Bergisch Gladbach, nicht schäbig, sondern Kölns „attraktive kleine Schwester“, auf Abwegen: Mieter und Vermieter warnen vor der Wohnungsnot.
WohnenBergisch Gladbach in Not – Vermieter und Mieter schlagen Alarm
„Bergisch Gladbach ist die attraktive kleine Schwester von Köln geworden“, schmeichelt Hans Jörg Depel, Geschäftsführer des Kölner Mietervereins, den hiesigen Kreisstadt-Bewohnern, die in Köln auch als Schäbbisch Gläbbischer bekannt sind. Einerseits. Denn andererseits, könnte man das Bild des Mieter-Lobbyisten fortsetzen, ist die attraktive kleine Schwester inzwischen zum Fall fürs Jugendamt geworden: Die Kleine ist auf Abwegen, die (politischen) Eltern sehen es nicht oder kümmern sich nicht genügend.
So groß ist die Gefährdung, dass sich der Kölner Mieterverein und Haus und Grund Rhein-Berg, der hiesige Haus- und Grundeigentümerverein, sich zusammengetan und einen lauten Alarmruf gestartet haben.
In Rhein-Berg, speziell in der Kreisstadt, werden aus Sicht der beiden Verbände viel zu wenig Wohnungen gebaut. Während einerseits der Zuzug, vor allem aus Köln, anhält und viel mehr Kölner nach Bergisch Gladbach ziehen als umgekehrt, passiert auf dem hiesigen Baumarkt so gut wie nichts, und die daraus erwachsenden sozialen Verwerfungen nimmt der Mieterverein auch schon als Erklärung für die Ergebnisse bei der Europawahl.
Für wie ernst Mieter und Vermieter die Lage halten, machen ihre Vertreter – neben den Vorsitzenden Franz-Xaver Corneth (Mieter) und Sebastian Feik (Vermieter) Geschäftsführer Hans Jörg Depel (Mieter) und Geschäftsführerin Sylvia Schönenbröcher (Vermieter) schon zu Beginn des mit 35 Minuten Verspätung beginnenden Pressegesprächs im Bergischen Löwen deutlich: „Der gemeinsame Auftritt ist historisch erstmalig und zeigt, wie ernst die Lage rund um Wohnen im Rheinisch-Bergischen Kreis ist.“
In der Folge zählen die vier eine Fülle von Faktoren auf: lmmer komplexer werdende Normen und Vorgaben am Bau, langwierige Genehmigungsverfahren, immer mehr zwingend Beteiligte und grundsätzlich steigende Lohn-Materialkosten mindern die „Attraktivität, Wohnraum zu schaffen“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung.
Höheres Tempo der Verwaltungen gewünscht
Doch sei das nur ein Teil des Problems. Das Bestreben, gleichzeitig die höchsten Umweltstandards und bezahlbaren Wohnraum zu haben, sei schwer zusammenbringen, sagt Sylvia Schönenbröcher. Und dann noch die Nebenkosten: Während die Kaltmieten stagnierten, wüchsen die anderen Ausgaben immer weiter. Aktuell gebe es praktisch gar keine Fluktuation mehr auf dem Wohnungsmarkt, wer eine Wohnung habe, bleibe. Auf dem Wunschzettel der Vermieter stehen „mehr Tempo“ bei Bebauungsplänen und bei Baugenehmigungen.
Mietervereinsgeschäftsführer Depel zollt den hiesigen Vermietern ein Kompliment: Einen öffentlichen Termin wie diesen würde der Kölner Mieterverein durchaus nicht mit jedem Hausbesitzerverein machen, aber in Rhein-Berg seien die Verhältnisse anders. „Wir schätzen uns als faire Partner.“
Bergisch Gladbach sei aus Kölner Sicht der „attraktivste Teil des Speckgürtels“, was sicherlich auch mit der Verkehrsanbindung und großen Arbeitgebern in der Kreisstadt zusammenhänge. Depel: „Bergisch Gladbach wird attraktiv bleiben.“
Gleichwohl geschehe viel zu wenig, Wohnungen auf Parkplätzen und Supermärkten seien „nette Experimente, aber Flickschusterei“, und das gelte auch für Tiny Houses. „Think big“ müsse vielmehr die Devise lauten. Wer auf die Ansiedlung neuer Unternehmen setze, müsse auch das Wohnthema mitdenken. Franz-Xaver Corneth: „Wirtschaftspolitik funktioniert nicht ohne Wohnungspolitik.“
Wohnraum muss auch bezahlbar sein
Nun sind in Bergisch Gladbach zuletzt viele neue Wohnungen gebaut worden, weitere sollen auf Zanders entstehen. Wie viele außerdem noch nötig sind? Eine Zahl sei das eine, es komme vor allem darauf an, dass sie bezahlbar seien, sagt Geschäftsführerin Schönenbröcher. Die Wohnungsbaugesellschaft RBS könne nicht alles alleine auffangen.
Die Bereitschaft, an bessere Zeiten anzuknüpfen, sei da, versichern die Vorsitzenden Corneth und Feik. Aber sie formulieren auch: „Wir erwarten von der bestehenden und künftigen Politik, die entsprechenden Rahmenbedingungen dafür zu schaffen und so Wohnen und Arbeiten im Rheinisch Bergischen Kreis wieder attraktiv zu machen.“
Kritik am Zanders-Projekt
War es richtig, dass die Stadt Bergisch Gladbach ganz groß beim Zandersgelände eingestiegen ist? Sebastian Feik, der Vorsitzende des 6700 Mitglieder starken Vereins Haus und Grund, ließ durchblicken, dass er das nicht für der Weisheit letzten Schluss hält, doch jetzt sei das „Kind in den Brunnen gefallen“. Pläne, die längst fertig gewesen seien, hätten aus politischen Gründen wieder verworfen werden müssen.
Ebenfalls kritisch äußerte sich Mietervereinschef Franz-Xaver Corneth (66 000 Mitglieder): Er als Kaufmann hätte die Fläche auch gekauft, aber zugesehen, dass er sie schnell entwickelt und wieder verkauft bekomme. Feik ergänzte, er persönlich sei ein großer Fan des Zandersgeländes, an die Planung müssten aber „Menschen ran, die es können“. Dass als erstes Nachfolgeunternehmen auf dem großen Industriegelände ausgerechnet eine Firma aus der Abfallwirtschaft tätig geworden sei, finde er bedauerlich.