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„Was, wenn sie sie mitnehmen?“Ein Bensberger Azubi zittert um seine Familie in Kabul

Lesezeit 5 Minuten
Onah H. 180821

Fühlt sich hilflos: Onar H. aus Bensberg, der rund um die Uhr die Nachrichten aus Afghanistan verfolgt. Er lebt in ständiger Angst um Mutter, Schwester und Bruder und kann selbst nichts tun.

Bergisch Gladbach – Angst, Verzweiflung und Ohnmacht. Die Taliban haben Afghanistan erobert. Onar H. – 2015 aus Afghanistan nach Bergisch Gladbach geflüchtet – schildert, wie er die Situation erlebt. Bibi Opiela von der Initiative Willkommen in Refrath-Frankenforst weiß, wiegroß die Not in der afghanischen Community ist: „Wir können nur zuhören und versuchen, die Ohnmacht mitauszuhalten.“

Onar H. aus Bensberg ist voller Angst und Sorge. Er bangt um seine Familie, die auf der Flucht ist, in dem Land, das wieder in die Hand der Taliban gefallen ist. Die Redaktion hat den Namen des 30-Jährigen verändert und zeigt ihn auf dem Foto nur von hinten, damit er nicht zu erkennen ist. Onar H. hat panische Angst, seine Angehörigen in Afghanistan zu gefährden.

„Die Menschen sind auf sich allein gestellt“

Während des Gesprächs in einem Bensberger Café übermannt ihn die Panik vor dem Taliban-Regime, das entstehen wird. Die erste Herrschaft der Taliban hat er selbst miterlebt. Alte Bilder kommen wieder hoch. „Die sind so brutal. Ich habe Menschen gesehen, die aufgeknüpft am Straßenrand hingen.“ Nachts könne er nicht mehr schlafen. Seine Kollegen im Betrieb – Onar H. macht eine Ausbildung zum Fachinformatiker – zeigten zum Glück Verständnis. „Aber bloß nicht schreiben, wo ich arbeite“, bittet er.

So arbeitet die Redaktion

Wann Personen anonymisiert werden

Wer sich in der Tageszeitung zu Wort meldet, der muss das mit seinem richtigen, vollen Namen tun. Das ist die Regel. Wer sich in der Redaktion meldet und um Anonymität bittet, der muss einen guten Grund haben. In Fall des Afghanen ist die Entscheidung schnell getroffen.

Die Redaktion hat sich an ihn gewandt und wenn er aus Angst um seine Familie um Anonymität bittet, entsprechen wir diesem Wunsch selbstverständlich. Und so abwegig ist seine Angst nicht. Taliban sind sicher keine Abonnenten dieser Tageszeitung, aber in den sozialen Netzwerken ist die Welt ein Dorf geworden. Wir können nicht garantieren, dass eine Namensnennung nicht doch zu einer Gefährdung führt.

Es gibt weitere Gründe dafür, wenn wir Namen nicht nennen, obwohl wir sie kennen: Wenn ein Vorfall von öffentlichem Interesse ist, die handelnde Person aber keine „Person des öffentlichen Lebens“ ist – also ein ganz normaler, unbekannter Bürger.

Klassisches Beispiel: Der Bürgermeister verursacht mit zwei Promille einen spektakulären Unfall auf dem Konrad-Adenauer-Platz. Da nennen wir den Namen. Wenn eine völlig unbekannte Person diesen Unfall verursacht hat, anonymisieren wir den Namen, schildern aber das Geschehen. Die Presse ist dem „Persönlichkeitsschutz“ verpflichtet. Das ist auch der Grund für die Anonymisierung in der Gerichtsberichterstattung. (nie)

Die Angst, die Taliban könnten seine Identität zurückverfolgen und damit seine Mutter, Schwester und Bruder ausfindig machen, ist allgegenwärtig. Trotzdem verfolgt er auf dem Handy die Nachrichten, Bilder und Videos in den sozialen Netzwerken aus Afghanistan – ohne Pause, auch im Gehen auf dem Weg zum Café: „Die Menschen sind auf sich allein gestellt.“

Alles zurückgelassen, was sie besaßen

„Was soll ich tun, wenn die Taliban meine Familie in Kabul finden. Wenn sie sie mitnehmen?“ Das fragt er sich jeden Tag, es sind Fragen der Verzweiflung. Er selbst ist 2015 aus seinem Heimatort, nicht weit entfernt von der pakistanischen Grenze, nach Deutschland gekommen. Er sei aus politischen Gründen geflüchtet.

Als Mitarbeiter der Bezirksverwaltung, die auch mit den Amerikanern zusammengearbeitet habe, sei er verdächtig gewesen. Als klar war, dass die Taliban die Macht übernehmen würden, seien nun auch Mutter, Schwester und Bruder nach Kabul geflohen und hätten alles zurückgelassen, was sie besaßen: „Mit Gepäck hätten sie Aufmerksamkeit auf sich gezogen.“

Aber jetzt ist Kabul auch Taliban-Territorium. Die Familie habe sich irgendwo versteckt, mehr will Onar H. lieber nicht sagen, aus Angst, sie könnte durch den Zeitungsartikel aufgespürt werden. „Für meine Verwandten ist es sehr gefährlich, weil ich als Sohn in den Westen ausgewandert bin“, weiß Onar H.

Angst und HIlflosigkeit bei Geflüchteten

Er fühlt sich hilflos: „Was soll ich machen?“ sorgt er sich, seine Familie könnte in eine Personenkontrolle geraten. Er lebe in Sicherheit in einem Land ohne Krieg, seine liebsten Menschen seien aber womöglich in großer Gefahr. „Wir telefonieren jeden Tag“, sagt H. Aber manchmal gibt es keinen Empfang. Dann kriechen sie wieder in ihm hoch: Angst und quälende Gedanken. „Das zerstört mich.“

„Wir erleben in den vergangenen Tagen, extrem verängstigte und verunsicherte Afghanen“, berichtet Bibi Opiela stellvertretend für die Helfer der Initiative Refrath-Frankenforst, die sich um Geflüchtete kümmern. Ein anerkannter Asylbewerber, der für die Amerikaner gearbeitet habe, versuche rund um die Uhr zu erreichen, dass seine Angehörigen über die Luftbrücke außer Landes gebracht werden.

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Eine andere afghanische Familie sorge sich um den abgeschobenen Sohn, nennt Opiela zwei Beispiele. Wichtigster Ansatz der Initiative sei, den Kontakt nicht abreißen zu lassen. „Denn sie müssen ja nach vorne blicken. Wenn sie in eine Depression fallen, können sie die Herausforderungen des eigenen Lebens nicht stemmen.“

„Mein Herz blutet für die Menschen in Afghanistan“, sagt Onar H., der den Amnestie-Zusagen der Taliban gerne vertrauen würde, dies aber nicht kann. Er wünscht sich, dass die internationale Gemeinschaft die Menschen, die sich für Freiheit einsetzen, nicht im Stich lässt.