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Heimat wich Dhünn-TalsperreEiner versunkenen Welt auf der Spur

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Das Tal glich einer Mondlandschaft.

Rhein-Berg – Das Foto spricht Bände: Autos und Motorräder parken an der Plätzmühle, Menschen tummeln sich vor dem beliebten Ausflugslokal im Dhünntal. Davor stehen Planierraupen, die Bäume am Ufer der Dhünn sind gefällt, die Tage des Örtchens gezählt. Wenige Monate später ist es verschwunden. Seit Mitte der 1980er Jahre steht das Wasser der Großen Dhünn-Talsperre Meter hoch über der Stelle, an der die Plätzmühle einst Ausflügler anlockte.

27 Weiler und kleine Orte mussten ganz oder teilweise weichen, als mit dem Bau von Westdeutschlands größter reiner Trinkwassertalsperre begonnen wurde. Mehr als 200 Bewohner verloren ihre Heimat in einem dünn, aber doch seit dem Mittelalter kontinuierlich besiedelten Tal. Bei Untersuchungen im Zuge des Talsperrenbaus wurden gar bearbeitete Feuersteine gefunden, die auf Menschen schon während der Altsteinzeit vor mehr als 10 000 Jahren hinweisen.

Die letzten Bewohner des Dhünntals mussten sich vor 40 Jahren eine neue Bleibe suchen. Zwar seien sie sehr gut entschädigt worden, doch der Wegzug sei vielen nicht leicht gefallen, sagt Marita Jendrischewski. Sie ist am Nordrand der heutigen Talsperre aufgewachsen, ging als Kind oft von Hundheim hinunter ins Tal, um sich am Kiosk eines der damals im Tal betriebenen Campingplätze ein Eis zu holen.

Als sich das Tal in eine Baustelle verwandelte, schloss Marita Jendrischewski ihr Studium als Grundschullehrerin ab – und machte die Veränderungen 1976 zum Thema ihrer Examensarbeit: „Raumplanung aus Gründen der Wasserversorgung“. Losgelassen habe sie die Geschichte des Dhünntals nie mehr, sagt die Pädagogin und Heimatforscherin. Im Rahmen der ersten Auflage der „unverDHÜNNt“-Aktion 2007 traf sie die Aktiven des Vereins Landschaft und Geschichte, die damals an ihrem ersten Buch arbeiteten. „Das ermutigte mich, die Lebensumstände der Dhünntalbewohner genauer zu erforschen und für die Nachwelt niederzuschreiben“, erzählt sie. Zahlreiche ehemalige Bewohner hat sie ausfindig gemacht, mit ihnen alte Dokumente und Fotos gesichtet.

Rasch gingen die Forschungen über die Generation der letzten Bewohner hinaus, wurde der „Ackerer und Handelsmann“ Johann Wilhelm Beck, der mit einer Kiepe auf dem Rücken Ende des 19. Jahrhunderts mehrmals pro Woche zu Fuß von Malsberg nach Remscheid ging ebenso wieder lebendig, wie das als „Café Kuhstall“ bekannte „Landhaus zum Dhünntal“ in Schaffeld oder der Dhünntaler Zelt- und Lagerplatz mit dem Kiosk von Bürgermeister Willy Müllenmeister. Er hatte in den 50er Jahren die Zeichen der Zeit erkannt und einen stillgelegten Steinbruch bei Schirpendhünn in ein Campingparadies verwandelt.

Dieses „schönste Ende der Welt“ hat Marita Jendrischewski ebenso in ihrem Buch „Menschen und Geschichte(n) einer versunkenen Landschaft“ verewigt wie die Pelztierfarm von Alois Winkler in Doktorsdhünn unterhalb des Staudamms der heutigen Vorsperre Große Dhünn oder den „gesellschaftlichen Treffpunkt“ im örtlichen Kolonialwarenladen.

Auf das Buch, das mittlerweile vergriffen ist, erhielt die Autorin Reaktionen aus aller Welt: Rund um den Globus leben ehemalige Dhünntal-Bewohner oder ihre Nachfahren. „Auch viele Menschen, die dort Camping gemacht haben, haben sich gemeldet“, sagt die Dhünntal-Forscherin. „Das große Interesse entstand bei vielen auch, weil dieses Tal einfach so nicht mehr da war.“ Die Straßen, die einst ins Tal führten, enden heute jäh an Toren des Zauns um die Schutzzone 1 der Trinkwassertalsperre. In der Erinnerung der ehemaligen Bewohner aber führen sie weiter. An vielen alten Fotografien hängen Erinnerungen. Wie an dem Bild der Planierraupen vor der Plätzmühle, das Helmut Frielingsdorf aus Bechen 2007 für eine Fotoausstellung von BLZ und Kreis zur Verfügung stellte. Auch sie hält ein Stück des Lebens in einer heute versunkenen Welt fest.

Zu sehen ist die Ausstellung noch einmal im Rahmen der unverDHÜNNt-Aktion am Sonntag, 15. September, von 10 bis 18 Uhr auf dem Staudamm der Großen Dhünn-Talsperre.