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„Er war gerade angekommen in seinem Leben“Wie die Mutter den Unfalltod ihres Sohnes in Odenthal erlebte

Lesezeit 8 Minuten
Blumen stehen am Straßenrand: Gedenkstätte für den überfahrenen Jugendlichen auf der Schallemicher Straße in Odenthal.

Eine kleine Gedenkstätte haben Freunde und Familie an der Stelle eingerichtet, an der Niklas (22) am Neujahrsmorgen vor einem Jahr ums Leben kam.

An Neujahr jährt sich der Unfall, bei dem ein 22-Jähriger aus Odenthal-Eikamp am ersten Morgen des Jahres 2023 überfahren wurde.

„Esst die Neujahrsbrezel nicht ohne mich – das war das Letzte, was er am Handy gesagt hat“, erinnert sich Gabi Schmitz. Die agile Frau mit den kurzen Haaren wirkt gefasst. Dabei zerreißt sie der Gedanke an den Neujahrsmorgen 2023 innerlich: Keine Stunde nach dem Anruf damals war ihr Sohn Niklas tot. Überfahren auf der Straße zwischen Eikamp und dem Scherfbachtal, auf dem Heimweg von einer Silvesterfeier.

In einer Stunde würde er zu Hause sein, hat er mir gegen sieben noch am Handy gesagt
Gabi Schmitz, Mutter des am 1. Januar 2023 tödlich verunglückten Niklas (22)

Warum der 22-jährige Niklas am Neujahrsmorgen um kurz vor 8 Uhr auf der Straße oberhalb von Scherf lag, ist bis heute nicht mit letzter Sicherheit geklärt. Er kannte den Weg von Scheuren durchs Scherfbachtal nach Hause, war von der Feier, die er besucht hatte, am frühen Neujahrsmorgen schon mehrere Kilometer gelaufen, bis hinter Scherf.

„In einer Stunde würde er zu Hause sein, hat er mir gegen sieben noch am Handy gesagt“, erinnert sich seine Mutter. Doch statt Sohn kam die Polizei und ein Notfallseelsorger zum Haus der Familie von Niklas. „Sie brauchten nichts zu sagen, ich wusste sofort, was los war“, erinnert sich seine Mutter.

Ermittlungen gegen Fahrer wurden eingestellt: „Unfall nicht vermeidbar“

Laut Obduktion hatte der 22-Jährige weder übermäßig Alkohol im Blut (unter einem Promille) noch sonst irgendwelche Rauschmittel. Das strafrechtliche Verfahren gegen den Unfallfahrer ist eingestellt.

Die Unfallrekonstruktion durch einen Sachverständigen hatte laut Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer ergeben, „dass der Unfall für den Beschuldigten nicht vermeidbar gewesen“ war. Aus diesem Grund sei das Ermittlungsverfahren eingestellt worden, so der Sprecher der Kölner Staatsanwaltschaft.

Eltern des getöteten 22-Jährigen waren bei Unfallrekonstruktion dabei

Niklas Mutter und ihr Mann waren bei der Rekonstruktion des Unfalls dabei, verfolgten, wie der Gutachter mit einem Dummy den auf der Straße liegenden Körper von Niklas nachstellte, er den Wagen die Straße hinunterfahren ließ. Die Schuldfrage sei nicht das, was sie am stärksten umgetrieben habe.

„Nichts kann mir den Niklas wiederbringen“, sagt seine Mutter mit ruhiger Stimme. Der Schmerz sitzt tief. Ganz besonders jetzt, kurz vor dem Jahrestag des Unfalls. „Da ist es oft kaum auszuhalten“, sagt Gabi Schmitz. Von Beginn an haben sie, ihre Tochter und ihr Mann Unterstützung nicht nur von der Opferhilfe der Polizei, sondern auch von einer Trauerbegleiterin. „Ohne ginge das gar nicht“, sagt Gabi Schmitz. „Aber für unsere Tochter müssen wir einfach auch nach vorne blicken.“

Immer wieder kreisen die Gedanken um die Frage nach dem Warum?

Immer wieder kreisten die Gedanken auch um die Frage nach dem Warum? Gestorben war er laut Polizei an den tödlichen Verletzungen durch den Unfall, aber warum hatte er dort auf der Straße gelegen? „Mein Gedanke war von Anfang an, dass da was mit dem Herzen war“, sagt Niklas' Mutter. Eine hartnäckige Erkältung.

„Seit Oktober war er immer wieder total erkältet gewesen“, sagt Gabi Schmitz. Sie ist Arzthelferin, kennt sich aus. „Ich hatte noch mit ihm vereinbart: Im neuen Jahr kommst du zu uns in die Praxis und dann machen wir ein EKG.“

Er war einer, der immer gute Laune gemacht hat, ein kleiner Clown, unser Sonnenschein.
Gabi Schmitz über ihren bei einem Unfall ums Leben gekommenen Sohn Niklas (22)

Dazu kam es dann nicht mehr. „Die Obduktion hat dann auch die Anzeichen einer Herzmuskelentzündung ergeben.“ Gabi Schmitz hält inne, schaut zu den Bildern ihres Sohnes an der Küchenwand. Eine Kerze brennt darunter. „Er ist immer hier und bei mir“, sagt sie – und lächelt.

„Er war einer, der immer gute Laune gemacht hat“, sagt sie, „ein kleiner Clown, unser Sonnenschein.“ Dabei hatte er selbst es nicht immer leicht gehabt, aber immer seinen Weg gefunden. Von der Förderschule in Refrath war er zum CJD Berufsbildungswerk in Frechen gewechselt, hatte eine Ausbildung zum Garten- und Landschaftsbauer absolviert, schließlich im Tiefbau eine Arbeitsstelle gefunden, die ihm Spaß machte.

Niklas war angekommen in dem Leben, was er sich immer gewünscht hatte

Als ihn der Unfall so unvermittelt aus dem Leben riss, war Niklas „so angekommen in seinem Leben“ erinnert sich seine Mutter: „Er war glücklich in seinem Job, war im Theater- und Maiverein, dann ist er bei dem Verein, der immer sein großer Traum im Karneval gewesen war, bei den Wilden Buuren, aufgenommen worden – mit denen war er zwischen Weihnachten und Neujahr noch Süßigkeiten für den Karnevalszug holen gewesen.“

Die Jacke der „Wilden Buure“ mit Niklas' Namen war noch kurz vor dem Jahreswechsel angekommen, er hatte sie gleich angezogen. „Er hatte es geschafft“, sagt seine Mutter. Mit seiner Schwester war er vor Silvester noch in einem Kölner Musikgeschäft gewesen, um Zubehör für die Gitarre zu holen, die sie zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte.

Eigentlich wollte mir Niklas noch das Gitarre-Spielen beigebracht haben.
Schwester (16) über ihren bei einem Unfall ums Leben gekommenen Bruder Niklas (22)

„Wir haben immer viel zusammen gemacht“, sagt seine sieben Jahre jüngere Schwester. Niklas war auch selbst musikalisch, spielte Schlagzeug und Gitarre. Das hatte er in der Schule gelernt. „Eigentlich wollte er mir noch das Gitarre-Spielen beigebracht haben“, sagt seine Schwester.

Ob in den Vereinen, in denen er sich engagierte, oder in der Nachbarschaft – überall schätzten die Menschen auch Niklas„ Hilfsbereitschaft. Er packte an, wenn er gebraucht wurde. „Klar, hat er auch schon mal gemurrt“, erinnert sich seine Mutter und muss lächeln: „Aber er hatte immer einen lustigen Spruch drauf. Wenn ich zum Beispiel gesagt hab: Zimmer aufräumen wäre nochmal angesagt. Dann sagte er immer: Mach bitte einen Termin mit meiner Sekretärin aus . . . Damit meinte er dann seine Schwester.“ Mutter Gabi lacht. Auch jetzt kann ihr Sohn sie noch zum Lachen bringen. „So schlimm es ist, so sehr er fehlt – ich muss immer lächeln, wenn ich an ihn denke“, sagt sie.

Große Hilfsbereitschaft: Familie war in Eikamp vom ersten Tag an nicht allein

Damit waren sie und ihre Familie vom ersten Tag an nicht alleine. „Es ist unglaublich, wie die Menschen hier im Ort uns aufgefangen und unterstützt haben. Noch am Neujahrstag kam meine Nachbarin und sagte: Pass auf, Du brauchst ab sofort nicht mehr zu kochen, wir haben schon eine WhatsApp-Gruppe eingerichtet. Sie haben Essen gebracht, vor die Tür gestellt, waren da, wenn wir reden wollten. Wenn Dir plötzlich der Boden unter den Füßen weggezogen wird, denkst du vielleicht erst noch, ich schaffe das: Aber es ging nicht.“

Es sei unglaublich gewesen zu erleben, wie ein Dorf einen auffange. „Auch wenn wir eigentlich ursprünglich von Köln beziehungsweise Gladbach kommen.“ Die Nachbarschaft, der Theater- und Maiverein, die „Wilden Buure“, der Bürgermeister, alle hätten sie geholfen, im Alltag, bei der Vorbereitung der Trauerfeier. „Manche Leute kannten wir gar nicht, aber sie haben Niklas gekannt.“

An der Unfallstelle entstand noch am Unfalltag eine Gedenkstätte

An der Unfallstelle stand schon wenige Stunden nach Abschluss der Unfallaufnahme ein Meer von Blumen, Bilden, Lichtern. Karnevalsorden hingen am Zaun, ein T-Shirt und ein Hut der „Wilden Buure“ über einem Pfahl. Das Gedenken verblasste nicht, im Gegenteil, in Absprache mit dem Grundbesitzer entstand eine regelrechte Gedenkstätte, die sich im Laufe des Jahres verändert.

Kerzen leuchten im Dunkeln an einer Unfallstelle, an der ein 22-Jähriger aus Odenthal-Eikamp am 1. Januar 2023 ums Leben kam.

Die Unfallstelle an Weihnachten. Die Besucher notierten Wünsche auf Christbaumkugeln.

Jeden Tag gehen Menschen, die Niklas kannten, auch nach einem Jahr noch an die Schallemicher Straße oberhalb von Scherf, halten inne, legen einen Stein ab, Sand oder Muscheln aus dem Urlaub, einen Weihnachtsstern oder zünden ein Licht an. An Niklas' Geburtstag im April stiegen von der Unfallstelle rote Luftballons mit Grüßen an Niklas in den Himmel auf.

Mein Mann, der ist dreimal pro Tag an der Unfallstelle, pflegt alles mit einer Hingabe . . . unglaublich. Er hat einen Rasenschneider, ein ganzes Vorratslager an Batterien, alles immer im Kofferraum dabei.
Gabi Schmitz über die besondere Beziehung ihres Mannes zur Gedenkstätte für Niklas

„Regelmäßig treffen wir uns dort auch mit Menschen, die Niklas kannten. Manchmal geht's mit Musik auf einem Rasenmähertrecker dorthin. Beerdigt ist Niklas im Trostwald in Odenthal, aber da an der Unfallstelle bin ich ihm nahe“, sagt seine Mutter.

„Und mein Mann, der ist dreimal pro Tag an der Unfallstelle, pflegt alles mit einer Hingabe ... unglaublich. Er hat einen Rasenschneider, ein ganzes Vorratslager an Batterien, alles immer im Kofferraum dabei.“

Man kann ihn nicht hassen, er hat es ja nicht extra gemacht.
Gabi Schmitz über den Fahrer, der ihren Sohn Niklas am Neujahrsmorgen 2023 auf der Schallemicher Straße überfuhr

Auf dem Weg zur Unfallstelle kommt die Familie auch an dem Haus im Ort vorbei, in dem der Mann wohnte, der auf dem Weg zur Arbeit ihren Sohn überfuhr. „Man kann ihn nicht hassen, er hat es ja nicht extra gemacht“, sagt Gabi Schmitz.

„Das hätte jedem passieren können, selbst einem erfahrenen Autofahrer wie dem Papa“, fügt ihre 16-jährige Tochter hinzu. „Es wird für ihn auch nicht einfach sein, er wird ja auch immer daran erinnert“, sagt Gabi Schmitz und vermisst doch, dass sich der Unfallfahrer nie bei ihr gemeldet habe.

Ich weiß, dass er da oben ist. Ohne diesen Glauben würde ich daran zerbrechen.
Gabi Schmitz über ihren Glauben und ihren ums Leben gekommenen Sohn Niklas (22).

Die Frage danach, warum es gerade Niklas traf, bleibt. Und sie schmerzt. „Wahrscheinlich wurde ein weiterer ganz besonderer Mensch da oben im Himmel gebraucht“, versucht sich Mutter Gabi Schmitz zu trösten. „Und wenn man gehen muss, dann war es die beste Zeit für Niklas: Denn er war glücklich. Und ich weiß, dass er da oben ist. Ohne diesen Glauben würde ich daran zerbrechen.“

Was jetzt wichtig für sie ist? „Das Beste für seine Schwester zu geben“, sagt Niklas Mutter: „... und irgendwie den Jahrestag am 1. Januar zu überstehen. Wir werden auf jeden Fall wieder mit Freunden an der Unfallstelle sein, wo wir Niklas nahe sind.“


Die Unfallstelle

Oberhalb des Ortes Scherf führt die Schallemicher Straße, die von Eikamp ins Scherfbachtal führt, auf einer langen Geraden bergab.

Auf einer Straße sind gelbe Markierungen zu sehen. Polizisten nehmen die Spuren eines Unfalls auf.

Die Spuren des Unfalls auf der Schallemicher Straße in Richtung Scherf am Neujahrsmorgen des Jahres 2023..

Es war noch dunkel am Neujahrsmorgen 2023, als auf der schmalen Kreisstraße ein Auto hinunterfuhr und der Fahrer laut Polizeibericht etwa 100 Meter vor dem Ortseingang Scherf eine Person reglos auf der Straße liegen sah. Laut Polizei konnte er nicht mehr ausweichen oder abbremsen und erfasste den 22-Jährigen. Dieser wurde unter dem Fahrzeug eingeklemmt und starb. (wg)