans in Bergisch Gladbach protestierten Bürger massiv.

Interessierte Bürger in Rhein-Berg haben in Stadt- und Gemeinderäten kein Rederecht. Das ist in den Ortssatzungen nicht vorgesehen.

Im Odenthaler Planungsausschuss wird ein großes Bauprojekt vorgestellt. In öffentlicher Sitzung präsentieren Architekten und Ingenieure wortreich ihre Entwürfe, der Ausschussvorsitzende moderiert, Bürgermeister und Verwaltungsleute melden sich ab und zu bei Details zu Wort, die anwesenden Ratsmitglieder und Sachkundigen Bürger diskutieren ausgiebig die Pläne.

Nur als am Ende des Tagesordnungspunktes, die Abstimmung ist bereits erfolgt, im Zuschauerraum unerwartet ein Mann aufsteht, wird es plötzlich still im Saal. „Ich möchte auch noch etwas dazu bemerken“, sagt der Zuhörer. Doch dazu kommt er nicht: „Sie haben kein Rederecht“, schneidet ihm der Vorsitzende höflich, aber bestimmt das Wort ab, obwohl jeder im Raum weiß, dass der verhinderte Redner nicht eben unwichtig ist für die Bebauungspläne, die man gerade vorgestellt hat. Es handelt sich um keinen Geringeren als den Grundstückseigentümer. Dennoch – oder gerade deswegen – muss er an dieser Stelle schweigen.

Ortssatzungen gewähren kein Rederecht für Bürger

Die meisten Ortssatzungen, angelehnt an eine Mustersatzung, sind in diesem Punkt eindeutig: „Die Sitzungen des Rates“ – zu dem auch die Ausschüsse gehören – „sind öffentlich“, heißt es in Paragraph 6 der Bergisch Gladbacher, analog auch in anderen Ortssatzungen in Rhein-Berg. Und weiter: „Die Zuhörer sind – außer im Falle des § 18 (Einwohnerfragestunde) nicht berechtigt, das Wort zu ergreifen oder sich sonst an den Verhandlungen des Rates zu beteiligen.“

Damit soll sichergestellt werden, dass die gewählten Mandatsträger ungestört ihre politische Arbeit leisten können. Es soll verhindert werden, dass die Gremien zu politischen Demonstrationen missbraucht, Abgeordnete unter Druck gesetzt und gegebenenfalls in der freien Ausübung ihres politischen Mandats behindert werden könnten.

Für die begrenzte, direkte Mitwirkung der Bürgerschaft existieren andere Instrumente: Ausschüsse für Anregungen und Beschwerden, Bürgerversammlungen oder die Einwohnerfragestunde, die in den meisten Rats- und Ausschusssitzungen angeboten wird. Auch in der Einwohnerfragestunde ist allerdings keine ausufernde Debatte erwünscht, sind lediglich Fragen zu Themen in Zuständigkeit der Kommune zugelassen, nicht aber persönliche Statements.

Mit Plakaten protestierten unzufriedene Bürger vor der jüngsten Stadtratssitzung in Rösrath.

Mit Plakaten protestierten unzufriedene Bürger vor der jüngsten Stadtratssitzung in Rösrath.

Ein Missverständnis, das immer wieder zu Ärger im Rat und zu Frust auf den hinteren Bänken führt: Zuhörer, die bei der Einwohnerfragestunde immer wieder mal erfreut Mikrofon und Wort ergreifen, weil sie denken, nun endlich sei ihre Stunde gekommen, um all das zu kritisieren, was ihrer Meinung nach schief läuft, sehen sich bitter enttäuscht.

Zuhören ja – mitreden nein : In der Praxis führt diese Beschränkung, die den wenigsten außerhalb der politischen Gremien bekannt ist, immer wieder dazu, dass bei Themen, die den Einwohnern unter den Nägeln brennen, die Stimmung kippt. So auch jüngst im Odenthaler Gemeinderat, als die Fraktionen die Probleme von Eltern erörterten, für deren Kinder eine Kita aus Personalnöten bis auf weiteres nur noch eine Notbetreuung anbieten kann. Viele Eltern waren gekommen, um ihre Nöte deutlich zu machen.

Unschöne Szenen im Rat

Einsame Zwischenrufe oder Applaus von den Rängen bei den Redebeiträgen der Fraktionen waren noch geduldet worden. Als aber eine betroffene Mutter unaufgefordert zum Mikrofon griff, um die Politik vehement zum Handeln aufzufordern, wurde Bürgermeister Robert Lennerts (parteilos) energisch: Weil sein wiederholter Hinweis, dass kein Rederecht bestehe, zunächst überhört wurde, drohte er, die Frau aus dem Saal führen zu lassen. Eine Maßnahme, die am Ende dann aber doch nicht nötig wurde.

Unschöne Szenen, die fast immer heftige Kritik aus den Zuschauerreihen zur Folge haben: „Die machen ja doch, was sie wollen“, war zu hören. Der Volkszorn findet sein Ventil auch öfter mal in Zwischenrufen oder höhnischem Gelächter bei Wortbeiträgen im Plenum, manchmal auch im besonders demonstrativen, lautstarken Abgang von Zuschauergruppen aus dem Saal.

Bürger sind „zum Zuhören verdammt“

Seine Erfahrungen mit dem Prozedere hat auch Friedrich Siekmeier gemacht, Sprecher der Bürgerinitiative Lückerath in Bergisch Gladbach. Als es um die geplante Bebauung der Lena-Wiese mit einer Kita ging, waren er und seine Mitstreiter auf den Zuschauerrängen hoch oben über dem Bensberger Ratssaal „zum Zuhören verdammt“.

Und nicht einmal das sei durchgehend gewährleistet: „Die Technik ist manchmal eine Katastrophe“, kritisiert er, nicht selten sei kaum ein Wort zu verstehen. „Wir dürfen nicht mal applaudieren“, berichtet er und Rederecht sei ihm und seinen Mitstreitern nicht eingeräumt worden. „Das ist schon schwierig, da so still zu sitzen“, gibt er zu.

Politischer Vertreter geht auf Bürger zu

Doch immerhin: Ein politischer Vertreter sei zu ihnen gekommen und habe um Verständnis für die politische Entscheidung geworben. Bei der letzten Sitzung sei sogar der Beigeordnete Ragnar Migenda (Grüne) hochgekommen: „Die haben wohl kapiert, dass es nicht so einfach ist, da zu sitzen“, sagt Siekmeier.

„Die Regeln finde ich grundsätzlich richtig“, meint Eva Kuhl, obwohl sie selbst schon beim Versuch, Rederecht zu erhalten, „abgeschmettert“ worden sei. Aber das nehme sie sportlich, sagt die Odenthalerin. Als Sachkundige Bürgerin der FDP besitzt sie allerdings in einigen Ausschüssen ohnehin per Funktion Rederecht und als Odenthaler FDP-Vorsitzende hat sie nicht schlechte Karten, auch im Gemeinderat Rederecht zu erhalten, obwohl sie ihm nicht angehört. Aber auch dann muss die Politik dieses Recht für sie beantragen und Einvernehmen darüber herrschen.

Dieses Verfahren halte sie für ein wichtiges „Steuerungsinstrument“, um die Arbeit der politischen Gremien sicherzustellen und der „Dynamik von Emotionen“ nicht freien Lauf zu lassen, sagt Kuhl. Für Bürger sei es zielführender, ihre Interessen im direkten Gespräch mit den Fraktionen deutlich zu machen, für ihr Anliegen zu werben und so in die Ratsgremien zu tragen. Die Fraktionssitzungen stünden dafür offen.

Auch in der Gemeinde Kürten gehe es schon mal emotional zu, sagt Bürgermeister Willi Heider (parteilos). Besonders, wenn es ums Geld gehe. „Das hatten wir neulich bei den Beitragsangelegenheiten für den Straßenausbau, für den die Leute viel bezahlen müssen.“ Verständnis- und Sachfragen würden fast immer zugelassen, sagt er. Diskussionen nicht: „Sonst kämen wir nie zu einem Ende.“