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Staub, Rauch, FlammenWie es für einen Odenthaler am 11. September in New York war

Lesezeit 8 Minuten
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Szene vom 11. September 2001 aus der Lexington Avenue.

Odenthal/New York – Der Morgen des Tages, an dem das World Trade Center in New York nach einem Anschlag einstürzte und fast 2800 Menschen unter sich begrub, begann für Walther von Donat ganz unspektakulär. Heute vor 20 Jahren war der damals 65-jährige Odenthaler auf Geschäftsreise in Manhattan unterwegs. Das Erlebte hat ihn nie wieder losgelassen. Nun hat er es niedergeschrieben.

„Dicke schwarze Rauchwolken platzten aus dem Turm“

Ich saß in meinem Lieblings-Coffeeshop, dem Madison, auf der First Avenue Ecke 53rd Street und wartete auf Coco. Seit Jahren komme ich hierher. Wegen der dichten Atmosphäre. Keine Touristen, nur Einheimische. Ein buntes Völkergemisch aus den umliegenden Wohnstraßen.Es war der 11. September 2001 gegen halb neun, und Coco kommt immer so um diese Zeit. Das Madison war rappelvoll, Breakfast rushhour.

Die Leute standen im Eingangsbereich und warteten auf einen freien Platz. An der Theke saßen und standen sie dicht gedrängt. Die Waiter eilten durch die Gänge, Geschirr klapperte, aus der Küche wurden Kommandos gebrüllt, die Menschen redeten und lachten laut durcheinander. Eine heitere, gelöste Stimmung. Lebensfreude pur.

Coco beschimpft minutenlang die Gäste

Ich saß mitten drin und aß langsam und genüsslich meine Silverdollars, die ich dick mit Butter bestrichen und mit süßem Ahornsirup beträufelt hatte. Der Waiter kam und goss unaufgefordert Kaffee nach. Die beidenKrawattenträger mir gegenüber hatten ihre Jacketts ausgezogen und über die Stuhllehnen gehängt.

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Walter von Donat erinnert sich an den Tag vor 20 Jahren in New York.

Inzwischen war auch Coco erschienen. Er saß wie immer auf der rechten Schulter seines Herrn, eines ziemlich alternativen Typs so um die dreißig, der, wenn es nicht gerade regnete, in zerschlissenen, karierten Pantoffeln ins Lokal geschlurft kam und an der Theke sein Breakfast bestellte. Die sechs, sieben Minuten für die Zubereitung nutzte der Vogel, um alle Anwesenden auf das – wie ich vermute – Übelste zu beschimpfen. Denn jeder dritte, vierte Krächzer klang so ähnlich wie fack...fack...

Brand, Kurzschluss, Kaffeemaschine

Auf einmal wurde es still im Madison. Die Gespräche verstummten. Alles starrte hinüber zur Theke. Ich drehte mich um. Im Fernseher in der Ecke sah man, wie aus einem der Türme des World Trade Center dichter schwarzer Qualm herausquoll. In einem der oberen Stockwerke schien ein Feuer ausgebrochen zu sein. Einige Gäste waren aufgestanden und nach vorn zur Theke gegangen. „An accident“, hörte ich jemanden sagen. Ich dachte im ersten Moment an einen lokalen Brand, Kurzschluss, Kaffeemaschine.

Doch gleich darauf schlugen helle Flammen durch den Qualm. Ein gelb-rot glühender Feuerball und dicke schwarze Rauchwolken platzten förmlich aus dem Turm heraus. Die Menschen schrien auf: „Oh my god!“

CNN berichtet vom ersten Flugzeug

Viele Gäste und auch das Küchenpersonal drängten sich jetzt an der Theke und starrten entsetzt auf das unglaubliche Geschehen, das sich da vor unseren Augen abspielte. Das Nachrichtenband von CNN berichtete nun, dass ein Flugzeug in den Turm gestürzt sei. Unfassbar! Welch eine Katastrophe! Trotzdem blieben die Menschen merkwürdig ruhig undgelassen. Einige blieben sogar sitzen und aßen weiter, so als wäre das Ganze nur ein Film.

Ich hatte schon viel gelesen über Brandkatastrophen in New York und mir war sofort klar, dass sich hier eine Tragödie ungeheuren Ausmaßes ereignete.

Schnell noch zum Meeting

Ich verließ das Madison. Auf der First Avenue herrschte normaler Verkehr. Aber viele Autofahrer hatten ihre Wagen links oder rechts auf den Seitenfahrbahnen angehalten, alle vier Türen weit aufgestoßen und die Radios eingeschaltet. Passanten standen dicht um die Wagen herum und lauschten angespannt den Übertragungen. Von einem älteren Herrn erfuhr ich, dass auch der zweite Turm, der Südturm, von einem Flugzeug getroffen worden war. Vermutlich ein Terrorangriff.

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New Yorker verfolgten die Angriffe auf Fernsehern überall.

Völlig geschockt beschloss ich, ins Hotel zurück zu gehen. Es war herrliches Wetter, warm, keine Wolke am Himmel. Nur über Downtown stieg schwarzer Rauch auf, so als zöge ein Unwetter heran. Ich bog rechts in die 53rd Street und ging westwärts. Plötzlich fiel mir mein Meeting mit meinen Geschäftsfreunden ein. Wir wollten uns um 10.30 Uhr in ihrem Büro in der Fifth Avenue treffen, zwei Blocks südlich des Empire. Es war jetzt 9.25 Uhr. Ich musste mich beeilen.

Menschen drängen sich dicht an dicht am Fernseher

Ich kam an die 2nd Ave, eine meiner Lieblingsecken. Moderne Architektur und der morbide Charme vergangener Zeiten. Ich ging weiter, vorbei an dem kleinen Zeitungslädchen mit dem meist schlafenden Hund und dem netten Verkäufer.

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Zwei Rettungswagen rasten dicht hintereinander unter nervenzerfetzendem Gejaule nach Süden. Ich bog ab in die 51st Street. Im Deli an der Ecke standen die Menschen dicht gedrängt und starrten hoch zu den Fernsehern, die hier an der Decke hängen. Ich ging weiter, vorbei an der kleinen Feuerwache. Die Halle war leer, die beiden Löschzüge waren im Einsatz.Die Stimmung in der Lexington war ganz normal. Wie immer zur Hauptgeschäftszeit an einem Vormittag.

Der erste Turm fällt

Vor meinem Hotel standen Dutzende Gäste und versuchten, ein Taxi heranzuwinken. Doch die waren schon immer besetzt und fuhren vorbei. Ich ging kurz in die Lobby und sah im Fernseher eine riesige weiß-graue Rauchwalze und Menschen, die vor ihr herliefen. Wir erfuhren, dass gerade der Südturm zusammengestürzt war.

Einfach so, in wenigen Sekunden. Unfassbar! Diszipliniert, ein Stockwerk auf das nächste, senkrecht, ohne zur Seite zu kippen, mit unheimlicher Präzision. Ein Aufschrei ging durch die Lobby. Viele Menschen fielen sich um den Hals und weinten hemmungslos. Eine allgemeine Erschütterung breitete sich aus. „Oh my god! Oh my god!“

„Merkwürdigerweise hatte ich keine Angst“

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Walther von Donat erlebte den Anschlag in New York. 

Ich ging wieder auf die Straße. Auch hier hatte sich die schreckliche Nachricht verbreitet. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Sollte ich noch zu meinem Meeting fahren? Ich sah auf die Uhr, kurz nach 10 Uhr. Auf einmal hielt ein Privatwagen. Der Fahrer beugte sich aus dem Fenster: „you wanna go south?“ Ich sagte ihm, dass ich zum Empire wollte. „Ten Dollars.“ Ich riss die hintere Tür des schon wieder anrollenden Wagens auf und schob mich auf den Rücksitz.

Ein Taxi nimmt sechs Dollar für diese Strecke. Stockend ging es voran. Auf den beiden Außenfahrbahnen standen schwere Trucks zwischen Personen- und Lieferwagen. Die mittlere Fahrspur musste frei bleiben, sie ist Polizei- und Rettungsfahrzeugen vorbehalten. Überall Menschen, die wie gebannt nach Süden starrten, wo schwarzer Rauch den Himmel verdüsterte. Der Fahrer fluchte laut auf Spanisch und trommelte mit den Händen auf das Lenkrad.

Sirenen rasen Uptown

Aus dem Radio dröhnte eine Stimme. Ich verstand nichts. Wir passierten die Rückfront des Waldorf Astoria und das Chrysler Building. Von hinten kam ein Rettungswagen und raste mit diesen absolut nervtötenden, auf- und abschwellenden, dann wieder kurz abgehackten Heultönen an uns vorbei. Ein plötzlich aufbrausender Lärmschwall, ein Lärmterror, der dann genauso plötzlich abbricht und erstirbt.

Vor dem Hyatt und der Grand Central Station stauten sich die Yellow Cabs. Wir wurden jetzt dauernd von Fahrzeugen mit Sirenen überholt und auf der 3rd Ave hörten wir die Sirenen Uptown rasen. Ein Lärminferno sondergleichen.

Zehn Dollar für die Taxifahrt

Merkwürdigerweise verspürte ich überhaupt keine Angst. Ich saß auf der Rückbank und sah gebannt durch die Frontscheibe nach vorn auf das Chaos. Am Horizont wogte ein Gebirge aus Qualm. Plötzlich drehte der Fahrer sich halb zu mir um. Es war das erste Mal, dass er mit mir sprach. Auch der zweite Turm sei eingestürzt – „collapsed!“ Es würden viele tausend Menschen sterben.

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Szene vom 11. September 2001 aus der Lexington Avenue.

Schweigend fuhren wir weiter durch Manhattan, diese tolle, berauschende, begeisternde Stadt, die jetzt ein schreckliches Unglück getroffen hatte. Ein Blitz aus heiterem Himmel. Es war bedrückend. Einen Block südlich des Empire hielt der Fahrer auf der linken Seite. Ich stieg aus und reichte ihm seine zehn Dollar durchs offene Fenster. Er nahm sie ohne mich anzusehen mit zwei Fingern und fuhr weiter.

„Welt kann zusammenbrechen, die Germans sind pünktlich“

Eine große Menschenmenge stand auf beiden Seiten der Avenue und starrte nach Süden. Unvorstellbar – die Twin Towers waren verschwunden. Ein Gebirge von weiß-grau-schwarzem Qualm hatte sie verschluckt. Hinter mir stach das Empire in einen wolkenlosen blauen Himmel.

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Ich betrat das Textile-Building 295, Fifth Avenue und fuhr hinauf in den fünften Stock. Meine Geschäftspartner, die ich alle seit 1973 kenne, waren völlig perplex und sahen mich an wie einen Besucher von einem fremden Stern. Sie saßen alle vor dem Fernseher und hatten natürlich nicht im Traum mehr mit mir gerechnet. Wahrscheinlich dachten sie: „Da kann die Welt zusammenbrechen, diese Germans stehen pünktlich auf der Matte.“ Nach ein paar Höflichkeitsfloskeln und einem Glas Wasser vertagten wir uns auf den kommenden Donnerstag. Ich fuhr wieder hinunter und trat hinaus in das gleißende Sonnenlicht auf der Fifth Avenue.

Apathisch, geschockt, fassungslos

Von Süden kamen jetzt Ströme von Menschen die Fifth herauf. Ohne jegliche Anzeichen von Panik. Bemerkenswert diszipliniert. Aber apathisch, geschockt, fassungslos. Viele weinten still vor sich hin.

Ich mischte mich unter die Menschen und litt mit ihnen. Auf einmal fühlte ich mich wie einer von ihnen, wie ein New Yorker. Wir gingen nach Norden. Zu Hunderten trotteten wir nach Norden. Kaum jemand sprach. Es war ein stiller, geordneter Zug. Auf der Flucht vor etwas Ungeheuerlichem, hinein in einen wunderschönen Spätsommertag. Hinter uns versank Downtown Manhattan in einem Inferno aus Staub und Rauch...