Am Samstag, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, versammelten sich Burscheiderinnen und Burscheider auf dem Marktplatz zur Mahnwache.
MahnwacheBurscheider singen für Miteinander in Vielfalt
Es ist fünf vor zwölf. Für Burscheid galt dies am Samstag in zweifacher Hinsicht: Stadtverwaltung und Bürgerinnen und Bürger machten mit ihrer Präsenz bei der Mahnwache auf dem Marktplatz, wie wichtig es ist, gegen Rassismus und rechte Gesinnung auf die Straße zu gehen. Um fünf vor zwölf füllt sich der Platz in der Innenstadt bis zum Äußersten.
Babys, Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Senioren – jede Altersgruppe ist vertreten, sie alle wollen gemeinsam agieren. Bürgermeister Dirk Runge, die stellvertretende Bürgermeisterin Stella Ignatz, Journalist Ekkehard Rüger und Jazz-Musiker Engelbert Wrobel stehen dabei im Zentrum des Geschehens. Letzterer leitet die Zusammenkunft musikalisch mit „What A Wonderful World“ ein. Zuvor hallten alle gemeinsam fünf Minuten lang schweigend inne.
Burscheider gehen in die Konfrontation
Als Wrobels Spiel verklungen ist, sagt Ekkehard Rüger: „Darum sind auch wir heute hier: weil wir nicht nur gegen etwas sind, sondern weil wir vor allem für etwas sind: Wir stehen hier, weil uns die Demokratie am Herzen liegt, weil wir Vielfalt schätzen und die Freiheit lieben.“ Rüger scheint damit für alle zu sprechen, denn die Demonstrantinnen und Demonstranten würdigen seinen Satz mit Beifall. Es sei auch wichtig, im beschaulichen Burscheid auf die Straße zu gehen, um zu zeigen, dass Demokratie nicht delegiert werden könne, wir alle seien dafür verantwortlich, so Rüger.
„Demokratie braucht den Mut zum Streit. Sie braucht den Widerspruch“, konstatiert Rüger. In die Konfrontation wollen die Menschen an diesem Samstagmittag gehen. Ihre Plakate zeigen Sätze wie „Nie wieder ist jetzt“ oder „Schlimmer als blind zu sein, ist es, nicht sehen zu wollen“. „Wir müssen Flagge zeigen, das ist das Allerwichtigste. Die Leute müssen in dieser Gemeinschaft merken, dass sie mehr tun müssen, als heute hier zu stehen und das wird einem nach der Rede erst richtig bewusst“, sagt ein Ehepaar, das mit seinen Enkeln zur Mahnwache gekommen ist.
„Ich habe schon lange gemerkt, wie frustriert ich war, dass diese Ansichten einen immer größeren Raum in der Gesellschaft einnehmen. Die Mahnwache trägt dazu bei, den ausländischen Mitbürgern zu zeigen: Wir stehen an eurer Seite, das ist keine Gesamt-, sondern Einzelmeinung“, meint eine Demonstrantin. Eine andere Frau erzählt, dass auch die Angst sie dazu verleitet habe, teilzunehmen. „Ich habe vor einem halben Jahr gemerkt, dass ich Angst habe, dass sich die Geschichte wiederholt, ich hatte Beklemmungen. Die Äußerungen der Rechten werden immer brutaler, die haben überhaupt keine Beklemmungen mehr“, sagt sie.
In seiner Rede spricht sich Ekkehard Rüger zwar durchweg gegen das rechte Gedankengut aus, schafft es aber dennoch, nicht an den Problemen der Migration vorbeizusehen. So thematisiert er auch den Attentats-Plan eines islamistischen Burscheider Schülers und benennt dies als Problem, um das sich Politik und Gesellschaft kümmern müssten. „Die Lösung heißt aber nicht, ganze Bevölkerungsgruppen zu diffamieren, Sündenböcke zu suchen und Menschen, die seit Jahren und Jahrzehnten hier leben, mit Deportationsfantasien zu ängstigen“, macht er deutlich.
An diesem Samstag, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, sagt Rüger: „Manchmal denken wir vielleicht, Geschichte erschließt sich nur im Rückblick. Dabei sind auch wir Teil der Geschichte. Sie geschieht jetzt, hier, auch heute in Burscheid“, hallt die Stimme des Journalisten über den totenstillen Marktplatz. Nur ein Hund, der mit seinem Herrchen an der Mahnwache teilnimmt, winselt leise.
Engelbert Wrobel bricht die Rede musikalisch auf und spielt beispielsweise „In unserem Veedel“, die Burscheiderinnen und Burscheider stimmen leise in das Lied ein. Andächtig singt der gesamte Marktplatz. Wrobel lässt die Mahnwache zu „Oh, when the Saints“ ausklingen, die Demonstranten, die keine Plakate in der Hand halten, klatschen im Takt.
Rüger schließt seine Rede mit dem Aufruf, sich zu engagieren, auch über die Demonstration hinaus. „Nein, Mahnwachen und Demonstrationen reichen nicht, aber keine Mahnwachen und keine Demonstrationen reichen noch viel weniger“, hält er fest. Bürgermeister Runge geht noch auf das Thema Versorgung von Geflüchteten ein. „Jede kleine Hilfe ist für uns wichtig – und die gibt es auch“, so Runge. Im Anschluss laden die Veranstalter zum interreligiösen Gebet in die evangelische Kirche ein, Vertreter der monotheistischen Weltreligionen sind dort und beten gemeinsam. Seinen Ausklang findet das Gebet in einem jüdischen Friedenslied.