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ProzessRentner beleidigt Radlerin in Bergisch Gladbach – „Hatte Angst, dass sie sich festklebt“

Lesezeit 4 Minuten
Zwei Radfahrer sind auf der unteren Hauptstraße in Richtung Schrankenkreisel und Rhein-Berg-Galerie unterwegs.

Tatort untere Hauptstraße in Bergisch Gladbach: Auf 290 Meter Länge dürfen hier Autos Fahrräder nicht überholen.

Auf 290 Metern dürfen Autos Fahrräder auf der unteren Hauptstraße in Bergisch Gladbach nicht überholen. Da rastete ein eiliger Rentner aus.

Es war ein Prozess, der zwar nicht die Welt bewegen dürfte, dafür aber die Emotionen von Autofahrenden, Radfahrenden und zu Fuß Gehenden jedwedes Geschlechts: Die Bergisch Gladbacher Strafrichterin Birgit Brandes hat einen 70-jährigen Rentner wegen Nötigung und Beleidigung zu einer fühlbaren Geldstrafe verurteilt.

Damit entsprach sie der Forderung der Staatsanwältin. Von dem außerdem geforderten Fahrverbot sah die Richterin aber ab, weshalb sich die Anklägerin – anders als der Verteidiger – eine Berufung vorbehielt.

Es war eine sehr hässliche und sehr dumme Szene, die sich am Mittag des 23. Juni 2022 auf der unteren Hauptstraße in Bergisch Gladbach abspielte. Die Straße ist an dieser Stelle eng und wichtig zugleich — sowohl für Autofahrer als auch für Radfahrer und Fußgänger, die von Westen kommen und in die Innenstadt wollen.

Weil hier alles so eng ist, hat die Stadt im Winter 2020 entschieden, dass Radfahrer in Richtung Innenstadt nicht mehr den Bürgersteig benutzen dürfen, sondern auf die Straße müssen. Um die Zweiradfahrer aber zu schützen, hat die Stadt auf dem nur 290 Meter langen Teilstück der Straße zwischen Beit-Jala-Platz und Schrankenkreisel im Frühjahr 2021 zudem ein Überholverbot besonderer Art erlassen: Autos dürfen Fahrräder nicht überholen.

Böse Worte und ein Hupkonzert

290 Meter hinter einer Radlerin bleiben, die vor ihm auf der Straße fährt? Für Rentner Fritz H. (Namen geändert) war das so unerträglich, dass er seine Kinderstube vergaß. „Beweg' deinen fetten Arsch, verpiss dich“, schrie er Studentin Jessica P. (31) an, beließ es aber nicht dabei, sondern veranstaltete ein wüstes Hupkonzert, das zwei Zeugen aufmerksam werden ließ, und fuhr extrem dicht auf.

Am Ende der 290-Meter-Überholverbotsstrecke sah Fritz H. dann endgültig rot beziehungsweise eine Chance, an der Radfahrerin vorbeizukommen: Auf dem linksseitigen Parkstrafen tat sich eine größere Lücke auf, die er nutzte und verbotswidrig an der Radlerin vorbeizog.

Es kam zu einer Berührung

Dabei kam es zu einer Berührung zwischen beiden Parteien, über die die Aussagen auseinandergingen: Während Jessica P. als Zeugin aussagte, sie sei vom Seitenspiegel gestreift, zwar nicht verletzt worden, aber ins Straucheln gekommen, gab Fritz H. an: „Sie sah mich wutentbrannt an, als ich an ihr vorbeifuhr, und schlug dann auf mein Auto.“ Das wollte zwar außer ihm niemand gesehen haben und die Studentin bestritt es auch: „Nein. Das habe ich nicht. Ich hatte Angst.“ Fritz H. blieb aber dabei.

Ich hatte Angst, dass sie sich vor mir festklebt.
Der Angeklagte scherzend vor Gericht

Für seine beleidigenden Worte entschuldigte sich Fritz H. gleichwohl: „Das ist nicht mein Stil, und ich bedauere es außerordentlich.“ Ansonsten habe er in der Situation aber selbst Angst gehabt, tat er in der Verhandlung weiter kund. Wovor? „Dass sie sich vor mir festklebt.“ Ungläubige Nachfrage der Richterin: „Sie hatten Angst, dass sie sich vor Ihnen festklebt?“ – „Das war ein Scherz.“

Zum Scherzen war der Radfahrerin dagegen nicht zumute. Es habe einige Zeit gedauert, bis sie sich von dem Schrecken erholt und die Freude am Radfahren wiedergewonnen haben, beantwortete sie eine Frage der Richterin. Sie sei auch keineswegs bewusst langsam über die Straße gefahren – im Gegenteil, sie habe schnell aus der Stress-Situation herauskommen wollen.

Sie müssen im Straßenverkehr die Kontrolle über sich behalten.
Richterin Birgit Brandes

Am Ende forderte die Staatsanwältin für den bis dahin straffrei durchs Leben gegangenen und durch den Straßenverkehr gefahrenen Mann mit der kleinen Rente 875 Euro Strafe wegen Nötigung und Beleidigung (35 Tagessätze). Außerdem werde es ihm guttun, ein bisschen zu Fuß zu gehen, weshalb er zusätzlich zwei Monate Fahrverbot erhalten solle.

Insbesondere gegen ein Fahrverbot sprach sich dagegen der Verteidiger aus: Sein Mandant habe sich davor und danach nichts mehr zuschulden kommen lassen.

Auf die Unbescholtenheit vor und nach dem Ausraster wies auch Richterin Brandes im Urteil hin. Aber sie warnte den rüstigen Rentner auch: Im Wiederholungsfall sei ein Fahrverbot unumgänglich. Brandes: „Sie müssen im Straßenverkehr die Kontrolle über sich behalten“ – ein Satz, den sich sowohl Auto- als auch Radfahrer hinter die Ohren schreiben sollten. Und Fußgänger auch ...