Bergisch Gladbach – Samstag, 12 Uhr. Normalerweise würden jetzt Freifahrchips auf die Menschen niederprasseln, würden sich Karussells und Fahrgeschäfte in Bewegung setzen, würde die Laurentiuskirmes für vier Tage die Stadt verwandeln. An diesem Samstag ist es ein „Appell der Menschlichkeit“, der die Menschen tief bewegt.
Mehr als 200 sind gekommen, obwohl die Kirmes ausfällt. Nein, gerade weil sie zum vierten Mal in der Corona-Zeit nicht stattfinden kann. Schausteller von nah und fern, Politiker von Bürgermeister Stein bis zum Bundestagsabgeordneten Dr. Hermann-Josef Tebroke.
„Wir müssen dringend zur alten Normalität zurückkehren“, ruft Kirmesmacher Burkhardt Unrau zur Rettung des 1200 Jahre alten Kulturguts Kirmes auf. Dass die Kirmes wegen der Corona-Pandemie schon zum vierten Mal nicht stattfinden kann, kann er nachvollziehen, keine Popup-Kirmes könnte mit ihren Zugangsbeschränkungen das Volksfest in der Stadt ersetzen, im nächsten Jahr aber müsse, nein werde die Kirmes an Pfingsten wieder stattfinden ruft Unrau den Menschen auf dem Platz zu: „Und wenn ich danach dafür in den Knast gehe.“ Dem Mann ist es ernst.
Bürgermeister Frank Stein unterstützt Neustart 2022
„Hier macht einer aus seinem Herzen keine Mördergrube“, unterstützt Bürgermeister Frank Stein Unrau. Auf dem Konrad-Adenauer-Platz schlage das Herz der Stadt, an Markttagen , aber vor allem an den beiden Kirmessen im Jahr: „Hier kommen alle zusammen, ob sie ein dickes oder ein schmales Portemonnaie haben, für alle gibt es hier ein Angebot, hier muss man sich nicht vorher überlegen: Was ziehe ich denn da an.“
Was die Schausteller leisteten, um durch diese Krise zu kommen, sei unglaublich, so Stein. „Es muss im nächsten Jahr weitergehen. Wir peilen ganz sicher Pfingsten 2022 eine nächste Kirmes an. Und wir können alle etwas dazu beitragen“, rief der Bürgermeister dazu auf, sich impfen zu lassen und die, die noch nicht geimpft sind, davon zu überzeugen, dass das „der einzige Weg ist, das zu erreichen, was wir alle wollen: ein normales Leben“.
Der Präsident des Deutschen Schaustellerbundes (DSB), Albert Ritter, nahm den Rathauschef beim Wort und mahnte zugleich. „Eine neue Kirmes anzupeilen, ist uns zu wenig. Und wenn wir hören, dass die Herdenimmunität durch das Impfen die große Rettung ist, dann fordern wir ein, dass die Politik auch selber daran glaubt.“
Derzeit würden schon wieder Veranstaltungen im Oktober und November abgesagt und auch über die Absage von Weihnachtsmärkten diskutiert, so Ritter. Der DSB-Präsident warnte davor, trotz der steigenden Impfquote weiter zu bremsen. Die Inzidenzzahl könne nicht der einzige Parameter sein. Die Politik müsse auch den eigenen Glauben „ganz knallhart durchsetzen und sagen: Es geht wieder los. Auch diesen Herbst schon“.
„Wir Schausteller wollen nicht in die soziale Hängematte“, sagte Ritter im Hinblick auf die doch noch gekommenen Überbrückungshilfen, die aber auch solche bleiben sollten: „Lasst uns wieder an die Arbeit. Wir wollen mit unserer eigenen Hände Arbeit Geld verdienen und euch Freude bereiten“, sagte er unter dem Beifall der Zuhörer auf dem Konrad-Adenauer-Platz. Ritter erinnerte sich an eine der letzten Schaustelleraudienzen bei Papst Franziskus. Dieser habe dabei gesagt: „Schausteller sind die, die Licht in das Dunkel der Welt bringen.“
Trotz Regenschauers, bei dem die Zuhörer kurzfristig Zuflucht in der offenen Laurentiuskirche von Kreisdechant Norbert Hörter fanden, wollte niemand der Anwesenden die Schausteller im Regen stehen lassen. Selbst spontane Spenden gab’s, damit sie es bis zur nächsten Kirmes überstehen. „Wir müssen das Leben wieder ankurbeln“, zeigte sich der Kirmesmacher entschlossen, sprach sich gegen Hass und Hetze aus, erinnerte an die Hilfe, die Schausteller trotz der eigenen Lage in Flutgebieten leisteten und versprach fest, dass die Kirmes zu Pfingsten 2022 nach Gladbach zurückkehre. Damit sprach er auch Kreisdechant Norbert Hörter aus der Seele: „Hier treffen Kirche und Gesellschaft zusammen.“
Nach dem Segen stimmte die historische Kirmesorgel von Hubert Markmann, die neben dem historischen Kirmeswohnwagen von Manfred Sistig die Bühne säumte, nicht nur Kirmesweisen, sondern auch das einzige Rock’n’Roll-Medley an, das es für das Instrument von 1892 gibt. Zu Ehren des Mannes, der in Gladbach nicht nur die Erinnerung an die Kirmes hochhält, sondern auch für ihre Zukunft kämpft.
Das sagen Santelmann und andere Gladbacher zur Kirmes
„Die Kirmes ist ein Volksfest für alle Menschen. Auch Bergisch Gladbach braucht die Kirmes, braucht die Möglichkeit, dass sich die Menschen begegnen, und das ist in einer etwas zersiedelteren Stadt wie hier vielleicht noch wichtiger als in einer Stadt mit einem einzigen gewachsenen Zentrum.“
Norbert Mörs, ehem. Landrat (1999-2004)
„Mit der Gladbacher Kirmes verbinde ich viele Kindheitserinnerungen. Es war immer etwas Besonderes, auch wenn ich dann zum Abschluss mit zum Feuerwerk durfte. Ich hoffe sehr, dass meine kleine Nichte, die letztes Jahr geboren worden ist, das im nächsten Jahr dann auch kennen lernen kann.“
Jasmin Kohls, Assistentin
„Das schönste an der Kirmes sind die leuchtenden Kinderaugen. Und hier in Bergisch Gladbach steht die Kirmes auch für ein ganz großes Stück Zusammenhalt. Das gilt für die Kirmes, das gilt aber auch für den Weihnachtsmarkt. Die brauchen wir beide wieder – genauso wie die Luft zum Atmen.“
Stephan Santelmann, Landrat
„Wir wohnen direkt hier in der Stadt und vermissen die Kirmes wirklich sehr. Sie ist immer ein Treffpunkt, wir lieben das und hoffen sehr, dass es nächstes Jahr wieder eine Kirmes hier in der Stadtmitte gibt. Die Kirmes darf einfach nicht sterben. Alles für die Kirmes!“
Vanessa Pankow, mit Tochter Valentina und Gabrielle Pankow
„Die Kirmes ist gemeinschaftsbildend, da sind alle gleich, egal ob Würdenträger oder Hausfrauen, klein oder groß, alt oder jung. Das ist das, wofür wir Puppenspieler wie die Kirmesleute seit Jahrhunderten antreten. Ich habe mich dem Kirmesmacher Burkhardt Unrau noch nie so nahe gefühlt wie heute.“