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16 AnklagenBergisch Gladbacher Jugendgericht verurteilt Intensivtäter zu Bewährungsstrafe

Lesezeit 4 Minuten
Ein Gang in der Justizvollzugsanstalt Rheinbach.

Aus der Untersuchungshaft entlassen worden ist nach seinem Prozess in Bergisch Gladbach ein 20-jähriger Intensivtäter aus Wermelskirchen. Das Foto zeigt die JVA Rheinbach.

16 Anklagen standen auf der Liste des Bergisch Gladbacher Jugendgerichtes. Am Ende gewährte das Gericht dem Wermelskirchener Bewährung.

Er wirkt weder dumm noch brutal, der junge Mann mit dem schwarzen T-Shirt und den blonden Haaren, der von zwei Wachtmeistern in Saal 106, den größten Raum im Bensberger Amtsgericht, geführt wird. Der 20-jährige Ultra-Intensivtäter trägt ein Lächeln auf den Lippen – ist es spöttisch, überheblich oder unsicher?

Auf der Liste an der Tür zum Saal stehen nicht zwei, drei oder vier Aktenzeichen, sprich Tatvorwürfe, sondern 16. Und es geht nicht um geklaute Schokoriegel, sondern um Raub, gemeinschaftliche Körperverletzungen, Einbrüche in Wohnungen, Werkstätten und Keller sowie Spritztouren mit geklauten Autos.

Seit April sitzt der 20-Jährige aus Wermelskirchen in U-Haft

Und das alles in kürzester Zeit, überwiegend gemeinsam mit ein, zwei Kumpels in wechselnder Besetzung. Seit April sitzt Lukas G. in Untersuchungshaft, heute ist seine Verhandlung am Bensberger Jugendschöffengericht, das auch für Täter aus Wermelskirchen zuständig ist.

Um 9.30 Uhr ist der Saal bereits gut gefüllt: Neben Lukas G. sitzen der Kölner Verteidiger Dr. Jürgen Graf und sein junger Mitarbeiter sowie der gesetzliche Betreuer des Angeklagten, gegenüber der Staatsanwalt, ein Psychiater und zwei Mitarbeiterinnen der Jugendgerichtshilfe.

18 Zeugen sind zum Prozess geladen

Dann ruft Richter Ertan Güven 18 Zeugen auf, um sie zu belehren. Acht betreten den Raum, neun sind (noch) nicht da, einer kann nicht hereinkommen, weil er als bereits verurteilter Mittäter in einer Haftzelle im Gerichtsgebäude sitzt.

Dann wird, unjuristisch gesprochen, von den 16 Anklagen der größte Teil als Kleinkram ausgesiebt: Wenn eine Verurteilung wegen Raubes droht, dann fällt Beleidigung nicht mehr ins Gewicht, weswegen das Verfahren „nach Paragraf 154“ eingestellt wird.

Raub, Einbruch, Körperverletzung

Die am Ende verbleibenden Anklagen werden nicht am Stück verlesen, sondern einzeln, und dann hat der Angeklagte Gelegenheit, sich jeweils zu äußern. Anklage Nummer 1 betrifft einen Einbruchsdiebstahl sowie Fahren ohne Führerschein und Unfallflucht am 31. Juli und 1. Augst 2023 in Leverkusen und mehr. Es folgt unter anderem ein gemeinschaftlicher Raubüberfall auf einen 28-jährigen Dachdecker in Wermelskirchen.

Anders als bei den meisten Taten bestreitet Lukas G. hier eine Verwicklung: Er sei zwar zu Besuch bei dem jungen Mann, seinem Dealer, gewesen, aber schon wieder weg, als die Räuber gekommen seien. Der Überfallene ist der einzige Zeuge, der aussagen muss. Nein, er deale nicht: „Ich bin Dachdecker und pflege meine Oma. Für etwas anderes habe ich gar keine Zeit.“ Aber Lukas sei bei dem Überfall dabei gewesen.

Opfer mit Wasser abgespritzt und gewürgt

Dann gibt es eine recht brutale Körperverletzung und Freiheitsberaubung in Wermelskirchen, bei der das Opfer sich nackt ausziehen musste und mit Wasser abgespritzt sowie zehn Sekunden lang gewürgt wurde und anderes mehr. Wieder und wieder heißt es: „Wird vollumfänglich eingeräumt.“

Was macht man mit so einem Menschen, der es in seinen 20 Jahren auf sieben Eintragungen im Bundeszentralregister gebracht hat? „Im Jugendstrafrecht geht es um Erziehung, nicht um Bestrafung“, wird Güven später sagen. Das Leben von Lukas G.: Scheidungskind, mit 15 Aufenthalt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, Aufenthalt in insgesamt acht Wohngruppen.

Ausgeprägte Intelligenzminderung, verminderte Schuldfähigkeit

Die andere große Baustelle ist eine ausgeprägte Intelligenzminderung, die sich nicht nur in seiner Schulkarriere, sondern auch in drei Intelligenztests in den Jahren spiegelt: IQs von 66, 81 und 57. Der Psychiater bescheinigt ihm eine durch die Behinderung herabgesetzte Impulskontrolle und Steuerungsfähigkeit.

Cannabiskonsum, so der Gutachter, begünstige das noch. G. werde immer Hilfe brauchen – einen Betreuer ebenso wie Medikamente, die die Impulsivität mindern. Dringend angeraten sei ein besonders gutes Betreutes Wohnen, aber das sei „verdammt schwierig zu finden“.

Staatsanwalt fordert Strafe ohne Bewährung

Der Staatsanwalt fordert am Ende zwei Jahre und zwei Monate Jugendhaft – nicht mehr bewährungsfähig. Dagegen der Verteidiger: Sinnvoll sei eine Bewährungsstrafe plus der Auflage, sich um einen Platz im Betreuten Wohnen intensiv zu bewerben. „Am Ende des Tages dient uns das mehr, als ihn ins Gefängnis zu stecken, wo er von den Mithäftlingen abgezogen wird.“

Genau so lautet am Ende auch das Urteil: Zwei Jahre auf Bewährung und die Auflage, sich um einen Wohnplatz zu bewerben. Ein geregelter Alltag sei von besonderer Bedeutung. Den Haftbefehl hebt das Gericht auf, was Lukas G., der erst einmal beim Vater unterkommen soll, vor ein Problem stellt: Seine Sachen sind noch in der drei Stunden mit Bus und Bahn entfernten JVA Heinsberg. So richtig dafür zuständig sieht sich dafür zunächst keiner.

Willkommen in der Freiheit.