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Ein Chip macht den UnterschiedMüllabfuhr – so funktioniert das Kürtener Wiegesystem

Lesezeit 4 Minuten

Für Ralf Neuenhaus und seinen Entsorgungsbetrieb gehört das Wiegen der Kürtener Restmülltonnen seit 20 Jahren zum normalen Abfuhralltag.

Kürten – Seit 1997 ist Neuenhaus für das Wiegen des Restmülls zuständig, seit 2016 auch für das Wiegen des Bioabfalls. Wie funktioniert das eigentlich? Claus Boelen-Theile besuchte das Betriebsgelände in Kürten-Herweg.

Die Müllwagen

Zwei Müllfahrzeuge hat der Entsorger für die Fahrten in Kürten zur Verfügung. Das eine fährt, das andere ist Reserve bei einem Defekt. Sie unterscheiden sich nur in einem Detail von den anderen Müllwagen: An der Laderampe hinten ist ein unscheinbares Kästchen montiert, das per Funk mit den Chips in den Mülltonnen verbunden ist. Die zwei Wagen könnten problemlos auch in der Nachbarkommune Lindlar eingesetzt werden, für die Neuenhaus ebenfalls zuständig und wo nicht gewogen wird. Andersherum geht es nicht.

Der Chip

Mit diesem Chip wird der Inhalt der Mülltonnen gewogen.

Er ist klein und rund, wiegt nur ein paar Gramm und steckt unter der Randleiste der Tonne. Wenn man nicht wüsste, dass es ihn gibt, würde man ihn übersehen. Er muss keinen direkten Kontakt zum Empfänger am Müllwagen haben, in einem Abstand von bis zu 25 Zentimetern werden automatisch die Daten übermittelt. Das ist ähnlich wie bei großen Laufveranstaltungen der Messchip, den die Läufer am Schuh haben und der auf die Messmatte reagiert. Bei Neuenhaus ist die Messmatte der Müllwagen. Der Chip gilt als unzerstörbar.

Das Wiegen

Alles, was von der Tonne in den Schlund des Müllwagens fällt, wird vom Wiegesystem erfasst. Was am Bodensatz der Tonne kleben bleibt, nicht. „Da gibt es immer wieder Nachfragen“, sagt Geschäftsführer Ralf Neuenhaus. Aber niemand müsse befürchten, dass der Müll falsch gewogen werde. Wichtig: Gewogen wird vorher und nachher, also brutto und netto. Die Differenz kommt auf die Wiegerechnung des verantwortlichen Bergischen Abfallwirtschaftsverbands (BAV).

Die Anonymität

Bei Entsorger laufen die Wiegewerte anonym über Nummern. Über den Datenfunk GPAS laufen die Wiegeergebnisse zunächst auf einen Monitor in der Fahrerkabine, gleichzeitig auf die Rechner in der Firmenzentrale in Herweg. Jede Woche gibt Neuenhaus die Daten weiter an den BAV.

Die Tonnen

In Kürten sind alle Restmülltonnen gleich groß und fassen 240 Liter. Ein Umstieg auf Tonnengrößen je Haushalt würde den Abschied vom Einheitsbehälter bedeuten. Wegen des Wiegens sind die Kürtener Tonnen ziemlich einmalig. Neben dem Chip gibt es auf Wunsch auch ein Schlosssystem, damit der Nachbar nichts heimlich hineinwirft. Die Kürtener, sagt Ralf Neuenhaus, seien aber vertrauensvoll. Nur etwa fünf Prozent der Tonnen hätten Schlösser.

Die Denkweise

„Wir kennen das Wiegen seit 20 Jahren, und es läuft bei uns problemlos“, sagt Neuenhaus. Als Dienstleister hat Neuenhaus selbst keine Präferenzen. Die Firma nimmt es, wie es kommt. Das Wiegen ist für den Entsorger normales Tagesgeschäft. Ein Für und Wider gibt es beim Entsorger Neuenhaus nicht.

Die Investitionen

Im überschaubaren Rahmen hält sich das, was der Entsorger investiert hat. Erforderlich ist die Kürten-spezifische Software und die Installation an den Müllfahrzeugen. Weil nirgendwo sonst gewogen wird, wäre auch ein Umstieg ohne größere Hürden für Neuenhaus möglich. „Dann nehmen wir branchenübliche Software“, erläutert Ralf Neuenhaus.

Auf den Monitoren im Fahrzeug ist zu sehen, was am Heck geschieht und wie viel Müll eingeladen wurde.

Die Umstellung

Ein mögliches Problem liegt für den Fall der Umstellung bei den Kürtener Bürgern: Ihnen gehören die Tonnen. Noch so eine Kürtener Spezialität: Überall sonst sind die Mülltonnen im Eigentum des kommunalen Abfallwirtschaftsbetriebs oder den Stadtwerken.

Der Vertrag

Zum Jahresende 2019 läuft der Vertrag, den Neuenhaus mit der Gemeinde Kürten hat. So lange wird auf jeden Fall gewogen. Es gibt eine einjährige Kündigungsfrist bis 31. Dezember 2018. Je zwei einjährige Verlängerungen sind möglich, so dass der Vertrag spätestens zum 31. Dezember 2021 ausläuft. Wie bei der letzten Vergabe 2014 muss die Gemeinde europaweit ausschreiben. „Wir werden auf jeden Fall ein Gebot abgeben“, sagt Ralf Neuenhaus.

Gebühren

Für einen Kilogramm Hausmüll zahlen die Kürtener 49 Cent (2017 waren es 50 Cent).

Für die Abfallentsorgung beträgt die Gebühr 13,32 Euro (2017: 13,30 Euro). (cbt)

Umstritten

Ein Sonderfall ist Kürten bei der Müllentsorgung. Während überall in Deutschland die Gebühren je Tonne abgerechnet werden, wird hier gewogen. Das Verfahren ist umstritten. Familien mit kleinen Kindern oder Senioren etwa fühlen sich benachteiligt, weil sie – etwa durch schwere Windeln – deutlich mehr bezahlen als andere.

Im Herbst 2017 starteten Kürtener Bürger eine Petition zur Abschaffung des Verfahrens, denn bis Ende 2018 muss entschieden werden, ob der Vertrag mit der Firma Neuenhaus – die für Kürten den Müll wiegt – gekündigt oder verlängert wird. (r)