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Interview

Neue Regionalstelle
Oberberger im Kampf gegen sexualisierte Gewalt

Lesezeit 5 Minuten
Eine Comic-Zeichnung stellt eine Frau dar, die einem Kind ihr Handy zeigt mit den Worten: "Guck mal, alle finden dich megasüß!".

Die neue Kampagne der Landesfachstelle Prävention sexualisierte Gewalt sensibilisiert für die entscheidende Bedeutung von Privatsphäre der Kinder.

Die Regionalstelle des Regierungsbezirks zur Vorbeugung von sexualisierter Gewalt hat ihren Sitz in Wipperfürth. Das hat einen guten Grund.

Jens Duisberg (54) ist seit Jahresanfang Fachreferent der Regionalstelle im Regierungsbezirk Köln zur Prävention von sexualisierter Gewalt. Sein Dienstsitz ist Wipperfürth. Reiner Thies sprach mit ihm über seine Aufgabe.

Sie sind in Waldbröl geboren und aufgewachsen. Haben Sie in Ihrem Umfeld sexualisierte Gewalt erlebt?

Jens Duisberg: In meiner katholischen Pfarrgemeinde ist es zu sexualisierten Übergriffen gekommen. Damals gab es ein systematisches Wegschauen und noch keine Sprache, wie man über sexuelle Gewalt spricht. Wie man sich anvertraut und ernst genommen wird. Die Aufarbeitung dieser und vieler anderer Fälle ist noch längst nicht abgeschlossen. Damit so etwas sich nicht wiederholt, engagiere ich mich zwar nicht in der Aufarbeitung, aber in der Prävention. Diese ist demgegenüber natürlich weniger kompliziert und tut niemandem weh. Sie wird in der Kirche aber ernsthaft betrieben.

In vielen oberbergischen Vereinen arbeiten Ehrenamtler mit Kindern und Jugendlichen. Wie kann man sexualisierter Gewalt effektiv vorbeugen? Gibt es eine goldene Regel?

Es kommt darauf an, den achtsamen Blick zu institutionalisieren. Egal, ob es eine Firma oder ein Verein ist, man braucht ein Schutzkonzept, in dem ein Verhaltenskodex festgeschrieben wird. Ein Grundprinzip ist dabei die Beteiligung der Kinder und Jugendlichen. Sie müssen selbst sagen: Wo gibt es Angsträume? Wo fühlt Ihr Euch sicher? Klopfen alle Trainer an, wenn sie die Umkleide betreten wollen?

Sie sind für den kompletten Regierungsbezirk zuständig. Warum wurde Ihre Stelle in Wipperfürth angesiedelt?

Die fünf Regionalstellen unterstützen die Landesfachstelle für Prävention und sollen Bindeglied zu den freien Trägern sein. Sie müssen deshalb in engem Kontakt zur praktischen Arbeit stehen. Als die neue Stelle für den Regierungsbezirk Köln geschaffen wurde, hat man sie an die Psychologische Beratungsstelle Herbstmühle der katholischen Kirche in Wipperfürth angedockt, weil diese eine herausragende Expertise hatte: Als die Regionalstellen unter dem Eindruck der Missbrauchsskandale von Lügde, Bergisch Gladbach und Münster vom Land eingerichtet wurden, hatte die „Courage“-Beratung der Wipperfürther Beratungsstelle bereits einen guten Ruf. Auch wegen ihrer eigenen Geschichte ist die katholische Kirche bei der Präventionsarbeit heute eigentlich ganz gut aufgestellt, auf jeden Fall besser als viele kleine Einrichtungen. Kindergärten von Elterninitiativen tun sich allein oft schwer damit, ein Schutzkonzept aufzustellen. Ähnlich sieht es aber auch in großen Sportvereinen aus, die allerdings auf ehrenamtlicher Arbeit basieren.

Wie sieht es in Oberberg aus?

Ländliche Regionen sind meist schlechter versorgt mit Hilfsangeboten bei der Prävention. Meine Aufgabe ist es, den freien Trägern der Jugendarbeit die Möglichkeiten der Prävention sexualisierter Gewalt aufzuzeigen. Insbesondere im Hinblick auf die Erstellung von Schutzkonzepten. Derzeit bin ich viel unterwegs und lerne viele Leute kennen. Vernetzung ist wichtig.

Wie können Sie den Haupt- und Ehrenamtlern der Jugendarbeit helfen?

Ich will Fortbildungen anbieten und vermitteln, Fachliteratur und andere Materialien vorstellen und gute Beispiele bekannt machen. Zum Auftakt veranstalte ich am 3. September ein digitales Treffen für die Fach- und Leitungskräfte der freien Kinder- und Jugendhilfe im Regierungsbezirk. Im ersten Teil werden die Leitgedanken zur Gründung der Regionalstelle und ihr Aufgabenfeld erklärt. Im zweiten Teil stelle ich gemeinsam mit meinen Interviewpartnern ein Praxisbeispiel gelungener Vernetzung in der Region vor. Im dritten Teil der Auftaktveranstaltung möchte ich die Teilnehmer miteinander ins Gespräch bringen.

Worum geht es bei dem Musterprojekt?

Es heißt „Ich sags“ und ist ein echtes Leuchtturmprojekt. In Köln hat der Verein „Zartbitter“ zusammen mit der Polizei Bademeister darin geschult, sexualisierte Gewalt zu erkennen und dagegen vorzugehen. Das ist eine gute effektive Idee und gar nicht so aufwendig.

Wie wollen Sie die Sportvereine, die freien Kitas und die anderen Einrichtungen der freien Jugendhilfe im Regierungsbezirk erreichen, deren Zahl doch sicher in die Tausende geht?

Nach dem Auftakt werde ich im kommenden Jahr regelmäßige Online-Veranstaltungen unter dem Titel „Lunch & Learn“ zum Thema Prävention gegen sexualisierte Gewalt anbieten. Dazu kommen Fortbildungen, zum Beispiel mit dem Landschaftsverband. Im Frühjahr gibt es eine Fachtagung und im Sommer eine erste Veranstaltung zusammen mit dem Arbeitskreis Sexualisierte Gewalt im Oberbergischen Kreis und dem Kreissportbund. Wichtig ist: Wir dürfen die Mitarbeitenden der Jugendhilfe nicht als potenzielle Täter unter Verdacht stellen, sondern müssen sie als Kinderschützer ansprechen.

Sie sind auch gut mit den Beratungsstellen vernetzt. Wie ist Oberberg in dieser Hinsicht aufgestellt?

Im Regierungsbezirk gibt es etwa 50 Fachstellen, die sich um Fälle von sexualisierter Gewalt kümmern. In Oberberg sind es vier, die beiden katholischen in Gummersbach und Wipperfürth und die evangelische in Waldbröl, dazu kommt „Nina+Nico“ in Gummersbach, eine außergewöhnliche, weil ehrenamtliche Initiative, die inzwischen ebenfalls durch Landesmittel gefördert wird. Alle vier Stellen wurden mit zusätzlichen Fachleuten ausgestattet, damit ist Oberberg ganz gut, wenn auch nicht ausreichend ausgestattet. Vorbildlich sind hier die gute Vernetzung und die Zusammenarbeit mit den Jugendämtern.


Kinderschutzkonzepte

Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe werden im Landeskinderschutzgesetz von 2022 dazu verpflichtet, „auf die Entwicklung, Anwendung und Überprüfung von Kinderschutzkonzepten hinzuwirken“, sofern sie eine Förderung nach dem Kinder- und Jugendförderplan NRW erhalten oder beantragen. Dazu gehören Jugendfreizeiteinrichtungen, Angebote des Offenen Ganztags im Primarbereich und nicht-institutionelle Angebote. Der Landessportbund koppelt inzwischen Lizenzvergaben an die Erstellung von Schutzkonzepten. Auch die Sportvereine, die nach dem Kinder- und Jugendhilfeförderplan unterstützt werden, sind dazu verpflichtet. Das Landesjugendamt stellt neuen (teil-)stationären Einrichtungen nur die Betriebserlaubnis aus, wenn sie ein Gewaltschutzkonzept vorweisen können. Für andere Träger der Jugendhilfe gibt es aber bisher keine Frist, bis wann sie ein Schutzkonzept nachweisen müssen. Der Wipperfürther Fachreferent Jens Duisberg sagt: „Grundsätzlich gilt: Die Entwicklung von Schutzkonzepten ist aktiver Kinderschutz. Wer das verstanden hat, braucht keine Frist.“