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Flüchtlingsfamilien in Bergisch GladbachOhne Ehrenamtler keine Integration möglich

Lesezeit 5 Minuten

Otto Baldus und Brigitta Opiela (r.) lotsen Malika Akbari durch die Termine mit den Behörden.

Bergisch Gladbach – Die Akbaris aus Afghanistan sind seit drei Jahren in Deutschland. Die Familie ist in Sicherheit. Bergisch Gladbach ist ihr Zuhause geworden. Doch der Alltag für Eltern und Kinder ist schwer. Ohne individuelle ehrenamtliche Unterstützung würden sie es nicht schaffen, sich im Behördendschungel zurechtzufinden.

Vater Ali Akbari ist besonders hilfsbedürftig. Er ist schwer geistig behindert. Der 38-Jährige spricht nicht, kann sich weder zeitlich noch räumlich orientieren. Während seine Frau Malika am Wohnzimmertisch Tee serviert, sitzt er teilnahmslos abseits auf dem Sofa neben den beiden Söhnen Abulfass (6) und Muslim (11).

Die letzten drei Jahre waren ein ständiges Auf und Ab für die afghanische Familie. In der eigenen Wohnung gibt es für Malika Akbari, Muslim, Abulfass und Ali Akbari (v.l.) so etwas wie Normalität.

„Grund ist eine schwere Kopfverletzung“, erklärt Dr. Otto Baldus. Gemeinsam mit Brigitta Opiela von der Flüchtlingshilfe Refrath-Frankenforst kümmert sich der ehemalige Herzspezialist um die Familie. Dabei stoßen die Freiwilligen immer wieder an bürokratische Hürden. Der Weg der Integration ist steinig, kleinteilig und frustrierend. Doch genau dieser mühselige, komplizierte, manchmal auch befremdliche Alltag entscheidet am Ende darüber, ob Integration gelingt – oder nicht.

Otto Baldus blättert in zwei Ordnern, prall gefüllt mit Briefen und Bescheiden, die den bisweilen gewundenen Weg durch die Behörden dokumentieren. Das bedeutet vor allem: Formulare ausfüllen, Anträge stellen. Man muss sich beim Einwohnermeldeamt anmelden, beim Stromanbieter. Mutter Malika, die Deutsch weder lesen noch schreiben kann, sagt: „Ich habe Angst, wenn ich einen Brief aus dem Kasten hole.“ Rundfunkbeitrag? Noch nie gehört. Malika unterschreibt mit schnörkeligen Buchstaben Formulare, deren Inhalt sie ohne Erläuterung nicht versteht. Mufid Ramadan (28), ebenfalls 2015 aus Afghanistan geflohen, hilft dabei als Übersetzer.

Bilanz

2000 Geflüchtete leben seit 2015 neu in Bergisch Gladbach.

1120 Flüchtlinge leben aktuell in den städtischen Unterkünften.

66 Prozent der untergebrachten Menschen sind unter 30 Jahre alt.

31 unterschiedliche Projekte und Aktionen hat die Stadt seit Oktober 2017 mit dem Ziel der Integration angeboten. (ub)

Der größte Fortschritt der letzten Monate: Die Akbaris haben jetzt dank Hilfe ihrer Paten eine eigene Wohnung in Heidkamp. In der Sammelunterkunft hat sich Ali Akbari nicht zurechtgefunden. Eingerichtet hat sich die Familie fast ausschließlich mit gespendeten Möbeln. Eine Nachbarin von obendrüber hat den Wohnzimmerschrank beigesteuert, der Helferkreis den Kühlschrank. Die gelbe Couchgarnitur hat Malika Akbari auf der Straße beim Sperrmüll entdeckt. So ist aus dem Sammelsurium ein Zuhause entstanden.

Malika Akbari ist es wichtig, dass ihre Söhne von Anfang an Deutsch lernen: „Für die Kinder ist es noch nicht zu spät. Ich möchte, dass sie so aufwachsen wie andere Kinder im Viertel.“ Sie selbst ist Analphabetin. Die 35-Jährige konnte erst vor kurzem einen Sprachkurs anfangen. Bis dahin fand sie keinen Termin, weil sie ihren jüngeren Sohn betreuen musste. Denn alle Bemühungen scheiterten, Abulfass in der direkt gegenüberliegenden Kindertagesstätte anzumelden: „Kein Platz frei, keine Ausnahme möglich, hieß es“, erzählt Baldus. Mithilfe des Jugendamtes fand sich endlich im September 2018 ein Platz im Awo-Waldkindergarten an der Sander Straße – 45 Minuten zu Fuß entfernt. Die 35-Jährige verpasst nun wegen der langen Fußwege jeden Tag eine Unterrichtsstunde beim Integrationskurs, um den Sohn pünktlich an der Kita wieder abholen zu können. Baldus musste mit dem Job-Center regeln, dass der Kurs trotzdem anerkannt wird und die Sozialleistungen nicht gekürzt werden.

Mufid Ramadan, selbst Geflüchteter, hilft als Übersetzer.

„Wir stoßen oft gegen Wände“, sagt Baldus. Aber der Ärger über den bürokratischen Unsinn spornt den 76-Jährigen geradezu an: „Die Auseinandersetzung mit den Behörden ist für mich zu einem Sport geworden.“ Um für Ali Akbari eine zweijährige Reha-Maßnahme in den Lebenshilfe-Werkstätten Rhein-Berg durchzusetzen, reichte er sogar Klage beim Sozialgericht Köln ein, erfolgreich. Außerdem beantragte Baldus Pflegegeld, weil Malika Akbari ihren behinderten Mann versorgt, der in Pflegestufe 3 eingestuft wurde. Dass ihr diese Leistung zusteht, hätte Malika Akbari nicht gewusst.

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„Ohne Einzelfallhilfe passiert gar nichts“, sagt Opiela. Viele Flüchtlinge bräuchten sehr lange eine intensive Begleitung, um beispielsweise den Schulabschluss oder den komplizierten Weg in den Arbeitsmarkt zu schaffen. „Dies sicherzustellen, ist Aufgabe der Stadtverwaltung“, findet Opiela. Die Verantwortung für eine gelungene Integration dürfe nicht weitgehend der Zivilgesellschaft übertragen werden. Die städtischen Sozialarbeiter müssten sich auch gezielt um die Flüchtlinge kümmern, die aus den Sammelunterkünften ausgezogen sind.

Sechs Sozialarbeiter in der Flüchtlingshilfe

Die Sozialarbeit in der Flüchtlingshilfe der Stadt Bergisch Gladbach wurde auf sechs Stellen aufgestockt. Dies sei dringend notwendig gewesen und stelle für die Geflüchteten eine zuverlässige Anlaufstelle bei Problemen aller Art dar, sagt Sabine Hellwig, neue Fachbereichsleiterin für Jugend und Soziales. Trotz alledem gehe es nicht ohne Ehrenamtler: „Wir sind sehr glücklich, dass auch drei Jahre nach der großen Fluchtwelle viele Menschen in der Stadt sich ehrenamtlich engagieren.“ Die Freiwilligen seien ganz eng an ihren Schützlingen dran, würden jeden Einzelfall kennen und vermittelten mit ihren guten Kontakten manchmal sogar Wohnraum oder Arbeitsstellen. Hellwig hofft, „dass wir weiterhin so ein tolles Netzwerk in Bergisch Gladbach halten können.“ (ub)

www.bergischgladbach.de/fluechtlingshilfe.aspx

Opiela hat das Gefühl, dass viele Helfer frustriert sind und sich zurückziehen: „Viele haben keine Lust mehr, die Arbeit der Verwaltung zu machen.“ Opiela selbst gehört zu den hartnäckigen Menschen. Ihre Motivation: „Ich habe die Möglichkeit, die Gesellschaft mitzugestalten.“ Auch Baldus macht weiter. Sein nächstes Projekt: für Abulfass, der sprachliche Defizite hat, vor der Einschulung eine Frühförderung zu organisieren.