Bald gehen die Babyboomer-Ärzte in Rente, dann wird der Ärztemangel im Rheinisch-Bergischen Kreis noch stark zunehmen, so eine neue Studie.
Bergisch GladbachNeue Studie zum Ärztemangel in Rhein-Berg schlägt Alarm

Der Ärztemangel im Rheinisch-Bergischen Kreis wird zunehmen. (Symbolbild)
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Die ärztliche Versorgung in einigen ländlichen Regionen ist bereits heute sehr ausbaufähig, und die Situation wird sich extrem verschärfen, weil nämlich bald auch diejenigen Babyboomer in Rente gehen, die heute als Ärzte praktizieren. Eine neue regionale Studie gibt Aufschluss über die Lage, die Entwicklung und mögliche Gegenmaßnahmen.
Wer heute in Kürten wohnt, muss sich bei der Hausarztwahl schon anstrengen — oder in einen Nachbarort fahren. Denn in der östlichen Landgemeinde von Rhein-Berg liegt das aktuelle Hausarzt-Einwohner-Verhältnis heute schon bei 1:2340. Würde die zuständige Kassenärztliche Vereinigung (KV) gemeindescharf planen statt mit „Mittelbereichen“, käme Kürten auf einen fiktiven Versorgungsgrad von nur noch 67,1 Prozent.
Mittelbereiche der KV unterscheiden sich von den kommunalen Grenzen
Da die Gemeinde Kürten aber von Seiten der KV zusammen mit Odenthal, Bergisch Gladbach und Overath als „Mittelbereich Bergisch Gladbach/Overath“ betrachtet wird, kommt ein durchschnittlicher Versorgungsgrad von 98,2 Prozent heraus. Rösrath packt die KV mit Köln zusammen, Burscheid mit Leverkusen, Wermelskirchen und Leichlingen werden jeweils allein betrachtet.
Doch sind auch die fiktiven 67,1 Prozent für Kürten pur im Umfeldvergleich gar nicht so übel, wie sich aus den weiteren von dem Bonner Büro „Quaestio“ zusammengetragenen Daten ergibt. Das Forschungs- und Beratungsbüro hat im gemeinsamen Auftrag des Rheinisch-Bergischen Kreises und der Kreise Oberberg und Rhein-Sieg die Lage der ärztlichen Versorgung, ihre Entwicklung und mögliche kommunale Maßnahmen erforscht.
Zu diesem Zweck brachte Quaestio viele Daten von KV und Statistischem Landesamt zusammen und führte zahlreiche Interviews mit Ärzten, Kliniken und Rathauschefs in der Region. Einen Fragebogen beantworteten immerhin 269 Mediziner, ein Drittel der niedergelassenen Ärzte — kein schlechter Schnitt für eine so gestresste Berufsgruppe.
Untersuchung für das „Bergische Rheinland“
Dass die drei Landkreise kooperieren, erklärt sich aus der Idee des „Bergischen Rheinlandes“: Das ist ein vor wenigen Jahren im Zusammenhang mit der Regionale 2025 geprägter Begriff, der die acht Kommunen des Rheinisch-Bergischen Kreises, die 13 Städte und Gemeinden in Oberberg und sieben Kommunen im östlichen Rhein-Sieg-Kreises zusammenfasst.
In diesem Raum, der von den dichter besiedelten Kommunen nahe am Rhein im Westen bis hin zu den dünn besiedelten und an Westfalen und Rheinland-Pfalz angrenzenden Gemeinden im Süden und Osten reicht, herrscht zum Teil heute schon Mangel, und der wird sich noch verstärken. Wer in Kürten heute die Versorgung beklagt, könnte sich mit Much trösten: In dieser ländlichen Gemeinde in Rhein-Sieg beträgt das Arzt-Einwohner-Verhältnis 1:3623, und der fiktive Versorgungsgrad liegt bei 46,2 Prozent. Vermutlich lassen sich viele Mucher in Overath behandeln, das auf beim fiktiven Versorgungsgrad den Spitzenwert von 127,8 Prozent erreicht.
Viele Ärzte reagieren mit Frust und einer Verringerung der Arbeitszeit auf die angespannte Situation.
Auch über die Sicht der Ärzte berichtet die Studie viel: „62 Prozent aller befragten Ärzte können die Behandlungsnachfrage nach eigenen Angaben nur schwer bewältigen, 30 Prozent sind aus-, aber nicht überlastet und nur acht Prozent sehen zusätzliche Kapazitäten. Viele Ärzte reagieren mit Frust und einer Verringerung der Arbeitszeit auf die angespannte Situation – die Überlastung führt demnach im Zweifel zu einer weiteren Abnahme der Behandlungskapazitäten.“ Und weiter: „Die Mediziner wünschen sich Bürokratieabbau, weniger wirtschaftlichen Druck und mehr Arbeitsteilung.“
Jedoch ist sind die Zahlen, die Studienautor Bernhard Faller jetzt im Gesundheitsausschuss des rheinisch-bergischen Kreistages vorstellte, nur eine Momentaufnahme der Gegenwart. In den kommenden Jahren werden sich sehr viele der heutigen Ärzte zur Ruhe setzen, weil sie ebenfalls zur Babyboomer-Generation zählen.
Die jungen Ärztinnen und Ärzte wollen nicht nur schuften
Es gibt dann erstens weniger junge Ärztinnen und Ärzte, die zweitens andere Prioritäten in ihrem Leben setzen, als 50 bis 80 Wochenstunden zu arbeiten. Drittens nimmt die Bevölkerung in den meisten der untersuchten Kommunen bis 2050 zwar ab oder stagniert allenfalls, jedoch wird viertens die Nachfrage nach ärztlicher Behandlung steigen, weil die verbleibende Bevölkerung ebenfalls altert und ein älterer Mensch naturgemäß mehr ärztliche Versorgung benötigt als ein junger. Auch sei die Anspruchshaltung von Patienten gestiegen.
Ist deswegen jetzt Holland beziehungsweise das „Bergische Rheinland“ in Not? Das auch wieder nicht, denn in ihrer „Analyse und Konzept zur Weiterentwicklung der ambulanten ärztlichen Versorgung im Bergischen Rheinland“ haben die Gutachter eine ganze Reihe von möglichen Maßnahmen aufgeschrieben.
Größere Praxen bieten mehr Chancen
Den heutigen Ärzten legt sie andere Organisationsformen nahe, etwa Gemeinschaftspraxen mit so vielen Ärzten, dass spezialisiertes Personal beschäftigt werden kann. Dieses könnte die Ärzte sowohl bei medizinischen als auch bei administrativen Aufgaben entlasten. Trotz oder wegen der hohen Belastung gebe es bei vielen Ärzten eine hohe Veränderungsbereitschaft. Der medizinische Nachwuchs soll gefördert und betreut werden. Auch Digitalisierung und Telemedizin böten gute Chancen.
Die Studienautoren empfehlen: „Ein kommunales Engagement für die Sicherung und Weiterentwicklung der ambulanten Gesundheitsversorgung ist in den meisten Regionen Deutschlands derzeit noch unterentwickelt, aber angesichts der absehbaren Versorgungsrisiken und Versorgungsdefizite auch im Bergischen Rheinland dringlich.“
Verschiedene Mitglieder des Gesundheitsausschusses dankten fraktionsübergreifend den Studienautoren für ihre mit Anlagen beinahe 190 Seiten starke Untersuchung. Die Bergisch Gladbacher Kreisverwaltung will nun an dem Thema dranbleiben: Der Bericht wird den Kommunen übersendet, das weitere Verfahren soll in einer Sondersitzung der Konferenz der Sozial- und Jugendhilfedezernenten im Frühjahr 2024 abgestimmt werden.