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Humanitäre HilfeMit 80 Tonnen Hilfe aus Rhein-Berg in die Ukraine

Lesezeit 7 Minuten

21 Fahrerinnen und Fahrer steuern den 11. Hilfskonvoi der Humanitären Hilfe mit sechs Lastzügen (hi.) und vier Pkw in die Ukraine.

Beim Besuch von Verwundeten waren auch harte Trucker still – unterwegs mit Rekordkonvoi der Humanitären Hilfe Overath und Bergisch Gladbach.

Die Luft ist stickig, das Krankenhaus aus den Zeiten der Sowjetunion hat schon bessere Zeiten gesehen. Der Mann im Rollstuhl erzählt wie er hierhingekommen ist: Im September hat es ihn erwischt, in einem Schützengraben in der vordersten Frontlinie östlich von Kramatorsk. Ein Bein und einen Arm hat ihn das gekostet.

Ein unterschenkelamputierter Soldat sitzt in einem Rollstuhl in einer Reha-Klinik in Chemelnyzkyj.

Sollen nicht erkannt werden: Das Gespräch mit Verwundeten geht nahe.

Ein Mann steht vor Gräbern mit ukrainischen Fahnen, im Hintergrund ist ein Lkw der Humanitären Hilfe Overath zu sehen.

Krieg und Tod sind allgegenwärtig, auch auf dem Friedhof neben dem Traumazentrum in Chemlnyzkyj.

Kinder einer Schule im südukrainischen Chemlnyzkyj haben eine Friedenstaube an das Fenster ihres Klassenraums gemalt.

Kinder einer Schule im südukrainischen Chemlnyzkyj haben eine Friedenstaube an das Fenster ihres Klassenraums gemalt.

Es ist mucksmäuschenstill, als der 23-Jährige, dessen Gesicht und Name nicht veröffentlicht werden soll, von dem Weg aus dem Frontbereich in ein Stabilisierungscenter, dann weiter in ein Lazarett und schließlich in das Krankenhaus im südukrainischen Chmelnyzkyi erzählt.

Wenn es mir besser geht, will ich hier raus und weiter kämpfen, für mein Land, für meine Familie, für unsere Freiheit.
Junger Familienvater in einem Lazarett in der Südukraine, er hat sein Bein an der Front verloren

Hier liegt er in einem der Krankenhausbetten, die die Vereine der Humanitären Hilfe aus Overath und Bergisch Gladbach im Frühjahr zusammen mit weiteren mehr als 100 aus einem geschlossenen Krankenhaus in Solingen holen durften.

Ein ukrainischer Soldat mit einer Unterschenkelprothese geht auf einem Laufband.

Wieder auf die Beine kommen: Das Gespräch mit verwundeten Soldaten geht nahe.

„Wenn es mir besser geht, will ich hier raus und weiter kämpfen, für mein Land, für meine Familie, für unsere Freiheit“, sagt der junge Vater und hebt seinen Beinstumpf.

Helfer laden einen Lkw der Humanitären Hilfe aus dem Bergischen in Chmelnyzkyj aus.

Helfer laden einen Lkw der Humanitären Hilfe aus dem Bergischen in Chmelnyzkyj aus.

Die Hilfskonvoifahrer, die ihm zuhören, werden noch lange daran denken müssen. „Wir müssen hier unbedingt weiterhelfen“, sind sich Frank Müller, Andreas Birker und Thomas Migenda einig. Die drei sind Feuerwehrleute in Overath, Bergisch Gladbach und Kürten, haben schon viel gesehen. Das aber geht auch ihnen an die Nieren.

Mehrere Reifenplatzer konnten Hilfskonvoi aus dem Bergischen nicht stoppen

Mit 20 weiteren Hilfstransporteuren haben sie mehr als 80 Tonnen Hilfsgüter (siehe „Konvoi in Zahlen“), zwei Fahrzeuge für den Transport von Verletzten aus den vordersten Frontlinien und weitere Krankenhausbetten in die Ukraine gebracht. „Das ist der größte Konvoi, den wir seit Kriegsbeginn hierhingebracht haben“, sagt Norbert Kuhl, der Vorsitzende der Humanitären Hilfe Overath, der seit 32 Jahren Hilfskonvois in Kriegs- und Krisengebiete bringt und auch mit seinen 84 Jahren noch selbst mit auf „dem Bock“ sitzt. „Ich hab selbst noch den Zweiten Weltkrieg bei uns in Deutschland erlebt“, sagt er, „und ich weiß, was Hilfe in so einer Situation für die Menschen bedeutet.“

Erstmals sind beim mittlerweile elften Hilfskonvoi, den die Humanitäre Hilfe Overath gemeinsam mit der Humanitären Hilfe Bergisch Gladbach in die Ukraine bringt, gleich sechs Sattelzüge dabei. Eine besondere Herausforderung: Noch vor der ukrainischen Grenze haben gleich zwei Sattelauflieger Reifenplatzer.

Männer wechseln in der Nacht ein Rad an einem Lkw-Auflieger.

Reifenplatzer an einem Hilfskonvoi-Lastwagen noch vor der Grenze in die Ukraine.

Mitten in der Nacht heißt es auf einer polnischen Autobahn: Pannenstelle absichern und Reifen wechseln . „Unglaublich, wie schnell das geht“, staunt Ulrich Gürster, während mehrere Trucker den schweren, geplatzten Reifen in die Aufhängung unter den Auflieger wuchten, aus der sie zuvor das Reserverad geholt und montiert haben. „Ein echt starkes Team, das wir da haben“, sagt Gürster.

Die Grenze ist eine Herausforderung für sechs Sattelzüge und vier Pkw-Gespanne

Wenige Kilometer weiter teilt sich der insgesamt zehn Fahrzeuge umfassende Konvoi: Die Pkw-Gespanne müssen einen anderen Grenzübergang nehmen als die Lkw. Kein leichtes Unterfangen, schließlich ist die Grenze von Polen in die Ukraine eine EU-Außengrenze. Und da haben die Hilfstransporteure auch schon einen halben Tag in den Kontrollen festgesteckt. Diesmal geht's schneller. Und während die Pkw-Fahrer die Medikamente, medizinisches Gerät aus ihren Anhängern bereits am Kinderkrankenhaus St. Nicholas in Lviv abladen, teilen sich die sechs Sattelzug-Teams auf.

Drei Lastzüge der Humanitären Hilfe Overath stehen an einem Friedhof im südukrainischen Chmelnyzkyj.

Drei Lastzüge der Humanitären Hilfe Overath stehen an einem Friedhof im südukrainischen Chmelnyzkyj.

Nur drei Sattelzugmaschinen dürfen weiter in die Ukraine fahren. Aus Versicherungsgründen. So heißt es Umsatteln: Und zunächst die ersten drei Sattelauflieger und 24 Stunden später die anderen drei ins knapp 300 Kilometer entfernte Chmelnytzkyj zu bringen, wo die beiden Hilfsorganisationen aus dem Bergischen seit Kriegsbeginn den Aufbau eines Zentrums für traumatisierte Soldaten und ihre Familien unterstützen – und nun auch eine Kriegsversehrtenklinik.

Bergische Hilfstransporteure werden in ukrainischem Traumazentrum sehnlichst erwartet

Die Pkw-Fahrerinnen und -Fahrer laden derweil an der Kinderklinik in Lviv auch mehr als 500 Weihnachtspäckchen ab, die Kinder aus der Kita Marienkäfertreff in Overath-Marialinden sowie Schülerinnen und Schüler der Realschule Herkenrath mit ihren Familien gepackt haben (siehe „Schulpatenschaft für Kinderklinik in Lviv“). „Es ist unglaublich, welche Freude man hier damit bei den Kindern aber auch bei den Erwachsenen bewirken kann“, freut sich Vize-Realschulleiterin Susann Meurer, die den Hilfskonvoi begleitet.

Die Sonne geht hinter der Kirche am Zentrum für traumatisierte Soldaten und ihre Familien im südukrainischen Chmelnyzkyj unter.

Sonnenuntergang über der Kirche am Zentrum für traumatisierte Soldaten und ihre Familien im südukrainischen Chmelnyzkyj.

Der ärztliche Leiter eines Lazaretts und Rehazentrums für schwer verwundete ukrainische Soldaten in Chmelnyzkyj spricht mit den Hilfstransporteuren aus dem Bergischen.

Der ärztliche Leiter eines Lazaretts und Rehazentrums für schwer verwundete ukrainische Soldaten in Chmelnyzkyj spricht mit den Hilfstransporteuren aus dem Bergischen.

Im Traumazentrum werden Auto- wie Lkw-Fahrer bereits sehnlichst erwartet. Viele örtliche Partner, zu denen im Laufe der vergangen zwei Jahre eine enge Freundschaft entstanden ist wie Pfarrer Wiktor Tkacz, der die Hilfslieferungen für das Bistum in der Südukraine organisiert, Anwalt Andrej Sorokoud, der bereits etliche Rettungswagen in Deutschland geholt und bis an die Front gebracht hat, oder Soldat Igor, der sich über jeden Verbandskasten und neue Tourniquets zum Abbinden von Verwundungen freut, oder Paul Sowa, der Deutsch lernt und dolmetscht. Am Abend singen alle zusammen, bevor nach dem Abladen am nächsten Tag bereits die Rückreise ansteht. Bei der dauert es für die Hilfstransporteure wieder einen halben Tag oder besser eine Nacht, bis sie allein die Grenze passiert haben.

Nächtlicher Blick aud die ukrainische-polnische Grenze.

Die polnisch-ukrainische Grenze ist für die Hilfskonvoi stets eine unberechenbare Barriere. Manchmal stehen sie hier auch schonmal länger als einen Tag und warten auf ihre Abfertigung.

„Trotzdem, wir werden wiederkommen“, zeigt sich Norbert Kuhl entschlossen und plant mit Uli Gürster bereits für den Januar den nächsten Transport. „Wir dürfen die Menschen da nicht vergessen.“


Schulpatenschaft für Kinderklinik in Lviv

Susann Meurer beugt sich zu einem Kind in einem Gitterbett in der Kinderklinik von Lviv/Ukraine hinunter.

In der Kinderklinik: Susann Meurer, stellvertretende Schulleiterin der Realschule Herkenrath, begleitete den Hilfskonvoi.

An Bord des elften Ukraine-Hilfskonvois der Humanitären Hilfe Bergisch Gladbach und Overath waren auch mehrere hundert Päckchen, die Schülerinnen, Schüler, Eltern und Lehrkräfte der Realschule Herkenrath für Kinder in der Kinderklinik St. Nicholas im westukrainischen Lviv gepackt haben. Auch Susann Meurer, die stellvertretende Schulleiterin der Realschule Herkenrath fuhr mit. Ihr Sozialwissenschaften-Kurs hatte schon kurz nach Kriegsbeginn vor fast drei Jahren mehr als 11 000 Euro für den zweiten Hilfskonvoi der Humanitären Hilfe in die Ukraine gesammelt. „Nun wollten sie mehr tun“, sagt Susann Meurer. Entstanden ist daraus eine Patenschaft der Schule für die Kinderklinik in Lviv. Mit den Päckchen ihrer Schule übergab sie der stellvertretenden Leiterin der Kinderklinik, Dr. Zoryana Ivanyuk, und ihrem Team auch Bilder, die Schülerinnen und Schüler mit Wünschen für Frieden gemalt haben. „Unter dem Motto Kinder helfen Kindern möchten wir künftig in vielfältiger Weise das Kinderkrankenhaus unterstützen“, versprach die Vize-Schulleiterin. (wg)


Mit Feuerwehrauto von Biesfeld in den Donbass

Drei Männer stehen vor einem Feuerwehrauto aus Kürten-Biesfeld am Ziel in der Ukraine.

Das Biesfelder Feuerwehrauto am Ziel in der Ukraine.

Ein ausrangiertes Feuerwehrauto aus Kürten-Biesfeld haben die Humanitäre Hilfe Bergisch Gladbach und Overath bereits im September kurzfristig dank einer Geburtstagsspendenaktion von Joachim Nix erwerben und mit Unterstützung von Feuerwehrleuten aus Remagen, Overath, Kürten und Burscheid wieder mit dem nötigen Gerät ausrüsten können. In einem spontanen zehnten Hilfskonvoi wurde es in die Ukraine gebracht – zu einer Feuerwehreinheit im Osten des Landes , die durch einen Drohnenangriff ihr komplettes Feuerwehrhaus samt Ausrüstung verloren hat. Unweit des neuen Zentrums für traumatisierte Soldaten und ihre Familien, das die bergischen Hilfsorganisationen von Beginn an unterstützen, erklärte der Kürtener Feuerwehrmann Thomas Migenda das Fahrzeug Feuerwehrleuten der betroffenen Einheit, die das Fahrzeug die letzten 1000 Kilometer bis in ihren Heimatort selbst steuerten. „Gut, dass das Fahrzeug dort noch gebraucht wird“, freute sich Kürtens Bürgermeister Willi Heider, der extra zur Abfahrt des Hilfskonvois nach Gladbach gekommen war. (wg)


1000 Tabletts für Schulen und Einrichtungen

Schülerinnen und Schüler eine Schule im südukrainischen Chmelnyzkyj stehen mit Tabletts in den Händen singend vor ihrem Schulbus.

Schüler bedanken sich mit einem Lied für die Hilfe aus Rhein-Berg.

„Das sind alles Kinder, deren Väter an der Front sind“, stellt Pfarrer Wiktor Tkacz eine Gruppe von Kindern und Jugendlichen vor, die ein Lied und Bilder für die Hilfstransporteure vorbereitet haben: „Sie wollen euch Danke sage, dass Ihr an sie denkt“, sagt der Seelsorger und Ökonom des Bistums, das auch das Zentrum für traumatisierte Soldaten und ihre Familien in Chmelnyzkyj betreibt. Auch Karin Fischer von der Humanitären Hilfe Overath wischt sich eine Träne von der Wange. „Was die durchmachen, können wir uns gar nicht vorstellen“, sagt sie, während Ukrainerinnen zu Gebäck und Tee einladen.

Nebenan helfen Jugendliche und Erwachsene beim Abladen der Lkw in Lagerhallen. Von hier werden die Hilfsgüter an die Ärmsten der Armen verteilt, teils bis in Dörfer an der Front gebracht. Regelmäßig schickt Pfarrer Wiktor Bilder aus ärmlichen Hütten und Schützengräben, auf denen Menschen warme Kleidung oder Konserven aus jenen Bananenkartons nehmen, in denen die Humanitäre Hilfe ihre Hilfsgüter transportiert. „Die Hilfe kommt an“, sagt Norbert Kuhl dann froh. (wg)