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RäumungKönnte den Overather Schwarzbauten-Anwohnern der Fall aus Kürten helfen?

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Nach dem Willen der Overather Stadtverwaltung sollten Thomas Oelschläger (r.) und seine Nachbarn ihre Häuser räumen.

Overath/Kürten – Der Fall der 19 Overatherinnen und Overather, die nach dem Willen der Stadtverwaltung nach Jahrzehnten ihre Häuser an der Agger räumen sollen, bewegt viele Leserinnen und Leser. Dabei befindet sich die Stadtverwaltung in einem Dilemma: Sie muss Baurecht durchsetzen, aber sie muss auch die Grundsätze der Menschlichkeit beachten.

Vor sechs Jahren, am 24. Februar 2016, hatte das Oberverwaltungsgericht Münster einen anderen Baurechtsfall aus dem Rheinisch-Bergischen Kreis zu entscheiden, der zwischen Dhünn und Agger für viel Empörung gesorgt hat: den Fall Liedtke aus Kürten. Beklagt war damals nicht die Gemeinde-, sondern die Kreisverwaltung, und diese erlitt vor Gericht sensationell Schiffbruch.

Älterer Fall ist nur begrenzt vergleichbar

Die Münsteraner Oberrichter bescheinigten den Beamten im Kreishaus, dass sie es sich zu einfach gemacht hätten, als sie der alten Dame ihr kleines Häuschen abreißen wollten – zu stur nach Vorschrift gehandelt, zu wenig über die Besonderheiten des Falls nachgedacht. Im Juristendeutsch: „Vorliegend hat der Beklagte das ihm eingeräumte Ermessen erkannt, es aber nicht in dem erforderlichen Umfang ausgeübt.“

Allerdings machen die damaligen Besonderheiten die Fälle juristisch nur begrenzt vergleichbar. Denn während etwa in Overath die Stadt schon 1995 aktiv geworden war (woraufhin 25-jährige Duldungen vereinbart wurden), störte sich in Kürten bis 2011 niemand an dem Gebäude, das damit „70 Jahre beanstandungsfrei zu Wohn- und nicht nur zu Wochenendzwecken genutzt“ worden sei, wie damals der Anwalt von Christa Liedtke argumentierte.

Schreiben der Bauaufsichtsbehörde

„Bauschutt fachgerecht entsorgen“

Während am Mittwochabend vergangener Woche, 6. April, Bürgermeister Christoph Nicodemus (parteilos) und Bau-Beigeordneter Thorsten Steinwartz (CDU) vor dem Overather Stadtrat viel Mitgefühl für die 19 Betroffenen aus Klef bekundeten und mit deutlichen Worten ihre Bereitschaft zur Suche nach einem Ausweg bekundeten, verließ nur einen Tag danach, am Donnerstag, 7. April, ein sehr amtliches Schreiben die Untere Bauaufsichtsbehörde an der Hauptstraße.

Überschrift des Sieben-Seiten-Schriftstücks: „Ordnungsverfügung und gleichzeitige Androhung eines Zwangsgeldes sowie Anordnung der sofortigen Vollziehung“ . Empfänger ist einer der 19 betroffenen Bewohner von Klef. Die Behörden-Chefin gibt ihm damit auf, das Haus nach dem Jahresende 2025 nicht mehr zu nutzen und es bis zum 1. Juni 2026 „ersatzlos zu beseitigen und den durch die Beseitigung anfallenden Bauschutt fachgerecht zu entsorgen“. Die Verfügung sei sofort vollziehbar.

Für das Gebäude gebe es keine gültige Baugenehmigung, weder befristet noch unbefristet, sondern lediglich einen befristeten öffentlich-rechtlichen Duldungsvertrag mit den Großeltern des Empfängers bis Ende 2025. In den weiteren Ausführungen bezieht sich die Verfügung in Teilen auf das Liedtke-Urteil des OVG und begründet, dass dieses nicht anwendbar sei: Weder lägen Hinweise auf das Alter des Gebäudes vor noch wären solche Unterlagen überhaupt zielführend, da das Haus ab 1992 wesentlich erweitert und dann von einem Wochenendhaus zu einem „Dauerwohnsitz“ umgewidmet worden sei.

Neben der Ordnungsverfügung verließen am Donnerstag auch noch zwei Anhörungsschreiben, also eine Vorstufe zur Verfügung, die Bauaufsichtsbehörde. Damit haben nach Angaben der Stadtverwaltung jetzt alle zwölf Betroffenen Post von der Bauaufsichtsbehörde bekommen; ein Teil der Fälle liegt schon beim Gericht. (sb)

Für Kürtener Fall galt eine Ausnahme

Das Oberverwaltungsgericht entschied 2016, dass es im Grundsatz okay sei, wenn Baubehörden entschieden gegen Schwarzbauten vorgingen, um keine Präzedenzfälle zu schaffen. Eine weitergehende Abwägung des Für und Wider einer Beseitigungsanordnung sei aber dann geboten, wenn „konkrete Anhaltspunkte ausnahmsweise für die Angemessenheit einer vorübergehenden oder dauerhaften Duldung eines rechtswidrigen oder ordnungswidrigen Zustands sprechen“.

Das, so das Gericht, sei in Kürten der Fall, da das Gebäude bereits zwischen 1936 und 1944 errichtet worden und durchweg als Wohnhaus genutzt worden sei. Unter solchen besonderen Umständen dürften die Behörden im Rahmen ihrer Ermessensbetätigung „Stichtagsregelungen“ zugrunde legen.

Kann auch in Overath ein juristischer Ausweg gefunden werden?

Besonders, so die Richter, stelle sich die Frage bei Schwarzbauten, die vor Kriegsende errichtet worden seien: „Denn für solche baulichen Anlagen ist in der heutigen Zeit nicht nur in Rechnung zu stellen, dass sie inzwischen seit vielen Jahrzehnten existieren und die Bauaufsichtsbehörde in diesem langen Zeitraum nicht gegen sie eingeschritten ist.“ Es sei auch zu berücksichtigen, dass Akten durch den Krieg verloren gegangen und Zeugen gestorben seien. Über all die Fragen habe sich die Baubehörde keine Gedanken gemacht.

Der Kreis gab damals in einer Reaktion auf das Urteil an, dass er den von den Oberrichtern beschriebenen Weg, die Kuh via Stichtag vom Eis zu bringen, vorher gar nicht hätte sehen können. Die Frage in Overath wird sein, ob ein juristischer Ausweg auch dieses Mal gefunden werden kann. Und ob die handelnden Akteurinnen und Akteure im Rathaus und bei der Bauaufsicht gegenüber auch wirklich dazu bereit sind.

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Die neuesten Behörden-Schreiben vermitteln dem Nicht-Verwaltungsjuristen eher einen anderen Eindruck. Jurist Steinwartz widerspricht: „Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.“ Denn die Ankündigung, einen Vollzug von Verfügungen womöglich auszusetzen, beziehe sich auf solche Anordnungen, die auch tatsächlich rechtskräftig seien.